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Dass die beiden großen christlichen Kirchen in Deutschland Jahr für Jahr Mitglieder verlieren, scheint fast unabwendbar. Auch 2016 sank die Zahl der Katholiken und Protestanten in Deutschland im Vergleich zum Vorjahr um etwas mehr als eine halbe Million auf nun rund 45,5 Millionen. Das sind immer noch ziemlich viele Leute, dürfte die Kirchenlenker aber kaum beruhigen. Warum? Die wichtigsten Fragen und Antworten im Überblick.

Warum gibt es immer weniger Katholiken und Protestanten?

Sie sterben oder sie treten aus. Die Zahl der Taufen und Kircheneintritte kann das nicht auffangen. So gab es 2016 zwar beispielsweise bei den Katholiken mehr Taufen (171 531) als Austritte (162 093). Im gleichen Jahr wurden aber auch 243 323 Mitglieder bestattet. Unter dem Strich führt das zu einem langsamen Abschmelzen beider Kirchen. Im größten katholischen Bistum Köln zum Beispiel fiel die Zahl der Katholiken erstmals unter die Zwei-Millionen-Grenze.

Warum treten Jahr für Jahr so viele Menschen aus den Kirchen aus?

Dazu gibt es unterschiedliche Theorien. Viele Experten warnen aber davor, allein akutes Entsetzen über Skandale oder das Verhalten von Kirchenfürsten - Stichwort „Protzbischof“ Tebartz-van Elst - als Auslöser zu sehen. Es gibt dann zwar mitunter erkennbare Ausschläge, etwa nach dem Missbrauchsskandal 2010. Grundsätzlich verläuft die Abwanderung aber relativ stetig. Das spricht für langfristige Faktoren, eine Entfremdung über Jahre oder Jahrzehnte.
Und während die Kirchen früher im Leben ihrer Mitglieder durchregierten, sind sie heute nur noch eine Institution unter mehreren. Nur dass die Leistung, für die man sie bezahlt, oft gar nicht mehr in Anspruch genommen wird.

„Religion steht in Konkurrenz zu Sport, Kunst, Unterhaltung, der Pflege von Bekanntschaften“, sagt der Münsteraner Religionssoziologe Detlef Pollack. Oder anders ausgedrückt: „Wenn man sich morgens entscheiden muss, ob man ausschläft, sich mit Freunden trifft, etwas für die Arbeit macht oder in den Gottesdienst geht, fällt die Entscheidung häufig zuungunsten des Gottesdienstes aus.“

Lässt sich die Entwicklung umkehren?

Schwerlich. Stephanie Springer, Präsidentin des Landeskirchenamts der Landeskirche Hannover, glaubt jedenfalls nicht daran: „Den Trend, dass wir durch die demografische Entwicklung in einer pluralen Gesellschaft weniger Kirchenmitglieder haben werden, können wir nicht umkehren.“ Bei den Katholiken gibt der Sekretär der Bischofskonferenz, Hans Langendörfer, etwas aus, das nach Durchhalteparole klingt: „Wir sollten bei den Zahlenwerken nicht unseren eigentlichen Auftrag vergessen: Trotz manchmal stürmischer Zeiten das Evangelium mutig und freudig zu verkünden“.

Wo ließe sich womöglich nachbessern?

Man müsse den Menschen, die der Kirche den Rücken kehren, „aktiv nachgehen“, um ihre Beweggründe zu verstehen, sagt Langendörfer.
Genau das vermisst aktuell etwa der Direktor des katholischen „Hauses am Dom“ in Frankfurt, Joachim Valentin: „Es gibt nur in wenigen Bistümern ein Konzept, wie man mit den Leuten in Kontakt kommt, die aus der Kirche ausgetreten sind.“

Zudem gebe es aus seiner Sicht in vielen Bistümern wenig Zuwendung zur Jugend. „Jugendliche und junge Erwachsene nehmen die Kirche oft nicht mehr als ansprechbare, positiv besetzte Institution wahr“, sagt Valentin. „Und das sind dann später diejenigen, die auf ihren Gehaltszettel schauen, die Kirchensteuer sehen und sich fragen, warum sie das eigentlich bezahlen“.

Ein wiederkehrendes Thema - vor allem bei den Katholiken - ist die Sexualmoral. Würde es der Kirche nützen, liberaler zu werden?

„Wer austritt, für den ist das wenn überhaupt ein Punkt in einem großen Konglomerat im Prozess der Entfremdung“, sagt Valentin vom „Haus am Dom“. Die katholische Kirche habe sich zugegebenermaßen mit ziemlich vielen kleinteiligen Fragen der Sexualmoral beschäftigt und dabei die Lebenssituation der meisten Menschen in Deutschland aus den Augen verloren. „Die Menschen schauen auf ihr Umfeld und sehen, wie Beziehungen gelebt werden und dass Homosexualität einfach normal ist.“ Er glaube aber nicht, dass man in diesem Punkt die Schlachten gewinne oder verliere. „Wer jetzt noch in der Kirche ist, hat sich mit der katholischen Sexualmoral arrangiert.“