So stark waren sie noch nie. Ohne sie geht in der deutschen Politik nichts. Mögen CDU, CSU und SPD im Bundestag auch eine satte 80-Prozent-Mehrheit haben, so schrumpfen sie doch im Bundesrat zu politischen Zwergen. Dort haben die Grünen, die mittlerweile in elf Ländern an der Regierung beteiligt sind und mit Winfried Kretschmann in Baden-Württemberg sogar einen Ministerpräsidenten stellen, das Sagen. Da sich ein Land enthalten muss, wenn sich die jeweilige Koalition nicht einig ist, können die Grünen praktisch alle zustimmungspflichtigen Gesetze der großen Koalition zu Fall bringen. Wie am Freitag: Mit ihrem Nein verhinderten sie, dass die Maghreb-Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt werden.

Und doch steht diese Stärke der Grünen auf tönernen Füßen. Wie ein Scheinriese werden sie immer kleiner und schwächer, je näher man ihnen kommt. Auf Bundesebene gelingt es ihnen nicht, aus ihrer Relevanz in den Ländern Kapital zu schlagen. Und seitdem Martin Schulz wie ein Hurrikan über Deutschland fegt, das erstarrte politische System durcheinanderwirbelt, die SPD reanimiert und mit einem Turbo den Rückstand zur Merkel-Union verkleinert, wirken die Grünen wie paralysiert. Die Karten des Wahlkampfes werden gerade neu gemischt – und die Ökopartei scheint bei der Verteilung der Trümpfe leer auszugehen.

Ein Stück weit liegt dies in der Natur der Sache. Ein Wahlkampf wird immer vor allem als Duell der beiden Spitzenkandidaten von CDU/CSU und SPD wahrgenommen, das Interesse an den Kleinen lässt nach. Mit Schulz aber hat der Zweikampf ums Kanzleramt an Brisanz gewonnen. Erstmals ist da ein Herausforderer, der eine echte Chance hat, Merkel zu schlagen. Je stärker die beiden Elefanten, desto größer die Gefahr für die Kleinen, zertrampelt zu werden.

Hinzu kommen aber hausgemachte Probleme. Der Flügelstreit zwischen Fundis und Realos wird zwar nicht mehr auf offener Bühne, sehr wohl aber hinter den Kulissen bei der strategisch bedeutsamen Frage ausgetragen, mit wem die Grünen koalieren sollen: CDU oder SPD? Jamaika, Ampel oder Rot-Rot-Grün? Das macht nicht nur die Grünen ratlos, sondern auch ihre Wähler. Bekommt man mit ihnen Angela Merkel mit Christian Lindner oder Martin Schulz mit Sahra Wagenknecht? Das ist ein gewaltiger Unterschied.

Mutlos und verzagt

Auch programmatisch spitzt sich der Zweikampf zwischen Union und SPD zu. Beide Parteien rücken sichtlich voneinander ab und schärfen ihr jeweiliges Profil: Hier innere Sicherheit, da soziale Gerechtigkeit. Bei beiden Themen können die Grünen nicht mithalten. Sie folgen daher dem Trend, der da heißt: Zurück zu den Wurzeln, Besinnung auf die Kernkompetenz, Mobilisierung der Stammwähler. Im Entwurf ihres Wahlprogramms nimmt die Umweltpolitik wieder eine zentrale Stellung ein. Das ist zwar richtig und wichtig. Bei der Ökologie macht den Grünen niemand etwas vor. Und doch ist der Rückzug aufs eigene Thema auch Ausdruck von Mutlosigkeit und Verzagtheit.

Die Partei macht sich kleiner, als sie nach ihrem eigenen Anspruch eigentlich sein wollte, sie zieht sich freiwillig in ihre Nische zurück und überlässt den beiden Großen kampflos das Feld bei den Fragen, wie die großen nationalen und internationalen Probleme gelöst werden sollen. Wollte sie nicht einmal Volkspartei werden?

Paradox, aber wahr: Während Schulz die alte Tante SPD rockt, wirken die einstigen Rock’n’-Roller der Politik zwar professionell und solide, aber auch bieder und uninspiriert. Dabei wird es am Ende sehr wohl auf sie ankommen. Eine Mehrheit jenseits der ungeliebten großen Koalition wird es nur mit den Grünen geben, mehr noch, sie geben als Scharnierpartei in der Mitte den Ausschlag, von wem und wie Deutschland in den nächsten vier Jahren regiert wird. Aber diese Rolle muss man auch annehmen wollen – und mutig ausfüllen.