Seitdem das Bürgergeld 2023 die Vorgängerleistung, das sogenannte Hartz IV, abgelöst hat, gibt es immer wieder hitzige Diskussionen über die Sozialleistung. Die Vorwürfe: Das Bürgergeld sei zu hoch, die Empfänger würden nicht arbeiten wollen und würden den Sozialstaat ausnutzen. Die Kritik der aktuellen Schwarz-Roten Regierung geht sogar so weit, dass diese das Bürgergeld komplett überarbeiten und durch die sogenannte Neue Grundsicherung ersetzen möchte. Doch Experten und Sozialverbände kritisieren regelmäßig, dass die Debatte unsachlich, emotionalisiert und populistisch geführt werde.
Nun äußerte sich eine Expertin in einem Interview dazu - und fand deutliche Worte. Sie warf den Kritikern des Bürgergeldes Lügen und Täuschung zulasten der Beziehenden vor. Welche Argumente sie zu entkräften versuchte, und was die Expertin für „Schwachsinn“ hält, erfahren Sie hier.
Expertin über Bürgergeld: „Da werden Lügen verbreitet“
Die Expertin, die klare Worte zum Bürgergeld fand, ist Barbara Höckmann. Sie ist die Präsidentin von Sachsen-Anhalts Armutskonferenz (LAK), einem Zusammenschluss von rund dreißig Vereinen und Verbänden aus der Sozialarbeit. Im Interview mit dem MDR nannte sie die Debatte ums Bürgergeld eine „Form der Sozialstaatsdiskussion, die meiner Meinung nach in die völlig falsche Richtung geht“. Man versuche bei Bürgergeldbeziehern und Geflüchteten zu sparen, um das Geld woanders einsetzen zu können.
Als im Interview der regelmäßig vorgebrachte Generalvorwurf zur Sprache kam, dass das Bürgergeld zu hoch sei und Bürgergeldempfänger sich in der sozialen Hängematte ausruhen würden, entgegnete Höckmann: „Da werden Lügen verbreitet und die, die sie verbreiten, wissen, dass es Lügen sind.“ Anschließend bezog sich die LAK-Präsidentin auf eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung, in der es darum ging, ob sich Arbeit noch lohnt.
Dafür wurde in unterschiedlichen Städten die Höhe des Bürgergelds mit dem Mindestlohn verglichen. „Ich habe mir das mal für Halle angeguckt und in Halle heißt das: Ein Alleinstehender hat mit Mindestlohn 595 Euro mehr als ein Bürgergeldbezieher, eine Alleinerziehende mit einem Kind, fünf Jahre, hat 773 Euro mehr und ein Ehepaar, zwei Kinder, 45, – einer arbeitet mit Mindestlohn –, die haben 724 Euro mehr“, nannte Höckmann als Beispiel. Ihr Fazit: „Also das ist absoluter Schwachsinn, zu behaupten, man würde sich da cool ausruhen können und Arbeit würde sich nicht mehr lohnen.“
Bürgergeld-Debatte: Expertin kritisiert falschen Umgang mit Zahlen
Außerdem ordnete die LAK-Präsidentin einige Zahlen ein, die in der Bürgergeld-Debatte immer wieder von Kritikern der Sozialleistung vorgebracht werden. Eine Rechnung betraf dabei den Anteil der Menschen unter den derzeit 5,5 Millionen Bürgergeld-Empfängern, die überhaupt arbeiten könnten.
Höckmann zog die derzeit 1,8 Millionen Kinder ab, die Bürgergeld bekommen, dazu kommen weitere 2,1 Millionen Menschen, die nicht sofort in einer Arbeit untergebracht werden könnten, da sie Angehörige pflegen, in Weiterbildung sind, keine Betreuung für ihre Kinder oder gesundheitliche Probleme haben: „Also unterm Strich sind es nur 1,7 Millionen, die überhaupt nur dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, auch wenn immer von 5,5 Millionen geredet wird“, fasste Höckmann zusammen.
Expertin über Bürgergeld: „Das halte ich für Schwachsinn.“
Auch in der Diskussion um die sogenannten Totalverweigerer wird laut Höckmann mit falschen Zahlen gearbeitet: „Herr Linnemann, der Generalsekretär der CDU, spricht von sechsstelligen Zahlen. Das ist alles gelogen.“ Es gebe laut Höckmann nur 16.000 Totalverweigerer. Diese durch Streichungen der Leistung zu bestrafen, hält Höckmann, die selbst 25 Jahre lang in der Sozialberatung tätig war, für „Schwachsinn“. CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann schlug bereits im Wahlkampf letztes Jahr vor, das Bürgergeld komplett zu streichen, wenn Bürgergeldberechtigte Arbeit verweigerten. Die Union möchte diese Möglichkeit auch in der Neuen Grundsicherung durchsetzen - auch wenn Experten den Plan skeptisch sehen.
Bei den Totalverweigerern gebe es viele Leute, die psychisch überfordert seien und Briefe nicht aufmachten, weil sie Angst vor dem Amt hätten, sagte Barbara Höckmann: „Die versuchen dann Augen und Ohren zuzumachen, weil sie gar nicht wissen, wie das System funktioniert.“ Und die, die „richtig clever sind, die kriegt man sowieso nicht. Die finden eine andere Lücke, die suchen sich wieder was Neues.“
LAK-Präsidentin kritisiert „Märchen“ vom Bürgergeld-Luxus
Ein anderer Punkt in der Bürgergeld-Diskussion stellen die Kosten für Wohnraum dar. Wie die Bundesagentur für Arbeit informiert, übernimmt das Jobcenter für gewöhnlich die Kosten für Unterkunft und Heizung. Die Bedingung hierfür ist jedoch, dass diese angemessen sind. Was als angemessen gilt, ist je nach Stadt unterschiedlich definiert. Hierzu erklärte Höckmann: „Und wenn man sich die Preise anguckt, zum Beispiel in Halle, dann sieht man, dass für den Preis im Prinzip auch nur ein begrenzter Wohnungsmarkt zur Verfügung steht“. Alles, was saniert worden sei, liege preislich über dem, was die Stadt als Unterkunftskosten definiert habe. „Also das sind auch so Märchen, die da erzählt werden, wie luxuriös Leute leben. Das ist aus meiner Sicht alles Schwachsinn“, schloss Barbara Höckmann das MDR-Interview.
Übrigens: Wie es ist, vom Bürgergeld zu leben, hat ein Betroffener eindrücklich geschildert. Er berichtet von bitterer Armut und stellt Forderungen.