Von allen Arten des Einschlafens ist das Nafzen die unbequemste. Es finde nämlich, so ist einem Wörterbuch aus dem Jahr 1955 zu entnehmen, im Sitzen statt. Dass wir nafzen, sobald wir im Sessel schlummern, ist uns inzwischen völlig entfallen: Nicht einmal mehr im Duden ist das Wort zu finden!
Neue Begriffe verdrängen die alten
Damit steht das Nafzen freilich nicht allein. Alle paar Jahre sieht sich die Duden-Redaktion dazu veranlasst, neue Begriffe zum festen Bestandteil unseres deutschen Wortschatzes zu erklären – vom Selfie über Fake News bis zur Filterblase. Diese Begriffe kennen wir, weil sie zuvor schon über längere Zeit die öffentlichen Debatten prägten. Was wir nicht kennen, sind Wörter, die aus dem Duden wieder herausfallen. Peter Graf hat sie für uns gesammelt. Nachzulesen sind sie in seinem Buch „Was nicht mehr im Duden steht“.
Rückkehr der Nuditätenschnüffler
Vom Nafzen ist noch in der 1934 erschienen elften Auflage des Dudens die Rede gewesen, ebenso wie der Nuditätenschnüffler: So bezeichnete man damals Menschen, die nicht Ruhe geben, bis sie wieder einmal irgendwo etwas Nacktes, Anzügliches entdeckt haben, um es dann sogleich voller Empörung öffentlich anzuprangern. Mit Blick auf manche moralisch aufgeladene Debatte des abgelaufenen Jahres könnte man glatt auf die Idee kommen, den Nuditätenschnüffler wieder in unseren Wortschatz aufzunehmen.
Fotografiert oder erschossen
Der Kodaker dagegen ist wahrhaftig von gestern. Seinen Namen verdankt er der ersten allgemein erschwinglichen Handkamera, der Kodak Original. Mit ihr machten Ende des 19. Jahrhunderts vor allem Großstadtbürger schon bald die Straßen unsicher, ständig auf der Suche nach einem geeigneten Motiv. Meistens fanden sie es in Prominenten wie etwa Reichskanzler Otto von Bismarck. „Man weiß nie, ob man fotografiert oder erschossen wird“, klagte dieser über die lästige Mode der Kodaker. Zuletzt im Duden zu finden: 1929.

Es gibt viele Gründe, weshalb Wörter aus dem Sprachgebrauch verschwinden. Politische zum Beispiel wie etwa im Fall des Nazi-Jargons: Gut, dass wir nicht mehr von Rassenschutz, Verjudung oder Volksschädlingen sprechen müssen. Schlecht, dass viele den Volksverräter wiederentdecken und sich von der Entvolkung zum neuen Begriff Umvolkung inspirieren lassen. Mit der Gleichberechtigung ist die Arztfrau verschwunden und mit dem technischen Fortschritt der Weckapparat. Bei letzterem Gerät handelte es sich um eine Innovation des Unternehmens J. Weck, das bis heute für seine Einkochgläser (Weckgläser) berühmt ist.
"Speise aus dem Pflanzenreiche"
Manches Verschwinden gibt uns Rätsel auf. Warum um alles in der Welt haben wir uns von dem Begriff Zugemüse verabschiedet? „Speise aus dem Pflanzenreiche, welche zu dem Fleische oder nach dem Fleische gegessen wird“, heißt es in einem Wörterbuch des 19. Jahrhunderts. Als Beispiele werden angeführt: „Kohl, Rüben, Erbsen.“ So halten wir es noch heute mit dem Gemüse auf dem Teller. Bloß, dass wir statt Zugemüse von Gemüsebeilage sprechen – dauert länger und wirkt gestelzter.
Angeblich haben die Menschen alles dafür getan, das Zugemüse in Misskredit zu bringen. Die Brüder Grimm beschrieben es in ihrem Wörterbuch als „mäßige, kärgliche Speise“, sofern sie ohne Fleisch eingenommen werde. Und ein österreichischer Satiriker hatte Freude daran, sich mit dem Wort über Teile der Gesellschaft lustig zu machen.
Neben- und Gegenwohner
Vollends empören möchte man sich bei der Lektüre von Wörtern, die nicht nur durch schlechtere Synonyme ersetzt worden sind, sondern mit ihrem Verschwinden eine bis heute bestehende Leerstelle hinterlassen haben. Das gilt zum Beispiel für die Nebenwohner, Gegenwohner und Gegenfüßler.
Um 180 Grad auseinander
Als Nebenwohner galten nämlich lange Zeit alle Menschen, die auf demselben Breitengrad wohnten, allerdings um genau 180 Grad auseinander. Die Gegenwohner befinden sich auf demselben Längengrad, aber auf der anderen Halbkugel – und zwar exakt so weit vom Südpol entfernt wie die anderen vom Nordpol. Und die Gegenfüßler schließlich sind genau dort anzutreffen, wo ihre Füße auf unsere treffen müssten, läge nicht der Erdball dazwischen. Ist das nicht eine ganz und gar fabelhafte Einteilung unserer globalen Nachbarschaft? Wer zum Teufel ist auf die Idee gekommen, diese Wörter abzuschaffen?
Näslein und Ringlein
Man mag auch einen weiteren Verlust bedauern: den der zärtlichen Verkleinerung. Es wimmelte einst nur so von Näslein und Ringlein, Onkelchen und sogar Fagöttchen. Das alles ist einer großen Seriosität gewichen, welche die Welt so groß und ernst beschreibt, wie sie nun mal ist. Für manche Fälle ist das auch angemessen: Das Jüdlein zum Beispiel haben wir aus guten Gründen abgeschafft. Und dass tatsächlich noch heute im Duden ein Fräulein zu finden ist, scheint eher bedenklich. Dennoch: Ein Hündlein (abgeschafft im Jahr 1996) dürfte sich von solcher Wortwahl wohl kaum diskriminiert fühlen.
Peter Graf: Was nicht mehr im
Duden steht. Eine Sprach- und Kulturgeschichte.
Duden-Verlag, Berlin 2018, 224 Seiten, 15 Euro