Während das Theaterpublikum noch die Plätze einnimmt, kurven auf der Bühne eine Sie und ein Er in Rollstühlen herum, als wären es Autoscooter. Und eigentlich hat die Vorstellung schon im Foyer begonnen, wo ein Betonmischer thront und aus Kindermund der Schlussabschnitt von „Der Mensch erscheint im Holozän“ ertönt.
Alexander Giesche hat sein neuestes visual poem, ein visuelles Gedicht, nach der 1979 erschienenen Erzählung von Max Frisch geschaffen, und schnell wird klar, dass der neue Hausregisseur in Zürich nicht einfach einen Plot nachbuchstabieren will.
Lebensabend im Tessin
Wobei das Alterswerk freilich auch keine spektakuläre Handlung bereithält: Der Autor berichtet hier verdichtet-karg und mit leisem Humor von einem Witwer, der seinen Lebensabend in einem Tessiner Bergtal verbringt. Dieser Herr Geiser wird durch langes Regenwetter von der Umwelt isoliert und offenbart, während der Hang ins Rutschen gerät, immer deutlichere Anzeichen einer Demenz.
Mit beunruhigendem Detailfleiß trägt er Wissen zu allen möglichen Themen zusammen, unternimmt einen Ausbruchsversuch ins Nachbartal und erleidet einen Schlaganfall. Die besorgte Tochter reist an, und Herr Geiser begreift: Die Natur braucht seine Wissens- und Gedächtnisanstrengungen nicht.
Giesche lässt originale Textpassagen vortragen, übersetzt sie in poetische Bilder, stellt Objekte auf die Bühne, die manchmal nur noch locker assoziativ mit der Vorlage verknüpft sind, streut improvisatorisch anmutende Spielszenen ein. Der unter den Abend gelegte Soundtrack gibt sich popballadenhaft bis wummernd bassbetont und stützt mit oft kleinräumig wiederholten Phrasen eine meditative Atmosphäre.
Denn um meditative Versenkung, ja, um Sogwirkung wie bei einer Trance, geht es im Wesentlichen. Und so lässt Giesche es in Variationen regnen – ab Lautsprecher und vom Schnürboden herab, bedrohlich oder weicher, begleitet von visuellen Zeichen und Lichteffekten. Auf den Bühnenvorhang projizierte Buchstaben brennen oder ruckeln träge über seine Falten.

Dass mit Maximilian Reichert ein kräftiger junger Schauspieler und mit Karin Pfammatter eine zierliche und um Jahrzehnte ältere Schauspielerin agieren, ergibt eine fruchtbare dialektische Spannung. Es ist ein bilderstarker Abend, der von einer besinnlichen Melancholie grundiert wird und den eine Rede Frischs abschließt.
Nicht alle Bildfindungen und Szenen überzeugen aber gleichermaßen – dass zum Beispiel die beiden Schauspieler lange auf einem Baumstamm hocken oder im Nebel stehen, wirkt schlüssiger als der ausführliche Pas de deux vor einer pustenden Windmaschine oder das Experimentieren mit den wechselnden Stellungen eines Krankenhausbetts. Und eine Szene mit Kinderstatisten gerät zu allem Überfluss in heikle Nähe zu Spiel-Shows im Privatfernsehen.
Weitere Vorstellungen von „Der Mensch erscheint im Holozän“ am Schauspielhaus Zürich gibt es am 31. Januar 2020 sowie am 2., 4., 7., 12., 15., 24. und 26. Februar und am 1. März. Weitere Informationen finden Sie hier.