Jair Bolsonaro ist, auch dank der sozialen Medien, ein Meister der Selbstdarstellung. Als Redner ist er nicht sonderlich begabt. Doch jetzt hat sich der Präsident Brasiliens in einer Fernsehansprache an die brasilianische Bevölkerung gewandt, und irgendwie auch an die internationale Gemeinschaft. Nicht nur die Form der Kommunikation, sondern auch der Inhalt war ungewöhnlich.
„Ich habe tiefe Liebe und Respekt für Amazonien„, sagte Bolsonaro. „Den Regenwald zu schützen ist unsere Pflicht.“ Er sei „nicht zufrieden“ mit der Situation in Amazonien, wo der Wald in Flammen steht, und kündigte „hartes Durchgreifen“ an. Bolsonaro unternahm den – ebenfalls ungewöhnlichen – Schritt, das Militär in das Amazonas-Gebiet zu schicken, um dabei zu helfen, die Brände einzudämmen.

Nachdem die brasilianische Regierung die Waldbrände zunächst ignoriert und danach tagelang heruntergespielt hatte, kam die plötzliche Kehrtwende, als die internationale Empörung über die zunehmende Abholzung und Brandrodung des größten Regenwaldes der Welt wuchs. Führende europäische Politiker wie der Präsident Frankreichs, Emmanuel Macron, drohten vor dem G7-Gipfel in Biarritz an diesem Wochenende, das Abkommen zwischen der Europäischen Union und dem Mercosur (gemeinsamer Markt Südamerikas), zu dem außer Brasilien auch Argentinien, Paraguay und Uruguay gehören, platzen zu lassen. Solche Strafmaßnahmen könnten die Wirtschaft Brasiliens, die nach einer schweren Rezession bereits strauchelt, weiter schwächen.
Sogar führende Vertreter der Agrarlobby, die maßgeblich an der Unterstützung Bolsonaros und für nahezu ein Viertel des Bruttoinlandsprodukts Brasiliens verantwortlich ist, warnen inzwischen vor den Folgen– wenn auch nicht, weil sie sich um das Amazonas-Gebiet sorgen, sondern, weil sie um ihr Geschäft fürchten. „Wir zahlen einen sehr hohen Preis“, sagte der Sojabaron und ehemalige Agrarminister Blairo Maggi jüngst.

Diesem internen und externen Druck hat Jair Bolsonaro nachgegeben, wenn er auch sagte: „Waldbrände gibt es überall auf der Welt, und das kann kein Vorwand für mögliche internationale Sanktionen sein.“ So kämpfen nun 44 000 Soldaten gegen die Brände im Amazonas-Gebiet und sollen Brandstifter verfolgen. Es ist jedoch unwahrscheinlich, dass sich etwas ändern wird, ohne die Umweltpolitik grundlegend zu ändern.
Jair Bolsonaro hat bereits im Wahlkampf angekündigt, Amazonien zur wirtschaftlichen Nutzung freizugeben, was Holzfäller, Goldsucher und andere Eindringlinge in geschützte Gebiete ermutigt, und auch die Abholzung und Brandrodung befördert. Jedes Jahr brennt in Brasilien um diese Jahreszeit der Regenwald.
Aber seit Bolsonaro im Januar sein Amt angetreten hat, ist die Abholzung gestiegen. Das brasilianische Amazonas-Gebiet hat in den ersten sieben Monaten des Jahres mehr als 1330 Quadratkilometer Waldfläche verloren, was einem Anstieg von 39 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum entspricht. Die Zahl der Feuer in Amazonien liegt bisher bei mehr als 70 000. Das ist der höchste Wert seit 2010 und 80 Prozent mehr im Vergleich zum Vorjahr, wie das Nationale Institut für Weltraumforschung Inpe mitteilt, das Satellitenbilder auswertet, um Abholzung und Brandrodung zu erfassen.

Allein seit vergangenen Donnerstag sind im Regenwald mehr als 1500 neue Feuer ausgebrochen. Die meisten Feuer werden gelegt, um Flächen für Landwirtschaft und Viehzucht bereitzustellen. Die Nasa bestätigte auch, dass es möglich gewesen sei, Brandherde in der Nähe von brasilianischen Straßen und Städten auszumachen.
Zwar wüten die Feuer Tausende Kilometer von Deutschland entfernt, dennoch hat die Katastrophe auf der anderen Seite des Atlantiks auch mit dem Konsumverhalten in Europa zu tun. Vor allem der Heißhunger auf saftige Steaks und herzhafte Koteletts befeuert die Abholzung und Brandrodung großer Flächen im Amazonasgebiet.
„Natürlich hat auch unser Handeln in Deutschland viel mit dem Verlust des Regenwaldes zu tun“, sagt der Professor für Welternährungswirtschaft an der Universität Göttingen, Matin Qaim. „Zum Beispiel importieren wir große Mengen Soja als Futtermittel für unsere Rinder und Schweine, und der steigende Sojaanbau trägt in Brasilien mit zur Regenwaldrodung bei.“
Es schmerzt, prallen Regenwald und dann abgeholzte oder abgebrannte Flächen zu sehen. Regionale Politiker sind überfordert, ebenso die Feuerwehrleute. Gladson Cameli, der Gouverneur des Bundesstaates Acre, hat als Letzter der neun Staaten im brasilianischen Amazonas-Becken den Notstand ausgerufen und ordnete die Evakuierung von Gebieten an, die das Feuer bedroht. „Es ist unmöglich, überall gleichzeitig zu sein“, sagt Coronel Demargli Demargli Farias, Chef einer örtlichen Feuerwehr. „Selbst wenn wir 50 000 Männer hätten.“
Größtes tropisches Waldgebiet in höchster Gefahr
- Einzigartige Artenvielfalt: Das Amazonas-Gebiet erstreckt sich über neun Länder Lateinamerikas – Bolivien, Brasilien, Ecuador, Französisch-Guyana, Guyana, Kolumbien, Peru, Suriname und Venezuela. Mehr als 60 Prozent liegen in Brasilien. 2,1 Millionen Quadratkilometer des Waldes sind Schutzgebiete. Nach Auskunft des Amazonas-Kooperationsrats gibt es dort 30 000 Pflanzenarten, 2500 Fischarten, 1500 Vogelarten, 550 Reptilienarten und 2,5 Millionen Insektenarten. Die Entdeckung der einzigartigen Artenvielfalt ist noch nicht abgeschlossen: In den vergangenen 20 Jahren wurden 2200 neue Pflanzen- und Wirbeltierarten neu entdeckt.
- Ein Drittel des Urwalds der Welt befindet sich im Amazonas-Gebiet. Der Wald nimmt Kohlendioxid (CO2) auf und gibt Sauerstoff ab. Nach Berechnungen des World Wide Fund for Nature (WWF) speichert der Wald am Amazonas 90 bis 140 Milliarden Tonnen CO2. Das Abholzen des Waldes und die Brandrodung mindern die Fähigkeiten zur Absorption von CO2.
- Wasserreservoir: Der Amazonas-Fluss und seine Zuflüsse enthalten ein Fünftel der nicht gefrorenen Frischwasservorräte der Welt. Der Amazonas ist der breiteste Strom der Welt. Während früher der Nil als der längste Strom der Welt angesehen wurde, zeigten Berechnungen von 2007, dass der Amazonas 6900 Kilometer lang und damit auch der längste Strom der Welt ist.
- Die menschliche Besiedlung des Amazonas-Gebiets reicht mindestens 11 000 Jahre zurück. Derzeit leben in diesem weiträumigen Gebiet 34 Millionen Menschen, davon zwei Drittel in Städten. Die knapp drei Millionen Ureinwohner gehören 420 verschiedenen Ethnien an, von denen 60 laut Amazonas-Kooperationsrat fast vollständig abgekapselt leben. Es gibt 86 indigene Sprachen und 650 Dialekte.
- Alarmierender Waldschwund: Innerhalb von 50 Jahren ist laut WWF etwa ein Fünftel des Amazonas-Waldes verloren gegangen. Die Gründe dafür sind vielfältig. Soja-Bauern und Viehzüchter roden den Wald, um neue Weide- und Anbaufläche zu erschließen. Andere Waldflächen fallen dem Bau von Stauseen mit Wasserkraftwerken, Straßen oder Bergbauunternehmen zum Opfer. Hinzu kommen verheerende Waldbrände, die zum Teil mit der Rodung zusammenhängen. (AFP)