Kerstin Viering

„And the winner is … a human again!” Auch in diesem Jahr werden bei der Oscar-Verleihung wieder nur Menschen die Preise für die besten Darsteller einheimsen. Dabei ist Schauspielkunst durchaus auch im Tierreich verbreitet. Und manche Arten stellen dabei erstaunliche Talente unter Beweis.

„Eine Oscar-reife Performance“ bescheinigt Ximena Nelson von der University of Canterbury im neuseeländischen Christchurch zum Beispiel den Spinnen der Gattung Myrmarachne. Diese Bewohner von tropischen Regenwäldern brillieren in einer Insekten-Rolle: Mit ihrem für Spinnenverhältnisse ungewöhnlich langen, schlanken und haarlosen Körper und der schmalen Taille sehen sie nicht nur aus wie Ameisen. Um die Illusion perfekt zu machen, laufen sie zudem nur auf sechs ihrer acht Beine. Die anderen beiden halten sie winkend über den Kopf, als handele es sich um Insektenfühler. Sie imitieren sogar die eher hektischen Bewegungsmuster von krabbelnden Ameisen. Mit diesem überzeugenden Auftritt schützen sich die achtbeinigen Schauspielerinnen vor anderen Spinnenarten, die aggressiven Ameisen lieber aus dem Weg gehen.

Auch andere Tiere schlüpfen gern in die Rolle einer wehrhaften oder ungenießbaren Art, um gefräßige Gegner abzuschrecken. Einen der talentiertesten Monster-Darsteller überhaupt haben Mark Norman von der University of Melbourne 1998 vor der Küste der indonesischen Insel Sulawesi entdeckt. Bei wissenschaftlichen Tauchgängen stießen die Forscher dort auf den bis dahin unbekannten Imitator-Kraken Thaumoctopus mimicus. Und der verblüffte mit einem erstaunlich reichhaltigen Rollenrepertoire. Normalerweise ist dieser Oktopus, der zwischen seinen ausgestreckten Armen eine Spannweite von bis zu 60 Zentimetern erreicht, ein eher unauffälliger Zeitgenosse. In gedeckte Brauntöne gehüllt kriecht er über den Meeresgrund und steckt seine Arme in Löcher und Spalten, um nach fressbaren Krebsen und anderen Leckerbissen zu fahnden. Wenn er sich allerdings bedroht fühlt, kann er sehr überzeugend verschiedene Gifttiere darstellen.

Oktopus als Feuerfisch

Zum Beispiel die in der Region häufigen Seezungen der Gattung Zebrias, die sich mit Giftdrüsen an der Basis ihrer Rücken- und Afterflosse verteidigen. In dieser Rolle legt die Krake alle acht Arme so an, dass er eine flache Plattfisch-Figur bekommt, und versetzt seinen Körper in wellenförmige Bewegungen. Schwimmt er dagegen direkt über dem Meeresboden und zieht die weit abgespreizten Arme hinter sich her, sieht er aus wie ein Feuerfisch mit drohend aufgestellten Giftstacheln. Und manchmal schiebt er sechs Arme in ein Loch streckt die beiden übrigen in entgegengesetzte Richtungen aus und macht damit schlängelnde Bewegungen. Das gelb-schwarze Streifenmuster, mit dem er bei so einem Auftritt seine Arme schmückt, macht die Illusion einer giftigen Plattschwanz-Seeschlange perfekt.

Daneben versuchen sich die Tiere manchmal auch noch als Seeanemonen- oder Quallen-Darsteller. Bisher haben Wissenschaftler noch keinen anderen tierischen Schauspieler entdeckt, der in so viele verschiedene Rollen schlüpfen kann. Diese Flexibilität hat für die Verwandlungskünstler einen großen Vorteil. Sie können nämlich je nach Situation immer die erfolgversprechendste Inszenierung wählen. Wenn sie zum Beispiel von Anemonenfischen angegriffen werden, spielen sie in der Regel eine Seeschlange, die solche Tiere frisst. Möglicherweise zwingt das Leben auf offenen Sand- und Schlammflächen ohne viel Deckung die Imitator-Kraken zu derart raffinierten Verteidigungsstrategien.

Doch auch andere Mitglieder ihrer Verwandtschaft sind für ihre Verwandlungskünste bekannt. Etliche Arten schlüpfen zur Tarnung zum Beispiel in die Kostüme von ungenießbaren Steinen, Korallen oder Algen. Es ist wohl kein Zufall, dass Biologen ausgerechnet unter den Tintenfischen so viele begabte Schauspieler entdeckt haben. Denn diese Tiere sind ungewöhnlich wandlungsfähig. Da sie kein starres Skelett besitzen, kann ihr Körper problemlos ganz unterschiedliche Formen annehmen. Und auch die Farbe, das Muster und die Textur ihrer Haut können sie in kürzester Zeit verändern.

Säugetiere und Vögel sind da deutlich weniger flexibel. Trotzdem bringen auch sie durchaus eindrucksvolle Vorstellungen auf die Bühne. Allerdings verändern sie statt ihres Aussehens lieber ihr Verhalten, um den gewünschten Effekt zu erzielen.Bei Vögeln ist zum Beispiel die Rolle des falschen Kranken beliebt. Wenn sie einen Feind von ihrem Nest weglocken wollen, hinken sie ungeschickt davon, lassen sie einen scheinbar gebrochenen Flügel hängen und spielen die leichte Beute.

Nimmt das Raubtier dann die Verfolgung auf, stellt es nach einiger Zeit fest, dass der Vogel kerngesund ist: Sobald es sich weit genug vom Nest entfernt hat, flattert der gefiederte Schauspieler davon. Ein solches Verhalten haben Biologen schon bei einer ganzen Reihe von Vogelarten beobachtet – von Regenpfeifern über Kraniche bis hin zu Uhus. Oft sind die Vorstellungen dabei so überzeugend, dass sich auch Wissenschaftler täuschen lassen und zunächst an eine echte Verletzung glauben.

Artgenossen getäuscht

Allerdings dient nicht jedes tierische Rollenspiel nur der Verteidigung, manchmal stecken auch durchaus aggressive Absichten dahinter. Frans de Waal vom Yerkes National Primate Research Center in den USA ist zum Beispiel davon überzeugt, dass Schimpansen in die Rolle des harmlosen Pazifisten schlüpfen, um Rache nehmen zu können. Im Zoo der niederländischen Stadt Arnheim hat der Verhaltensforscher eine solche Strategie mehrfach beobachtet.

Immer waren die Hauptdarstellerinnen dabei erwachsene Weibchen, die ihre Gegner in einem Konflikt nicht zu fassen bekommen hatten. Mit freundlichen Gesten und einer entspannten Körperhaltung wiegten sie den vorher Entkommenen dann zunächst in Sicherheit und lockten ihn heran. Doch kaum war der Kontrahent in Reichweite gekommen, packten sie ihn und griffen an.Trotz solcher raffinierten Inszenierungen ist aber selbst für die nächsten Verwandten des Menschen kein Oscar in Sicht.

Ein Orang-Utan namens Bam Bam, der in einer Sitcom eine Krankenschwester gespielt hatte, war 2004 immerhin für einen Emmy Award im Gespräch. Doch die American Academy of Television Arts and Sciences urteilte, dass ein Tier nicht nominiert werden könne. Die höchste Fernsehauszeichnung der USA sei Schauspielern vorbehalten, die eine Rolle nuancenreich interpretieren und in einen Dialog mit ihrem Publikum treten könnten. Und das sei eben nur Menschen möglich. Die getäuschten Schimpansen im Zoo von Arnheim dürften da anderer Meinung gewesen sein. Vielleicht hatte Bam Bam einfach nur die falsche Rolle.


Im Video: Diese Schauspieltricks nutzen die Tiere

 


„Mimikry“: Spinne mimt Ameise


„Mimikry“ nennen Biologen Täuschungsmanöver, bei denen eine Art das Aussehen und Verhalten einer anderen imitiert. Besonders beliebt scheint dabei ein Auftreten als Ameise zu sein. Diese Strategie hat sich in der Familie der Springspinnen mehrmals unabhängig voneinander entwickelt. So krabbeln allein mehr als 200 Ameisen-Darsteller der Gattung Myrmarachne durch die tropischen Regenwälder Asiens, Afrikas und Australiens. Damit scheint die Ameisen-Imitation eine der häufigsten Formen von Mimikry zu sein.

Spinnen haben davon mehrere Vorteile. Zum einen können sie so Feinde abschrecken. Zum anderen bieten die Krabbeltiere selbst jede Menge Beute für Arten, die sich unerkannt in ihre Reihen schleichen können. Einen besonders raffinierten Trick hat eine afrikanische Spinne namens Myrmarachne melanotarsa auf Lager. Sie profitiert davon, dass viele andere Spinnen ihren Nachwuchs im Stich lassen, wenn sie sich einer vermeintlich aggressiven Ameise gegenübersehen. Das nutzt die Insekten-Darstellerin aus, um die Eier und die frisch geschlüpfte Brut der Geflüchteten zu fressen.