So wie es mal war, wird es nie wieder werden. Das, was viele Menschen fürchten, kehrt Zukunftsforscher Matthias Horx ins Gegenteil. Nicht Apokalypse, sondern Neuanfang lautet seine Devise. Damit trifft er einen Nerv.
„Wir erleben ein unkontrollierbares Kollabieren unseres Alltags und der Welt, wie wir sie kannten“, schreibt das Zukunfsinstitut in einem Weißpapier über die Zeit nach der Corona-Krise.

Dabei ist diese Vision nur eine von vier möglichen Szenarien, die das Zukunftsinstitut mit Sitz in Frankfurt am Main und Wien veröffentlicht hat.
Doch nur das eine, extrem optimistische Szenario, in dem wir gestärkt aus der Krise gehen und nachhaltig etwas verändern, schafft das, was derzeit nur das Virus selbst schafft – eine extrem schnelle Verbreitung, und zwar digital.
Suche nach Hoffnung oder alles nur Märchen?
Warum ist das so? In Krisenzeiten suchen Menschen nach Orientierung, scheint es. Der Tübinger Medienforscher Bernhard Pörksen sieht solche Zukunftsforschungen allerdings kritisch: „Trendforschung war immer schon in der Versuchung, Märchen für Erwachsene zu liefern und mit ein paar flotten Schlagworten über eine Zeit zu philosophieren, die niemand kennen kann: die Zukunft“, sagt der Wissenschaftler dem SÜDKURIER auf Anfrage.
Den Medienexperten überrascht es nicht, dass der Zukunftsforscher Horx mit seinem optimistischsten Szenario eine große Resonanz bekommt: „Es ist in diesen deprimierenden, krisenhaften Zeiten keineswegs verwunderlich, dass die positiven Geschichten nun stärker verfangen.“ Pörksen erklärt dieses Phänomen so: „Sie geben Hoffnung und taugen in der momentanen Stimmungslage als eine Art narratives Antidepressivum.“
Warum sich Trendbeoachter und Zukunftsforscher nicht mögen
Die Menschen sehnen sich nach einem Lichtblick am Horizont. „Es ist eine schöne Geschichte, ein Hoffnungsschimmer in einem wahnsinnigen Leben“, sagt auch Trendbeobachter Mathias Haas.

Mathias Haas distanziert sich von der Zukunftsforschung: „Wir definieren unsere Arbeit als Beobachtung und nicht als Forschung“, sagt Haas dem SÜDKURIER. „Es gibt Informationen genug, es fehlt an Orientierung“, meint Haas. Doch niemand könne genau sagen, wie sich die Welt verändere nach der Krise.
Die Krise als Chance
Horx hat seine Botschaft medienwirksam in Szene gesetzt, seine Ode an die Zukunft ist frei verfügbar auf seiner Webseite. „Im Rausch des Positiven: Die Welt nach Corona“ wirkt wie ein von Glückshormonen durchtränkter Beitrag. Wer ihn liest, fühlt sich optimistisch, fast schon beschwingt. Es bleibt das Gefühl zurück, dass die Gesellschaft sich durch diese Krise wirklich positiv verändern könnte.
Der Inhalt geht so: Die Menschen besinnen sich wieder auf das Miteinander, Familie bekommt wieder einen höheren Stellenwert, ebenso wie gesellschaftliche Höflichkeit. WhatsApp wird von Anrufen verdrängt, ausgiebige Spaziergänge und Bücher erleben eine Renaissance, Realityshows verlieren zunehmend an Reiz, Fake News werden nicht mehr unreflektiert weitergegeben. So weit, so bewahrheitet.
Optimistische Aussichten des Zukunftsforschers
Doch das optimistische Szenario geht noch weiter. Schon im Sommer könnte ein Medikament gegen den Virus gefunden sein, die künstliche Intelligenz wird nicht mehr als Allheilmittel betrachtet – denn die Lösung haben Menschen gefunden. Die Wirtschaft schrumpft, Unternehmen gehen pleite, die Börse stürzt um 50 Prozent ab, aber fällt nie ins Bodenlose.
Horx‘ Szenario wirkt auch deshalb so packend, weil er es aus der Retroperspektive schreibt, statt Prognose eine „Regnose“, wie er es nennt. Der Blick aus der fernen Zukunft zurück in die etwas nähere Zukunft, die Vergangenheit von morgen.
Die globale Wertschöpfungskette hat sich in dem Szenario selbst abgeschafft, regionale Produktionsstätten sind gefragt. Vermögen spielt in der neuen Welt ohnehin keine Rolle – so prophezeit es Horx in seiner optimistischsten Zukunftsvision. Stattdessen finden wir zu neuen Ideen, aus der Angst wird Neugierde auf diese neue Welt. Die Welt hat sich neu erfunden.
Neun Thesen des Trendbeobachters
Haas stellt dagegen neun Thesen auf – einige davon sind optimistisch, andere eher pessimistisch, um eine Orientierung zu bieten. Eine andere Herangehensweise, die insgesamt aber realistischer wirkt.
Während der Trend zum Homeoffice gestärkt würde, drohten viele der nun eingeführten Infektionsschutzmaßnahmen nicht mehr aufgehoben zu werden. Es ist das Szenario, das bei Horx das Negativste ist und nicht dieselbe Aufmerksamkeit fand wie sein Optimistischstes.
Haas geht davon aus, dass der Mittelstand bluten wird, während Konzerne aus dem Silicon Valley und Handelsriesen wie Amazon als Gewinner aus der Krise gehen. Überwachungssoftware mit eingeschlossen.
Ausgerechnet China gewinnt Haas‘ These nach massiv an Imagepunkten, zum Beispiel, weil es Italien mit medizinischem Personal und Medikamenten aushelfen: „Das wird den Menschen ähnlich in Erinnerung bleiben wie die Luftbrücke der Amerikaner im Kalten Krieg“, erklärt er.
Biotechnologie und Pharmakonzerne sind auf Augenhöhe, Regelbrecher setzen sich durch und es wird neue Gewinner geben, Wissenschaftler werden an Ansehen gewinnen. Autokratische Systeme werden teils nicht überleben, verbleibende sind so ausgehöhlt, dass sie leicht zu einer Diktatur werden könnten.
Negative Folgen werden nicht ausbleiben
Haas will kein Schwarzmaler sein: „Natürlich gibt es Chancen, wie man am Beispiel von Louis Vuitton sieht, die Desinfektionsmittel herstellen statt Parfum“, sagt er dem SÜDKURIER. „Aber die wirtschaftlichen Folgen von Kurzarbeit und die steigende Arbeitslosigkeit muss erst einmal verarbeitet werden“, mahnt der Trendforscher. Dass sich Teile der Globalisierung wieder amortisieren und Unternehmen wieder auf deutsche Zulieferer und Maschinenbauer setzen, sei aber naheliegend.
Der gesamte Prozess könnte sehr lange dauern, warnt er – vor allem, wenn die Kurve der Virusausbreitung langsam verläuft. „Da ist eine hohe Selbstdisziplin gefragt“, sagt er mit Blick auf die vielen Menschen, die derzeit im Homeoffice arbeiten. „Das wird ein Mittel- und Langstreckenrennen – und das weltweit“. Das klingt nicht gerade optimistisch. „Der Mensch hält die Wahrheit aus“, entgegnet Haas.
Die realistische Prognose
Keiner der beiden Wissenschaftler will sich aber festlegen, welches Szenario, welche Thesen sich durchsetzen werden. Am Ende bleibt, dass das Virus die Gesellschaft vor eine große Herausforderung stellt und daraus zwangsläufig Veränderungen entstehen werden. Und die könnten durchaus positiv sein.
Am Ende liegt es in unserer Hand, was wir aus der Krise machen.