Der nationale Egoismus ist wieder da, und die Frage drängt sich auf, wie es dazu kommen konnte. Hatten wir uns nicht auf dem Weg in eine harmonische Zukunft der multilateralen Friedensabkommen und eines freien Handels begeben? Sollte uns nicht das Internet mit seinen unbegrenzten Informations- und Austauschmöglichkeiten ein Zeitalter der Mitbestimmung und Transparenz bringen?

An der Universität Zürich haben sich Wissenschaftler mehrerer Disziplinen auf die Suche nach den Wurzeln von Haltungen wie „America first!“ und „Raus aus Europa!“ begeben. Geholfen hat dabei unter anderem eine Gruppe von Krallenaffen. Die mit einem starken Sinn für Sozialverhalten ausgestatteten Tiere waren in der Lage, einen Automaten zur Fütterung zu bedienen. Während die weitaus intelligenteren Schimpansen ratlos vor der komplizierten Apparatur verharrten, griff bei den Krallenaffen einer zum ersten Hebel, damit ein anderer den zweiten bedienen und wiederum ein Dritter ans Futter gelangen kann. Das wurde selbstverständlich brüderlich geteilt.

Ein kluger Kopf allein, so zeigt sich hier, bringt noch keinen Fortschritt. Erst in der Kombination mit dem Drang, anderen zu helfen, kann sich eine intelligente Spezies entwickeln. Der Altruismus, schließt die Anthropologin Judith Burkart daraus, muss genauso in der Natur des Menschen angelegt sein wie sein Gegenpol, der Egoismus.

Doch er sieht sich Hindernissen ausgesetzt. Kinder zum Beispiel haben zwar schon früh ein Bewusstsein für Gerechtigkeit, sagt der Entwicklungspsychologe Moritz Daum. Weil der frontale Kortex im Gehirn aber erst im jungen Erwachsenenalter ausgereift ist, fällt es ihnen schwer, dieses Bewusstsein in eine konkrete Handlung umzusetzen: So landet beim Verteilen das größte Kuchenstück schon mal gerne auf dem eigenen Teller.

Aufgabe der Eltern ist es nun, den im Kind angelegten Gerechtigkeitssinn zu erhalten. Das gelingt ihnen durch eigenes Vorleben gerechter Handlungen – keinesfalls aber durch Belohnungen. Lernt ein Kind, dass der Lohn für seine Fairness nicht in einem guten Gefühl besteht, sondern in einem Schokoladenriegel, so kann es niemals den Wert der Uneigennützigkeit erfahren. Umgekehrt gilt allerdings auch: Kommt ein Kind niemals in den Genuss, selbst von der Uneigennützigkeit eines anderen zu profitieren, so wird sein Altruismus verkümmern.

Egoismus hat also die geringsten Entfaltungsmöglichkeiten, wenn Menschen für ihre guten Taten keine unmittelbare Belohnung bekommen, in anderen Zusammenhängen aber durchaus einmal Vorteile aus den selbstlosen Handlungen anderer ziehen dürfen. Ist hier in den vergangenen Jahrzehnten etwas schiefgelaufen? Hat die Elterngeneration ein falsches Vorbild abgegeben? Vielleicht. Urlaube auf Kosten des Klimas, Ernährung auf Kosten der Umwelt, billige Mode auf Kosten ausgebeuteter Arbeiter: Das alles ist nicht gerade geeignet, junge Menschen zum Altruismus zu erziehen. Allerdings macht der Zürcher Soziologe Peter-Ulrich Merz-Benz mildernde Umstände geltend.

Ein solch egoistisches Handeln, sagt er, bedinge nämlich gesellschaftliche Verhältnisse, die dieses überhaupt zulassen: „Wovon wir hier sprechen, sind die negativen Folgen der großen Freiheit und Selbstbestimmung, über die wir heute verfügen.“

So schließt sich der Kreis. Denn durch die Kombination von schimpansenhafter Intelligenz und der Sozialkompetenz eines Krallenaffen hat sich die Menschheit historisch beispiellose Freiheiten erarbeitet. Gerade diese Freiheiten aber sind es, die das Soziale in uns verkümmern lassen. Das Krallenaffen-Gen wird nicht aktiviert. Zurück bleibt nur: ein kluger, aber dennoch einsamer Schimpanse.