Herr Lekutat, das Frühjahr naht – und mit ihm bei vielen der Wunsch, die Pfunde, die sich im Homeoffice angesammelt haben, wieder loszuwerden. Doch Sie halten nichts von Diäten – warum?
Wenn man im Homeoffice drei Kilo zugenommen hat, ist eine Diät wahrscheinlich auch sinnvoll, um die drei Kilo wieder abzunehmen und da zu landen, wo man war. Doch das ist nicht die Realität, weil man gar nicht schlank ins Homeoffice ging, sondern eher moppelig. Dann bringt eine Diät nichts, weil wir einen langfristigen Plan für die Zeit danach brauchen, um das erreichte Gewicht auch zu halten. Deshalb finde ich Diäten doof.
Zu Beginn Ihres Buches schreiben Sie: „Sie sind nicht schuld!“ Wie kommt es denn eigentlich zum Übergewicht?
Bei ganz vielen meiner Patienten ist es so, dass irgendwann im Leben eine Grenze durchbrochen wurde zum Zunehmen. Danach läuft eine Kaskade von Stoffwechselvorgängen ab, die dazu führen, dass die Leute immer weiter zunehmen und gar nicht mehr so schnell schlank werden wie früher. Zum einen werden wir älter und damit ändern sich Stoffwechselvorgänge. Schon ab 30 verlieren wir jedes Jahr viele Muskelzellen, und die Muskeln sind das wichtigste Organ zum Verbrauch von Kalorien. Wenn die fehlen, strampeln wir immer gegen einen immer niedriger werdenden Verbrauch an.
Sie schreiben, es ist nie zu spät. Wie fängt man mit dem Abnehmen an?
Jedes Kilo, das wir abnehmen, hat einen immensen gesundheitlichen Erfolg. Schon wenige Kilos, die man zu viel mit sich herum trägt, können ein gesundheitliches Problem mit sich bringen. Wichtig ist, dass man schaut, weshalb man zugenommen hat.
Bei uns in der Adipositas-Sprechstunde gibt es zwei Gruppen von Patienten: Die einen sagen, ich esse zu viel oder zu viel Süßes. Die anderen sagen: Ich verstehe gar nicht, was los ist, ich esse eigentlich gar nichts. Anfänglich dachte ich, die erzählen mir was vom Pferd. Aber es gibt tatsächlich Menschen, die kaum etwas essen und trotzdem massiv zunehmen. Das muss man abklären. Dabei handelt es oft um eine Insulinresistenz, ein Problem beim Zuckerstoffwechsel.
Und wer abends auf der Couch wieder schwach wird und zur Tüte Chips greift?
Da muss man mit sich selber in Inventur gehen und überlegen, auf was man verzichten oder was man austauschen kann. Muss es die Tüte Chips sein oder könnte ich das Gefühl, dass ich was Salziges haben möchte, auch mit einem Tomatensaft mit etwas Pfeffer hinkriegen? Der hat wenig Kalorien, und man kriegt vielleicht den Salzhunger weg.
Muss man denn dann komplett auf Chips und Schokolade verzichten?
Ich bin der Meinung, dass man das, was einen schädigt, aus seinem Leben verbannen muss. Man muss sich wie ein Süchtiger behandeln und wirklich darauf verzichten.
Sie haben selber vor Jahren noch fast 90 Kilogramm gewogen bei einer Körpergröße von 1,71 Metern. Wie viel wiegen Sie heute?
67. Ich habe 23 Kilo abgenommen.
Wie haben Sie das geschafft?
Erst mal war da der Schock. Mir wurde damals durch die Fernsehsendung, die ich moderiert habe, der Spiegel vorgehalten. Mir war lange nicht bewusst, dass ich übergewichtig bin. Bei mir war das Süße das Problem. Ich hab‘ den Tag gerne mal mit einem Kuchenstück begonnen oder mit Joghurt mit Schokolade drin, auch in der Praxis habe ich viel Schokolade gegessen. Ich habe auch die süßen Getränke verbannt und nur noch Wasser getrunken.
Ein Bremsklotz beim Abnehmen ist, dass der Stoffwechsel bei übergewichtigen Menschen sehr lange in einem veränderten Modus läuft, der das Abnehmen schwer macht. Sie sagen, Sie seien ein „trockener Dicker“, der ähnlich wie ein trockener Alkoholiker gefährdet bleibt. Kämpft man als ehemaliger Dicker sein Leben lang gegen das Übergewicht?
Eigentlich ja. Im Übergewicht haben wir mehr Stoffwechsel, weil wir mehr Zellen ernähren müssen. In dem Moment, wo ich abnehme, habe ich plötzlich einen verminderten Stoffwechsel. Ich habe es für mich mal ausgerechnet: Als ich abgenommen habe, habe ich 400 Kalorien weniger verbraucht pro Tag. Das heißt, ich musste 400 Kalorien weniger täglich essen, um mein Gewicht zu halten. Diese Kalorien stehen mir nicht mehr zur Verfügung. Auch heute nicht. Doch Essen ist für mich so viel Lebensqualität, dass ich die 400 Kalorien wegsportle – durchs Joggen.
Tipps und Tricks des Mediziners
Welche Rolle spielt Sport beim Abnehmen?
Eine untergeordnete Rolle. Sport führt zu Hunger: In dem Moment, in dem ich in ein Kaloriendefizit gehe, weil ich abnehmen will, gefährde ich dieses Ziel. Ich empfehle das wellenhafte Abnehmen: Zunächst, in dem man die Kalorienzufuhr senkt und das Richtige isst. In der anschließenden Plateauphase, wo sich gewichtsmäßig nicht so viel tut, gewöhnen wir den Körper an das gesunde, dauerhafte Essen. Dann ist Sport ganz wichtig, weil er uns hilft, unser Gewicht zu halten. Man sollte den Erfolg mit einer Waage kontrollieren.
Wie komme ich in die Rutschphase, wie Sie sagen, in der ich Gewicht verliere?
Es gibt Leute, die sagen, ich mache gerne Intervallfasten oder FDH – Friss die Hälfte – für die Rutschphase. Mach‘, was immer du willst, Hauptsache du bist kaloriendefizitär. In der Haltephase geht es darum, nicht wieder rückfällig zu werden und mit der angepassten Kalorienmenge umgehen zu können.

Welche Rolle spielt die Reihenfolge, in der wir bestimmte Lebensmittel essen?
Die volle Katastrophe beginnt mit Gummibärchen: Zucker rein, Insulin hoch, die Fettverbrennung wird gebremst. Das Insulin sorgt dafür, dass Zucker in die Zellen gelangt und aus dem Blutstrom verschwindet. Doch als Speicherhormon erschwert es auch den Abbau von Fett. Der Käse, den ich danach esse, geht dann gleich in die Fettzellen. Nur die halbe Katastrophe tritt ein, wenn ich erst den Käse und dann die Gummibärchen esse: Weniger Aufnahme von Zucker bedeutet weniger Insulin und keine Hemmung der Fettverbrennung.