Lieber Herr Ceferin,

ich habe Puls. Und zwar richtig. Tatsächlich musste ich diese Zeilen mehrfach umschreiben, um die Netiquette zu wahren. Was mich aufregt und was das mit Ihnen als Chef der Europäischen Fußball-Union zu tun hat? Ich versuche es so sachlich wie nur irgendwie möglich zu formulieren.

STECKEN SIE SICH DOCH IHRE EM-SPIELE IN MÜNCHEN AN DEN HUT, WENN SIE UNBEDINGT GARANTIEN FÜR ZUSCHAUERZULASSUNGEN WOLLEN.

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Die Großbuchstaben dürfen Sie gerne mit einer gesteigerten Lautstärke gleichsetzen, die ich im Falle eines persönlichen Telefonats gewählt hätte. Was glauben Sie eigentlich, was wir hier machen? Wir verzichten seit Monaten auf persönliche Treffen, unsere Kinder dürfen teilweise noch immer nicht in die Schulen oder Kindergärten gehen und die Gastronomie ist sowieso am Ende. Wir haben wirklich genug von dieser Pandemie und den sich daraus ergebenden Umständen. Und auch uns fehlt der Fußball. Aber uns droht auch in vielen Krankenhäusern die Triage, weil die Intensivbetten alle belegt sind. Das heißt, dass Ärzte darüber entscheiden werden, wer behandelt wird – und wer sterben muss.

Wie Lanz ohne Lauterbach

Und da kommen Sie wie ein starrsinniges Kind mit Ihren Forderungen ums Eck, dass die EM unbedingt vor Zuschauern stattfinden muss. Damit wir uns richtig verstehen: Wir wünschen uns das auch. Fußball ohne Zuschauer ist wie Dick ohne Doof, wie Bruce Springsteen ohne E Street Band, wie Lanz ohne Lauterbach, Wimbledon ohne Erdbeeren. Aber was nicht geht, das geht eben nicht. Und derzeit drängen andere Probleme. Und im Juni? Was weiß ich, wie die Lage im Juni sein wird, welche Mutanten uns dann beschäftigen werden? Und Sie wollen Garantien? Garantieren kann ich, dass die Gesundheit wichtiger als alles andere ist. Da verkommt ein Fußballspiel, selbst eine ganze EM, doch zur Nebensache.

UEFA-Präsident Aleksander Ceferin.
UEFA-Präsident Aleksander Ceferin. | Bild: dpa

Und ob jetzt 20 000 geimpfte und getestete Personen im weiten Rund sitzen oder nicht – die Stimmung rettet das doch auch nicht. 20 000 Fans in München? Da ist gerade mal jeder dritte Platz belegt. Und falls sie es nicht mitbekommen haben, die Stimmung bei Länderspielen war bei uns schon vor Corona schlecht, also als die Stadien noch größtenteils voll waren.

EM in zwölf Ländern ein „Irrsinn“

Lieber Herr Ceferin, allein die Tatsache, dass die EM in zwölf verschiedenen Städten ausgetragen wird, ist in diesen Zeiten ein Irrsinn. Vernünftig wäre gewesen, das ganze Event abzusagen. Das hätte nicht einen einzelnen Ausrichter getroffen, sondern alle. Wenn aber schon gespielt werden muss, damit die TV-Gelder fließen, dann doch an einem Ort, um unnötige Reisen und damit Ansteckungen zu verhindern. In London etwa, wenn es die Lage dort zulässt, gerne auch mit Zuschauern. In München ist eine solche Rückkehr zur Normalität noch nicht absehbar. Wenn Ihnen das nicht passt, müssen Sie sich tatsächlich über Alternativen Gedanken machen. Katar soll Interesse haben.

Quatsch, das habe ich mir gerade ausgedacht. Andererseits – es gibt nichts, was ich Ihnen und Ihren Kollegen bei der Fifa und der Uefa nicht zutrauen würde.

Enttäuschte Grüße, Ihr
Dirk Salzmann, Sport-Redakteur