Die Aussicht aus seinem neuen Büro dürfte Winfried Hermann gefallen. In dieser Woche ist der grüne Verkehrsminister in Stuttgart mit seinem Minsterium umgezogen – von einem Betonklotz direkt an der staugeplagten B 14, einer der schmutzigsten Straßen der Stadt, ein paar hundert Meter weiter in das neue Dorotheenquartier. Heller Stein, viel verpixeltes Glas, urban, Fußgängerzone. 9400 Quadratmeter belegt das Verkehrsministerium dort, Hermanns Blick geht künftig statt auf die Staustraße auf den autoverkehrsfreien Karlsplatz, auf dem ein Reiterdenkmal von Kaiser Wilhelm I. steht, was in Stuttgart nicht unlogisch, sondern historisch ist.
Wenn Hermann jetzt morgens zur Arbeit kommt, möglichst immer noch mit dem Fahrrad, Helm auf dem Kopf und Rucksack auf dem Rücken, kann er ein kleines Stück die einzige echte Fahrradstraße in Stuttgart entlang fahren. Gleich um die Ecke, mitten im DQ, wie das neue Edel-Quartier beworben wird, hat der Elektroautobauer Tesla einen prachtvollen neuen Showroom – mitten in der Fußgängerzone der Autostadt Stuttgart. Das dürfte Hermann gefallen.
Kein Grund zur Freude
Sonst hat er derzeit nicht so viel Grund zur Freude. Gerade erst hat ihn sein grüner Regierungschef Winfried Kretschmann öffentlich bei seinem Tempolimitvorstoß für die A81 düpiert. Er werde einen Teufel tun und das kommentieren, sagte Hermann dazu später, ansonsten: Kein Kommentar. Das ist schon das zweite Mal binnen kurzer Zeit, dass Kretschmann seinem Verkehrsminister einen Stecken in die Speichen schiebt. Schon das Feinstaub-urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart wollte Hermann akzeptieren und damit Fahrverbote in Stuttgart ab Januar möglich machen. Jetzt fahren die Autos erst mal weiter, vorerst jedenfalls.
Hermann und Kretschmann, das ist eine lange Geschichte. Anfang der Achtziger, zu den Anfangszeiten der Grünen, saßen sie bereits im Stuttgarter Landtag nebeneinander. Im Prinzip mögen sie sich, und eigentlich können sie auch miteinander. Als Kretschmann 2011 Regierungschef wurde und die Grünen noch darauf hofften, Stuttgart 21 irgendwie verhindern zu können, lag nichts näher, als den Bahn- und Verkehrsexperten der Grünen im Bundestag, Winfried Hermann, zurück ins Land zu holen und zum Verkehrsminister zu machen. Dass sie das bekämpfte Projekt jetzt gemeinsam an verantwortlicher Stelle weiterbauen müssen, ist die Rache der Basisdemokratie an den grünen Überzeugungstätern – und verbindet sie zusätzlich.

Der beliebteste Grüne
Aber Hermann und Kretschmann standen sich bei den Grünen schon immer gegenüber. Hier der Ökolibertäre, der Realo Kretschmann, dort der Ökosozialist, der Linke Hermann. Und vor allem: Winne, der Parteiliebling. „Er ist sicher mit Abstand der beliebteste Grüne in der Landespartei“, heißt es in der Parteizentrale über ihn. Dass der entschiedene Kriegsgegner sich 1999 bei der historischen Bundestagsabstimmung über den Kosovo-Krieg der Stimme enthielt und nicht gegen den Bundeswehreinsatz stimmte, hat ihm die Basis vergeben. Unvergessen dagegen, wie er in früheren Zeiten müde Delegierte beim Landesparteitag zum Frühsport animierte und den Vorturner gab. Winne mit dem Brilli im Ohr, der notorische Krawattenverweigerer, das Kinn kämpferisch vorgereckt und ein angriffslustiges Funkeln im Blick, war und ist für viele graswurzelgefärbte Grüne der Beweis dafür, dass man dem politischen System dienen und sich doch irgendwie treu bleiben kann.
Für den politischen Gegner ist so einer ein gefundenes Fressen. Als er 2011 in Stuttgart auf der Regierungsbank im Landtag Platz nahm, stürzten sich CDU und FDP mit Feuereifer auf den „grünen Ideologen“ und „Verkehrsverhinderungsminister“. Hermann wollte viel, alles möglichst sofort und auch Details selbst steuern. Er verbriet Geld für externe Gutachten, was ihn im eigenen Haus Sympathien kostete. Fehler passierten – er versäumte es, Millionen an Straßenbaufördermitteln beim Bund abzurufen und kassierte mächtig Prügel. Seitdem dürfte er Rekordhalter sein, was die Rücktrittsforderungen gegen einen Minister betrifft. Diese Woche kamen neue dazu.
Hermann selbst war sich nicht sicher, ob Kretschmann ihn in sein zweites, in das grün-schwarze Kabinett holen würde, obwohl er vielen als letzter Linker als nicht verhandelbar erschien. Nur widerwillig erkennt der neue Koalitionspartner CDU an, dass Hermann für das Land beim Aushandeln der neuen Nahverkehrsverträge gut gearbeitet hat. Dass er dank unerwarteten Geldsegens jahrelangen Sanierungstau bei den Landesstraßen klassifiziert hat und abarbeiten lässt und sogar mehr Geld für Straßenneubau – auch Radverkehrswege – zur Verfügung hat als jeder seiner Vorgänger, hinterlässt sichtbare Spuren. Und Groll beim schwarzen Partner, der ihn unverdient Lorbeeren einstreichen sieht.
Bei der CDU misstrauen sie ihm immer noch und trauen ihm grundsätzlich alles zu. Denn es gibt auch Hermann den Trickser, der seine Überzeugung wiederholt an Absprachen vorbei umzusetzen versucht – siehe Tempolimit. Aber dass sich selbst der erbitterte Gegner mit dem Grünen streiten kann und am Abend trotzdem noch gerne ein Bier mit ihm trinkt, gehört zu seinen eigentlichen Stärken. Selbst Guido Wolf, dessen Wahlkampfreden als CDU-Spitzenkandidat 2016 ohne Hermann als Feindbild ein wesentlicher Inhalt gefehlt hätte, trug Winfried Hermann kurz nach der grün-schwarzen Regierungsbildung freundschaftlich das Du an. Und für Kretschmann ist Hermann als Bindeglied zur grünen Basis unverzichtbar. Mit dem Zurückpfeifen kann Winne leben. Als Sportsmann kämpft er aus Überzeugung. Er gewinnt, er verliert. Und morgen ist ein neues Spiel.
Wie Hermanns A 81-Entscheidung zum Chaos in Stuttgart führte
Grünes Urgestein
Winfried Hermann (Jahrgang 1952), studierte Deutsch, Sport und Politik auf Gymnasiallehramt in Tübingen. Seit 1982 bei den Grünen, saß er von 1984 bis 1988 im Landtag und war von 1992 bis 1997 Landesvorsitzender. Im Bundestag (1998 bis 2011) war er zuletzt Vorsitzender des Verkehrsausschusses. 2011 holte ihn Winfried Kretschmann als Verkehrsminister in die grün-rote Landesregierung, 2016 auch ins grün-schwarze Kabinett. Hermann ist verheiratet, hat eine Tochter und lebt in Stuttgart.