August Wannenmacher würde gerne einmal Dampf ablassen. Aber statt dessen seufzt er einfach nur und atmet kurz durch. "Mit den Schweizern Geschäfte machen", sagt der Geschäftsführer der gleichnamigen Schreinerei aus Rangendingen, würde einfach immer schwerer. Nicht wegen der Kunden. Die lieben seine Produkte – Tische, Schränke, Küchenteile. Nein, die Bürokratie sei es, die ihn manchmal zur Verzweiflung bringe.
Vor ein paar Wochen erst habe er wegen einer Bagatelle 750 Franken Strafe an die Schweiz zahlen müssen. Ein Online-Formular hatte unachtsam ausgefüllt. Für einen Mitarbeiter, der einem Schweizer Kunden ein Möbelstück einbaute, hatte er dort "ausversehen den falschen von vier zur Auswahl stehenden Mindestlohnsätze angeklickt". Ein Umrechnungsfehler sagt er, ohne Auswirkungen für das Gehalt des Kollegen oder sonst irgendwen. Aber eben ein Fehler, bei dem sich Schweizer Behörden immer öfter gnadenlos zeigen.
Viele Regularien
"Flankierende Maßnahmen" nennen Experten ein Phänomen, das sich seit einiger Zeit immer mehr zum Problem in den Beziehungen der Alpenrepublik mit seinem nördlichen Nachbarn auswächst. Dabei handelt es sich um einen ganzen Strauß an Regularien, mit denen die Eidgenossen den freien Austausch von Arbeitskräften und Dienstleistungen mit ihren Nachbarländern einschränken – zumindest wenn man Kritikern aus Deutschland folgt.
Um einen Auftrag in der Schweiz abzuarbeiten, dürfen deutsche Handwerker beispielsweise nicht einfach über die Grenze fahren, sondern müssen ihr Erscheinen beim Kunden acht Tage im Voraus den Behörden melden. "Für jeden einzelnen Mitarbeiter müssen Details wie Name, Alter, Funktion und Sozialversicherungsbescheinigungen hinterlegt werden", sagt Schreiner Wannenmacher.
Probleme gebe es regelmäßig, etwa wenn einer der Monteure erkranke und ein nicht-angemeldeter Kollege einspringen muss. "Es ist alles so kompliziert", seufzt der Handwerkermeister.
Belastung der deutsch-schweizerischen Beziehungen
Dabei kann Wannenmacher eigentlich noch froh sein, denn seine Tische und Schränke, gehen eigentlich nie kaputt. Bei Maschinen mit Wartungsverträgen ist das anders. Einmal montiert, fallen die Anlagen nach einiger Zeit schon mal aus, sagt Martin Kunst, Außenwirtschaftsexperte beim Arbeitgeberverband Bauwirtschaft BW.
Dass der Kunde dann acht Tage warten müsse, bis der Techniker aus Deutschland die Anlage wieder fit machen könne, sei nicht zumutbar. Einzelne grenzüberschreitende Dienstleistungen, etwa im EDV-Bereich, seien so nahezu zum Erliegen gekommen, heißt es. Und die Knüppel, die man den Unternehmen zwischen die Füße werfe, würden immer größer.
Tatsächlich hat sich das Thema, das einst jenseits des direkten Grenzgebiets kaum jemanden interessierte, zu einer Belastung der gegenseitigen Beziehungen ausgewachsen, das durchaus mit den Dauer-Streitthemen Steuerharmonisierung, Fluglärm oder AKW-Sicherheit mithalten kann.
Erst in der vergangenen Woche nahm sich die baden-württembergische Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut des Themas an. Begleitet von gut drei Dutzend Verbände- und Unternehmensvertretern reiste sie in die Schweiz, um für eine "noch bessere grenzüberschreitende Zusammenarbeit" zu werben. Zwar betonte die Ministerin bei ihren politischen Gesprächen "das gute Fundament der gegenseitigen Beziehungen und die "solide Basis", auf der man aufbaue.
Tacheles redete sie aber auch. Gerade im Dienstleistungsbereich erführen die deutschen Betriebe "erhebliche Einschränkungen und Handelshemmnisse". Diese führten dazu, dass Geschäfte nicht zu Stande kämen. Speziell die 8-Tage-Anmelderegeln und geforderte Kautionen hätten sich für manche Branchen zu einem "Killer-Kriterium entwickelt", das den freien Handel verunmögliche, sagte die Ministerin.
Nur Symbolpolitik?
Der Vorwurf wiegt schwer, weil zwischen der Schweiz und Deutschland, ähnlich wie innerhalb der EU Freizügigkeit und Dienstleistungsfreiheit gelten. Bilaterale Verträge traten 2002 in Kraft, sind seither aber teils unterlaufen worden. Erst im Frühjahr 2017 monierte die EU-Rat das Verhalten der Eidgenossen und forderte Bern auf, die Maßnahmen aufzuheben.
Der CDU-Politikerin Hoffmeister-Kraut, die als Spross der Unternehmerfamilie Kraut (Bizerba-Waagen), von den Vorzügen des Freihandels überzeugt ist, ist es ein Dorn im Auge, dass es im deutsch-schweizer Grenzhandel harkt. Die Schweiz ist für den Südwesten traditionell von großer Bedeutung. Das Land ist mit einem Handelsvolumen von knapp 30 Milliarden Euro jährlich, einer seiner wichtigsten Partner – allerdings ist die Handelsbilanz aus deutscher Sicht mit knapp 1,5 Milliarden Euro negativ. Ein Makel, den die Landespolitik allzugerne auswetzen würde, und sei es durch die Einebnung der heimlichen Handelshemmnisse.
Die Schweizer Unternehmerschaft hat man dabei sogar auf seiner Seite. Man sei "gerne bereit die Sensibilität der Schweizer Politik bei dem Thema zu stärken", versicherte Monika Rühl, Direktorin beim Wirtschaftsverband Economiesuisse ihrem Gast aus Deutschland.
Mit dem zwischenstaatlichen Geplänkel hat man auch bei dem einflussreichen Dachorganisation der Schweizer Wirtschaft seine Probleme. Insbesondere, weil Kritiker schon des Längeren den Verdacht hegen, dass wirtschaftliche Erwägungen bei der klammheimlichen Handelsblockade keine übergeordnete Rolle spielen. Um den stärkerwerdenden Einfluss der europafeindlichen SVP einzuhegen, müssten in besonders symboltächtigen Fragen die Schrauben angezogen werden, vermuten politische Insider und nennen als Beispiel eine Zurückdrängung des deutschen Einflusses im gegenseitigen Grenzhandel.
Dafür spricht, dass die von deutscher Seite als geschäftsschädigend eingestuften Kontrollen und Sanktionen gar nicht von Bern, sondern allenfalls von den einzelnen Kantonen, oft aber von den Sozialpartnern vor Ort durchgeführt werden. Insbesondere die Gewerkschaften, drängten auf harte Kontrollen zum Schutz ihrer eigenen Klientel, heißt es.
Kämpft die deutsche Ministerin aus Stuttgart also auf verlorenem Posten? Immerhin gibt es Signale, dass das seit Monaten stattfindende zähe Ringen hinter den Kulissen Erfolge zeitigt. Bestimmte Regularien der Schweiz seien "leider etwas unglücklich und spitzfindig auslegbar", sagt Hermann Schnyder von der Arbeitsmarktaufsicht im Kanton Thurgau ohne die Praxis allerdings grundsätzlich in Frage zu stellen. Nach der massiven Kritik aus Deutschland, sei man sich der Problematik jetzt immerhin bewusst.
Kontrollen
Um Arbeitsstandards zu sichern, führt die Schweiz Kontrollen bei Betrieben durch – auch bei deutschen Firmen. Von mindestens 27.000 Stichproben pro Jahr soll die Kontrolldichte ab 2018 auf 35.000 steigen. Deutschland sieht darin und in Kautions- und Anmelderegeln ein Handelshemmnis und dringt auf Erleichterungen.