Wenn ein verdienter Staatsmann 90 Jahre alt wird, dann gilt er im besten Fall als Gewissen der Nation, als altersweiser Ratgeber, der den Jungen sagt, wo es langgeht. Der polnische Regisseur Andrzej Wajda dagegen, der sich sein Leben lang politisch eingemischt hat, bevor er am Sonntag im Alter von 90 Jahren starb, ließ es nicht bei Altersweisheit bewenden. Er arbeitete fast bis zuletzt am Set. Er goss gleichsam die Geschichte Polens in Bilder. Und er mischte sich bis zum Schluss in die Politik seiner Heimat ein. „Das ist doch keine Demokratie mehr“, wetterte er in seinem letzten Interview und warf der rechtspopulistischen PiS-Regierung vor, das Land dominieren zu wollen.
Wie in vorauseilender Rebellion gegen das, was unter der PiS kommen sollte, drehte Wajda als letztes Werk eine Eloge auf den polnischen Freiheitshelden Lech Walesa, diesen „Mann aus Hoffnung“, wie der Film von 2013 hieß. PiS-Scharfmacher versuchen seit Jahren, den Friedensnobelpreisträger als Volksverräter zu denunzieren. Wajda dagegen, der am 6. März 1926 im nordostpolnischen Suwalki geboren wurde und sich im Zweiten Weltkrieg der Untergrundarmee AK anschloss, trat immer für die Nicht-Perfekten ein, wie Walesa einer ist. Wajda liebte diese gebrochenen Helden – vermutlich, weil er selbst einer war: ein Mann, der ein Werk schuf in einem Jahrhundert voller Brüche und Umbrüche, Kriegen und Revolutionen. In einer Zeit, in der ein Handelnder nicht perfekt sein konnte. Wajda war in diesem Sinne ein Jahrhundert-Regisseur, und so erhielt er nicht zufällig im Jahr 2000 eine Art Millenniums-Oscar für sein Lebenswerk.
Seinen Durchbruch feierte Wajda in den 50er-Jahren mit „Der Kanal“, der von der Hölle des Warschauer Aufstands gegen die Nazis erzählt, sowie mit der Literatur-Verfilmung „Asche und Diamant“ nach Jerzy Andrzejewskis Roman. Wajda machte, anders als der Autor, nicht einen Parteiführer zum Helden, sondern einen Kämpfer der nationalpolnischen Heimatarmee AK.
In Polen dagegen konnte es Wajda den wenigsten recht machen. Die kommunistische Führung duldete den renitenten Regisseur von Weltrang. Den Parteikadern war allzu klar, dass sie diesen Mann und seine Kunst nie ganz würden kontrollieren können. In regimenahen Medien hieß es über „Asche und Diamant“, der Film flüchte sich ins Menschelnde, statt für die richtige Sache einzutreten. Umgekehrt sahen viele nationalkonservative Polen, aber auch Intellektuelle, in Wajdas Andrzejewski-Verfilmung keineswegs zuerst eine Rehabilitation der Untergrundkämpfer.
Wajda war ein zu lebensbejahender Mensch, um im Tod den Untergang zu sehen. Die Welt drehte sich weiter, Wajda drehte Filme. Er tat dies mit künstlerischem Genie und großem Herzen. Walesa reagierte auf die Todesmeldung mit den Worten: „Er war ein großer Mann. Er hat uns allen Kraft gegeben.“