Wer sich weigert, trotz Jobangeboten aufs Arbeiten zu verzichten und stattdessen lieber Bürgergeld ins eigene Portemonnaie fließen lassen möchte, der soll künftig komplett leer ausgehen: Zumindest wenn es nach CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geht. Der Politiker will „Totalverweigerern“ das Leben entsprechend schwer machen. Doch lässt sich dieser Vorschlag überhaupt mit geltendem deutschem Recht vereinbaren? Das Bundesverfassungsgericht hat dazu eine klare Antwort – ebenso wie Linnemanns Politikerkollegen.
Kann mir das Bürgergeld komplett gestrichen werden?
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann und das Bürgergeld werden offenbar keine Freunde mehr: Zunächst erklärte er, dass seine Partei, sollte sie wieder in der Regierung das Sagen haben, das Bürgergeld in seiner aktuellen Form abschaffen möchte. Jetzt wettert der 46-Jährige gegen die sogenannten Totalverweigerer, die trotz Möglichkeiten zur Arbeit lieber vom Bürgergeld leben. Der Berliner Morgenpost sagte Linnemann, dass der Staat bei jenen, die nicht bereit seien, arbeiten zu gehen, davon auszugehen habe, diese Personen seien nicht bedürftig. Folglich sollten sie entsprechend auch kein Bürgergeld mehr beziehen dürfen. Die Statistik lege nahe, dass eine insgesamt sechsstellige Zahl an Empfängern prinzipiell nicht bereit sei, überhaupt zu arbeiten.
Das Bürgergeld steht seit seiner Einführung in der Kritik. Die geplante Reform des Bürgergelds – allen voran schärfere Maßnahmen für sich weigernde Empfänger – könnte anders ausfallen, als es die Ampel-Koalition plant. Zuletzt gab es reichlich Diskussion um die geplante Erhöhung. Aber auch die aktuellen Entwicklungen bleiben im politischen Leben nicht unkommentiert und so könnte es, was das Bürgergeld 2025 angeht, doch noch anders kommen.
Geht es nach dem CDU-Generalsekretär, ist damit nicht genug. „Totalverweigerern“ soll das Bürgergeld, so argumentiert er, gänzlich gestrichen werden. Könnte der Entzug verfassungswidrig sein? Um diese Frage zu beantworten, lohnt der Blick in ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts von 2019.
Währenddessen ließen die Reaktionen auf den CDU-Vorstoß nicht lange auf sich warten. Wie deutschlandfunk.de berichtet, sagte Beate Müller-Gemmeke (Grüne), der CDU-Politiker hetze mit falschen Zahlen gegen Bürgergeldbezieher. So ähnlich sehe es auch Ates Gürpinar (Linke). Christian Bäumler, Vize-Vorsitzender der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft, nannte es nicht mit dem christlichen Menschenbild der CDU vereinbar, Menschen hierzulande dem Hunger auszusetzen.
Bürgergeld streichen: Darf der Staat das überhaupt?
Eine komplette Auslassung der finanziellen Unterstützung für bedürftige Menschen in Deutschland, so urteilte das Bundesverfassungsgericht im November 2019, ist nicht rechtens. Die Anforderungen an die „Ausgestaltung staatlicher Grundsicherungsleistungen“ würden sich ergeben aus der „grundrechtlichen Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums“. Und diese wiederum sind zum einen in Artikel 1 (Menschenwürde) sowie Artikel 20 (Sozialstaatsprinzip) festgeschrieben.
Doch Karlsruhe hielt ebenso fest: Wer seine Existenz durch Arbeit sichern kann und eine „zumutbare Erwerbstätigkeit ohne wichtigen Grund willentlich verweigert“, obwohl es beispielsweise Jobangebote gab, für den sei „ein vollständiger Leistungsentzug zu rechtfertigen“. Wie die Berliner Morgenpost berichtet, hätte die Ampelkoalition sich dessen Spielraums bedient, als sie im Frühjahr Sanktionen für „Totalverweigerer“ beschloss.
Wie viele Bürgergeld-Empfänger verweigern die Arbeit?
CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann führt seinen Vorschlag für die komplette Streichung auf die Interpretation der Statistik zurück. Doch wie viele Bürgergeld-Empfänger verweigern tatsächlich die Arbeit? Eine Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung fand heraus, dass nach Umstellung auf das Bürgergeld im ersten Jahr sechs Prozent weniger einen Job aufnahmen als noch während der Zeit der Grundsicherung. Ein Forscher-Team der Ernst-Abbe-Hochschule Jena wiederum fand heraus, dass viele Berechtigte – die Wissenschaftler sprechen von bis zu 40 Prozent – Bürgergeld überhaupt nicht in Anspruch nehmen würden.
Wie viele Totalverweigerer es beim Bürgergeld jedoch tatsächlich gibt, ist nicht ganz klar. Die Tagesschau hakte bei der Bundesagentur für Arbeit nach. Ein Sprecher betonte, dass man statistisch nicht auswerten könne, wie oft eine Minderung festgestellt worden sei, weil jemand eine Arbeit abgelehnt habe. Erfasst werde jedoch der Minderungsgrund „Weigerung Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung, Maßnahme oder eines geförderten Arbeitsverhältnisses“. Und diese Kennzahl zeigt: In den ersten elf Monaten 2023 gab es insgesamt knapp 14.000 Fälle.