"Rein gar nichts" werde sich für die Mitarbeiter ändern, versprach der Friedrichshafener Automobilzulieferer ZF im Sommer 2017, als er den Verkauf seines Radolfzeller Werks nach China bekannt gab. Das Versprechen hat nur wenige Monate gehalten. Unter dem neuen Eigner, dem chinesischen Mischkonzern Luxshare, werden seit Monaten in Radolfzell massiv Jobs abgebaut. Die Gründe dafür liegen allerdings schon viel länger zurück.

Wie aus Branchenkreisen verlautete, habe sich die Anzahl der Beschäftigten, des jetzt unter dem Namen BCS firmierenden Unternehmens, seit Mitte 2017 um rund 200 Mitarbeiter verringert. In dem Werk werden vor allem Elektronikteile und Schalter für die Automobilindustrie gefertigt. Die Unternehmensleitung war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. Der Betriebsratsvorsitzende des Standorts, Thomas Kummnik, bestätigte die SÜDKURIER-Informationen allerdings. Besonders in der Produktion seien Jobs abgezogen worden, sagte er.

Betriebsbedingte Kündigungen stehen im Raum

Aktuell arbeiten demnach noch rund 880 Beschäftigte in dem ehemaligen TRW-Messmer-Werk, das zuerst bei ZF unter die Fittiche schlüpfte und im Mai diesen Jahres von Luxshare mit Sitz in Hongkong übernommen wurde. Der Arbeitsplatzabbau erfolgte nach SÜDKURIER-Informationen hauptsächlich, indem befristete Verträge von Leiharbeitern nicht mehr verlängert wurden. Nun stehen aber auch betriebsbedingte Kündigungen im Raum.

Die Unternehmensleitung habe den Beschäftigten "freiwillige Aufhebungsverträge angeboten" mit dem Ziel, 40 weitere Stellen abzubauen, sagte Thorsten Schlicht von der IG Metall Singen unserer Zeitung. Dieses Ziel sei aber nach Ablaufen des Angebots Ende September "nur rund zur Hälfte erreicht worden", sagte Schlicht. "Bis Mitte oder Ende Oktober" rechne man mit einer Entscheidung der Geschäftsführung, ob es zu betriebsbedingten Kündigungen komme, sagte Betriebsratschef Kummnik.

"Bei BCS wurde einiges versäumt"

Die Jobstreichungen in Radolfzell fügen sich in einen breiteren Trend in der Region ein. Beim Würze-Hersteller Maggi in Singen sollen ebenso Arbeitsplätze wegfallen wie beim Ventilatoren-Weltmarktführer ebm-Papst im Schwarzwald. Erst kürzlich hat überdies der Pharma-Riese Novartis angekündigt, im deutsch-Schweizer Grenzgebiet 2100 Stellen zu streichen. Und auch beim Großmotorenbauer Rolls Royce Power Systems in Friedrichshafen könnten nach Angaben des Betriebsrats mehrere hundert Stellen wegfallen, weil die Konzernmutter in Großbritannien spart.

Im Hintergrund stehen unterschiedliche Entwicklungen – von unternehmerischen Fehlentscheidungen, bis hin zu neuen Markttrends oder schlichtem Kostendruck. Die Gründe für den schleichenden Kahlschlag bei BCS in Radolfzell sieht der Betriebsrat in strategischen Fehlern des Managements. Man habe sich zu stark auf dem bestehenden Know-how ausgeruht und der Neuaquise von Aufträgen zu wenig Augenmerk geschenkt, sagte Mitarbeitervertreter Kummnik. Auch IG-Metall-Mann Schlicht sagt: "Bei BCS wurde einiges versäumt".

Verlust eines sehr lukrativen Großauftrags

Konkret liegt der jetzigen Misere der Verlust eines sehr lukrativen Großauftrags des Automobilriesen Ford zugrunde. BCS lieferte für Ford bislang zentrale Elemente des Armaturenbretts. Schon vor Jahren haben sich die Kölner allerdings entschieden, den Nachfolgeauftrag nicht mehr nach Radolfzell zu vergeben. Ersatz gibt es nicht. Folge: In den Umsatzprognosen des Radolfzeller Standorts für die kommenden drei Jahre klafft eine Riesenlücke. Aus Unternehmenskreisen verlautete, der Umsatz bei BCS in Radolfzell werde nun weiter sinken. Von 151 Millionen Euro im laufenden Jahr auf 142 Millionen Euro in 2019. Für Nachfragen war die Geschäftsführung auch in dieser Frage nicht erreichbar.

Dem Vernehmen nach hinkt der Standort vor allem beim Trend zu Touch-Screens im Automobilbereich hinterher. Ein entsprechendes Produkt gibt es noch nicht. "Die Strategie der Unternehmensführung ist nicht aufgegangen", heißt es von der IG-Metall. Diese sieht die Versäumnisse übrigens nicht beim neuen Eigner Luxshare, sondern bei deren Vorgängern TRW, aber auch der ZF Friedrichshafen. Dass der große und lukrative Ford-Auftrag wegfallen wird, sei lange bekannt gewesen. Geschehen sei dennoch nichts, heißt es. In der kurzen Zeit, in der Luxshare am Ruder sei, sei es schwierig gewesen, gegenzusteuern.