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Frau Barthel, Sie sind erst 24 Jahre alt, stehen aber schon sehr lange vor der Kamera. Seit wann sind Sie eigentlich hauptberuflich Schauspielerin?

Ich hatte das Glück, dass die Schauspielerei für mich einfach schon immer dazugehört hat. Mit 20 Jahren hatte ich natürlich einen anderen Blick auf den Beruf, weil ich das Gefühl hatte, dass ich auch als Schauspielerin eine Art Pubertät durchmachen musste, weil die Rollen plötzlich erwachsen wurden.

Sie haben auch schon in der Schule Theater gespielt. Wann hatten Sie denn das Gefühl, dass es nicht mehr nur ein Hobby ist?

Ernst war es von vornherein. Ich glaube, das erste Mal, dass ich bewusst entscheiden musste, ob ich wirklich bei der Schauspielerei bleiben will, war tatsächlich kurz nach dem Abitur. Da hatte ich eben ein größeres Kino-Projekt. Als das abgedreht war und ich vor der Frage stand, wie es weiter geht, habe ich gemerkt, dass ich eigentlich schon längst auf dem Weg bin – und es war für mich offensichtlich, dass ich dort bleiben will.

Für Ihre Rolle im Film "Keine Angst" (2009) haben Sie einige Preise bekommen. Konnten Sie das in dem Alter schon richtig einordnen?

Ich weiß noch, beim Deutschen Fernsehpreis … Das war meine allererste Preisverleihung überhaupt, ich saß im Publikum und plötzlich kam Kurt Krömer auf mich zu und sagte zu mir und meiner Kollegin: "Geht mal auf die Bühne, es erwartet euch eine Überraschung!" Das war eine ganz neue Welt für mich.

Ist Schauspielerin Ihr Traumberuf?

Ja! Ich liebe es, dass ich durch diesen Beruf so viel erleben kann. Ich kann überall mal hinein schauen und sehr viel reisen, und vielleicht lerne ich auch viele Varianten von mir selbst kennen. Natürlich gibt es trotzdem eine große Distanz zwischen mir und den Rollen – die Geschichten kann man nicht immer eins zu eins auf sich beziehen, aber eine kleine Ähnlichkeit findet man in jeder Figur. Und dann kann man sich immer sagen: Das wäre also mein Leben, wenn …

Sie haben mal gesagt, dass Sie gern Grundschullehrerin oder Journalistin werden möchten und auf jeden Fall studieren wollen. Stehen diese Pläne noch?

Seit etwa zwei Jahren mache ich eigene Kurzfilme und schreibe Drehbücher für Kurzfilme. Und ich habe Musikvideos und kleine Werbespots gedreht. Das ist etwas, das ich für mich entdeckt habe, weil ich merke, wie sehr mich das fasziniert. Wenn man Schauspielerin ist, dann hat man einen bestimmten Anteil an Projekten und kann sich relativ frei bewegen. Wenn man Regie führt oder Drehbücher schreibt, kann man den Film von Anfang bis Ende begleiten.

Waren diese Filme schon öffentlich zu sehen?

Nein, ich habe meine Projekte bisher nur im Freundes- und Bekanntenkreis gezeigt (-). Für mich steht die Faszination, wie ein Film entsteht, im Vordergrund. Manchmal ist es ganz plötzlich ein Gefühl oder ein Bild da, dann setze ich mich hin und schreibe es auf. Man kann ja heute schon mit kleinen Mitteln experimentieren. Das Material kostet kein Vermögen mehr, und man kann sogar mit einem iPhone hochwertige Filme drehen, wenn man sich mit der Bearbeitung auskennt.

In "Eine Braut kommt selten allein" spielen Sie eine Romni. Kannten Sie die Kultur der Sinti und Roma?

In der Schule hatte ich davon gehört, aber da bin ich natürlich nicht so tief eingetaucht wie für dieses Projekt. Ein Coach hat mit mir zusammen die Sprache gelernt, ihm konnte ich auch viele Fragen stellen, das war eine große Hilfe. Mir fällt es leicht, über Musik Zugang zu Themen zu finden. Gerade im Jazz gibt es so wahnsinnig tolle Künstler aus der Kultur der Sinti und Roma, durch den Film habe ich das ganz neu kennengelernt. Man sucht zur Vorbereitung immer etwas Greifbares, etwas, das man versteht. Ich habe natürlich auch viel gelesen über die Sinti und Roma und viele Dokumentationen gesehen, aber nichts war so eine große Stütze wie die Musik, die zwar traurig, aber auf der anderen Seite auch so lebensbejahend ist.

Spielte beim Dreh auch die Angst eine Rolle, eventuell politisch nicht korrekt zu sein, zu viele Klischees und Vorurteile zu bedienen?

Ich finde eine gewisse politische Korrektheit absolut wichtig, aber ich finde es auch wichtig zu sagen, dass wir ja nur eine Variante der Geschichte zeigen. Es gibt so viele Sinti-und-Roma-Familien in Deutschland, die vollkommen integriert sind – die Figuren im Film sind es eben (noch) nicht. Was mich an dem Drehbuch so fasziniert und was mich auch bewegt hat, ist, dass jede Figur zwei Seiten hat, egal aus welcher Kultur sie stammt. Sie handelt einmal richtig und einmal falsch – und am Ende haben alle einfach nur den Wunsch, ein Zuhause zu finden. Man braucht sich nur die Beziehung von Johnny und Sophia anzusehen. Sprachlich verstehen sie sich kaum verstehen, aber da gibt es eben noch eine andere Ebene, in der alle Missverständnisse beiseite geräumt sind, weil sie sich dafür entschieden haben, dass es ist wichtiger ist, zusammen zu sein und das Leben zu genießen, anstatt immer wieder die Fehler der anderen zu kritisieren.

Im Film spricht Sophia am Anfang gar nicht, dann wenig und dann immer mehr – mit einem starken Akzent. War es schwer, sich den anzueignen?

Auch da war die Zusammenarbeit mit meinem Coach ein großes Glück. Wir sind mehrfach das Drehbuch durchgegangen, ich habe vieles aufgenommen und es in jeder freien Minute und abends vor dem Einschlafen gehört. Ich habe auch sehr viel serbisches Radio gehört – und vor allem eben die Musik. Irgendwann kommt man an einen Punkt, da muss man vertrauen und loslassen. Wenn man die ganze Zeit Angst davor hat, Fehler zu machen, wird man sehr kontrollierend, und dann wirkt es nicht mehr authentisch.

Was für Feedback haben Sie bisher bekommen, ist es authentisch geworden?

Die Schauspieler, die meine Familie gespielt haben, sind Roma aus Serbien, und sie hatten immer ein Auge oder ein Ohr auf mich. (lacht) Und sie haben mir die Rolle abgenommen – das war ein riesiges Kompliment, da war ich wirklich erleichtert. Aber so etwas schafft man nur im Team.

Apropos Team. Für die Sophia ist ihre Familie wahnsinnig wichtig. Können Sie das nachvollziehen?

Ja, absolut. Dieser Zusammenhalt und vor allem dieses Gefühl, dass man, egal was passiert, immer nach Hause kommen kann, sind sehr wichtig. Dieses Gefühl macht es mir leichter, mich etwas zu trauen. Ich reise gerne, sehe gerne neue Orte, lerne neue Menschen kennen und probiere viele Dinge aus – das kann ich machen, weil ich den Rückhalt meiner Familie habe.

Wenn Sie sagen, dass jede Figur, eine gute und eine nicht ganz so gute Seite hat – wie ist das bei Sophia?

Na ja … Sie belügt Johnny zwar, aber mir war immer klar, dass sie das aus Liebe macht. Ihr Ziel ist es, mit ihm zusammen zu sein. Dass sie dabei Wege geht, die eher fragwürdig sind, das ist für mich eine Facette ihres Charakters, der sehr spannend ist. Figuren, die Widersprüche zeigen dürfen, sind authentisch – und ich denke, als Zuschauer kann man so einfach sehen, dass sie Ihrem Herz folgen.

Wie man hört, haben Sie und die anderen Schauspieler beim Dreh oft zusammengesessen und sich Geschichten erzählt. Was haben Sie daraus für sich mitgenommen?

Man lernt fürs Leben, wenn man in Gemeinschaften arbeitet. Für mich hat sich wieder einmal bestätigt hat, dass wir am Ende alle auf demselben Weg sind. Egal, wie fremd man sich am Anfang ist. Bisher habe ich immer die Erfahrung gemacht, dass man so reich beschenkt wird, wenn man offen aufeinander zugeht und nichts Großes voneinander erwartet, sodass kein Druck entsteht. Man muss einfach die Zeit miteinander genießen.

Ihr Filmpartner war Sido, der ja eigentlich kein Schauspieler ist, sondern Rapper. Welche Erwartungen hatten Sie?

Tatsächlich hatte ich gar keine Erwartungen, weil ich denke, wenn man Künstler ist – egal ob Musiker oder Maler -, geht es im Kern immer darum, eine Geschichte zu erzählen und Emotionen darzustellen. Deshalb fand ich es naheliegend, dass Sido die Rolle übernimmt. Für mich war es natürlich sehr spannend, ihn kennenzulernen, weil ich zu der Generation gehöre, in der die coolen Jungs auf dem Schulhof immer Sido gehört haben. (lacht) Uns war von Anfang an wichtig, wie wir die Geschichte erzählen wollen – da waren wir einfach zwei Kollegen.

Macht es für Sie einen Unterschied, ob Sie mit erfahrenen Kollegen arbeiten, oder mit jemanden, der noch neu im Geschäft ist?

Sido hat seinen Text erst bei den Proben gelernt. Er hat das gemacht, um unvoreingenommen in die Szenen zu gehen, und konnte dadurch den Moment wirklich als Moment nehmen. Er ist in den Raum gekommen, hat sich umgesehen und war einfach da – dadurch konnte er authentisch sein, das war sehr spannend.

Fragen: Nicole Rieß