Stellen Sie sich den alten Menschheitstraum nur mal für einen Moment lang wirklich vor: Ihr Leben würde immer weiter gehen. Weiter ginge es, weiter und nochmals weiter. Endlos eben. Na, ist Ihnen noch wohl bei dieser Vorstellung? Oder wirkt es nicht vielmehr erfrischend sich vorzustellen, dass man sterben muss – nein: sterben darf?
Der Traum von der Unsterblichkeit ist so alt wie die Menschheit. Die Einsicht in den Segen der Sterblichkeit wohl auch. Und wie könnten wir Cäsar, dem der Mordanschlag nichts hätte anhaben können, noch die Hand schütteln? Wie dem Live-Orgelspiel von Johann Sebastian Bach lauschen? Das Gedränge wäre längst zu groß.
Angst vor dem Tod
Groß ist freilich auch unsere Angst vor dem Sterben. Davon profitiert die Anti-Aging-Medizin. Durch neues Blut Jungbrunnen-Stoffe einschleusen, mit Substanzen Reparaturprozesse in Körperzellen ankurbeln: Der Homo sapiens unserer Tage tüftelt gerne daran, wie der Tod sich überlisten ließe.
Für den Tag X, an dem die Wissenschaft weit genug sein könnte, planen sogenannte Kryoniker, die den Tod auf Eis legen, indem sie ihren Körper oder Teile davon nach dem Sterben schockgefrieren lassen. Und dann gibt es auch noch Leute, die Hirnleistungen wie Gedanken oder Gefühle auf einem besonderen Speichermedium herunterladen möchten, um so eine Art von Weiterleben im virtuellen Raum zu ermöglichen.

Vom Versuch, den Tod anzunehmen und ihm gleichzeitig doch noch ein Schnippchen zu schlagen, handelt nun am Opernhaus Zürich die Neuinszenierung von „Die Sache Makropulos“ des Tschechen Leoš Janácek durch den Regisseur und Bühnenbildner Dmitri Tschernjakow.
An der 1585 geborenen Hauptfigur dieser Oper ist ums Jahr 1600 herum ein lebensverlängerndes Elixier ausprobiert worden. Mit dem Resultat, dass Elina Makropulos, die in mehreren Ländern unter wechselnden Namen lebte, inzwischen das stattliche Alter von 337 Jahren erreicht hat.
Wo ist nur das Rezept?
Aktuell gerade als Opernsängerin Emilia Marty unterwegs, sucht Elina dringend nach dem im Hause ihres einstigen Liebhabers befindlichen Rezept, der „Sache Makropulos“, die es ihr ermöglichen würde, den Wundertrank zu mischen, denn dessen Wirkung lässt jetzt nach. Was sie in eine Auseinandersetzung führt, die seit Langem um ein Testament des 1827 verstorbenen Geliebten ausgefochten wird.
Und was tut Elina nach vielen taktischen Manövern und nach erduldetem Sex mit einem der sie umschwärmenden Männer? Als sie endlich das Papier in Händen hält? Wenn sie nach einem ersten Schwächeanfall wieder zu Bewusstsein kommt, verzichtet sie auf jede weitere lebensverlängernde Maßnahme.

Tschernjakow lässt für diese Schlussszene flink Rückwand und Seitenwände des bisher bespielten großbürgerlich ausgestatteten Interieurs öffnen. Der Raum weitet und wandelt sich wie zu einer Arena eines TV-Senders samt Zuschauertribüne, auf der bereits der nur kurz beschäftigte Zusatzchor der Oper Zürich und Mitglieder des hauseigenen Statistenvereins sitzen.
Das ist virtuos gemacht, leitet sich aber nicht ganz schlüssig her. Gelingt der Operndiva im Duell mit dem Tod ein raffinierter kleiner Sieg, indem sie den Tod zur theatralischen Attraktion umfunktioniert? Immerhin applaudieren die Zuschauer auf der Bühne, noch bevor das Opernhaus-Publikum das tut.
Das Orchester spielt kraftvoll
Und indem Elina auf der mit Sesseln möblierten Plattform vor den Augen vieler stirbt, reichert sich ihr Sterben an mit einer den privaten Tod überwölbenden Öffentlichkeit. Soll es hier auch um Kritik an Einschaltquoten-Denken und einer berechnenden menschlichen Note gehen?
Während die Philharmonia Zürich unter dem Dirigenten Jakub Hruša das Vorspiel kraftvoll herausmeißelt und breit dahinströmen lässt, wird unser Auge konfrontiert mit Bildern von Röntgenaufnahmen und der schriftlichen Diagnose einer unheilbaren Krebserkrankung samt Voraussage von zwei Lebensmonaten (Video-Design: Tieni Burkhalter).

Bis zum Finale erzählt Tschernjakow die ganze Geschichte dann aber durchaus Libretto-konform – überaus lebendig und mit überzeugender Personenführung, ohne den Anfangsgedanken jedoch wirklich weiterzuspinnen.
Die Sängerdarsteller sind zu loben für ihren tragenden, resonanzreich-kernigen und, wo geboten, auch immer wieder nuancenreich abgestuften, ausdrucksvollen Gesang. Die deutsche dramatische Sopranistin Evelyn Herlitzius erweist sich als Idealbesetzung für die Hauptpartie.
Sopranistin Evelyn Herlitzius überzeugt
Einsame Untote, Zynikerin mit Restwärme im Herzen, Operndiva, Femme fatale: Herlitzius zeigt das irrlichternde Porträt einer Frau, die letztlich ein Rätsel bleibt – und bleiben soll.
Klar, dass, wie bei Janácek seit Langem üblich, auf Tschechisch gesungen wird. Die Philharmonia Zürich liefert über die drei Akte hinweg für den sprachmelodisch gezeugten, von Kurzmotiven genährten Gesang einen sogkräftigen Unterbau, mit dem der Komponist das gesungene Wort auch immer wieder kommentiert.
Weitere Vorstellungen von „Die Sache Makropulos„ am Opernhaus Zürich gibt es am 25. und 28. September 2019 sowie am 6., 9., 13., 17. und 22. Oktober. Zusätzliche Informationen finden Sie hier.