Das Wollsiegel links lassen wir uns gefallen, dieses international geläufige Gütezeichen für Produkte aus reiner Schurwolle. Aber was fangen wir mit Bunny auf der rechten Seite an, dem Häschen-Logo des Herren-Magazins Playboy? In serieller Reihung überziehen die beiden Bildzeichen zwei aneinander grenzende, großformatige Quadrate von Rosemarie Trockel.
Und gehören offenbar bei aller Verschiedenheit wie die Seiten einer Medaille zusammen. Schon die Farben der beiden Stickereien deuten es an: das Wollsiegel in Orange auf weißem Grund, das Häschensymbol komplementär dazu in Weiß auf Orange.
Hausmütterchen und Sexobjekt
Zur Entstehungszeit des zweiteiligen Werks von 1988 konnte das Wollsiegel-Zeichen noch dezidiert mit Weiblichkeit in Verbindung gebracht werden. Dass es an der Grenzlinie der beiden Bildteile mit dem Playboy-Logo verschmilzt, muss dann wohl als Statement zur Doppelfunktion der Frau in der patriarchalischen Gesellschaft verstanden werden. Nähendes und strickendes Hausmütterchen auf der einen Seite, ist sie zugleich das Sexobjekt für den Mann.
Textilkunst ist vergleichsweise jung. Mit ihren in den 1980er-Jahren entstandenen, maschinell erzeugten Wollstickbildern zählt Rosemarie Trockel zu den Pionierinnen. Seit je sind Textilien nicht lediglich funktionale Gegenstände, sondern Bedeutungsträger, die etwa soziale Zugehörigkeit oder Gesinnung kommunizieren. Nicht von ungefähr spricht man von Kleiderordnungen und Dresscodes.
Ravensburg war einst eine Textilhochburg
Die Ausstellung „Musterung. Pop und Politik in der zeitgenössischen Textilkunst“ fächert ein breites Spektrum des Genres auf. Werke von insgesamt 18 Künstlerinnen und Künstlern sind zu sehen. Nicht weiter verwunderlich, dass das männliche Geschlecht schlechter vertreten ist: mit gerade mal vier Künstlern.
Konzipiert und realisiert wurde die Ausstellung ursprünglich für eine Präsentation in den Kunstsammlungen Chemnitz 2020/21. Coronabedingt ist jetzt das Kunstmuseum der einstigen Textilhochburg Ravensburg ihre einzige Station.
„Textilien sind spannende Bildträger“, so Sabine Maria Schmidt, die mit Kristina Groß die Schau konzipiert und kuratiert hat. Stoffe und Muster sind Identitätszeichen und kulturelle Zugehörigkeitsverweise – und darin hochpolitisch.
Stoffe sind hochpolitisch
Kein Wunder, dass Parastou Forouhar, die gern mit Textilien arbeitet, in ihrem Herkunftsland Iran wegen Blasphemie angeklagt und zu sechs Jahren Haft auf Bewährung verurteilt werden konnte.
In Ravensburg ist die Künstlerin mit einer im Raum verteilten Gruppe bunt designter Sitzsäcke vertreten, die erst auf den zweiten Blick die gewollte Assoziation von auf dem Boden sitzenden verschleierten muslimischen Frauen wecken. Das Werk handelt von Selbstbestimmung, Identität und Herkunft.
Die Arbeiten ihrer türkischstämmigen Kollegin Nevin Aladag verbinden collageartig Fragmente geknüpfter Teppiche unterschiedlichster Materialität und Herkunft zu abstrakten Bildkompositionen.
Wenn Flaggen als Hoheitszeichen Staatlichkeit, Macht und Grenzziehung symbolisieren, stellen die transparenten Flaggen zweier Videoprojektionen der Belgierin Edith Dekyndts diese Funktion zur Disposition. Inhaltsleer, durchsichtig auf einem bewölkten Himmel, wehen sie im Wind: so frei wie der Wind, der Staatsgrenzen nicht achtet.
Die Teilung Koreas in einer Stickerei
In gleichem Geiste thematisiert die Koreanerin Kyungah Ham in einer überwältigenden Wandstickerei mit einem Leuchter als Motiv die Teilung Koreas. Die grandiose Ästhetik der Arbeit ist freilich geeignet, von den politischen Bezügen abzulenken.
In großformatigen Jacquard-Wandteppichen vermischt Shannon Bool Bildmotive aus Social Media mit kulturellen, ethnischen sowie Zitaten aus der Kunstgeschichte. Ihre Collagen kreisen um Fragen der Aneignung und Kolonisierung. Laure Prouvosts vielteiliger Bildteppich knüpft an die Tradition der Gobelins an – in einer Bildreise durch Raum und Zeit: von Flandern nach Italien, von Botticellis Venus zu Angelina Jolie.
Zu den schönsten und dabei schlichtesten Werken zählen Tobias Hantmanns mit der Hand auf Veloursstoff „gewischtes“ Bild hinter Glas und Erika Hocks weich geschwungene begehbare Installation mit deckenhohem farbigen Vorhang.
Kunstmuseum Ravensburg, Burgstr. 9. Bis 30. Oktober, Di 14-18 Uhr, Mi-So 11-18 Uhr, Do bis 19 Uhr. Weitere Informationen hier.