Do Schmitt-Holstein

Eine Neuigkeit war’s nicht – Ungerechtigkeit hat mich schon immer aufgeregt. Doch nun bescheinigt mir der Drucker im Badischen Landesmuseum auf blutrotem Papier: „Ohne Sie beginnt keine Revolution.“ Auch der 19-jährige Luca, ein Freund meines Enkels, erfährt in Karlsruhe: „Respekt! Sie gehören zu der sehr kleinen Gruppe der echten Revolutionäre/Revolutionärinnen.“ Mit der Schlussfolgerung sind wir jedoch beide nicht einverstanden: „Aber wir fürchten, dass Sie vielleicht auch über Leichen gehen.“ Das nun bestimmt nicht!

Das Testspiel, von Heidelberger Soziologen erarbeitet, ist zurzeit der große Hit in einer in vielerlei Hinsicht ungewöhnlichen Ausstellung im Karlsruher Schloss: „Revolution!“ Rote Fahnen wie einst 1918. Im ersten Stock Befremdliches: der Thron der Großherzöge, herausgerissen aus den stillen Gemächern und halb über Bretter gekippt. Überall Barrikaden, Banner, Monitore, auf denen Dokumentarfilme flimmern, und von der Decke baumelnde Gebilde, die Aussagen und Interviews verkünden – es traut sich nur kaum jemand, auf die Knöpfe zu drücken. Mit Parolen verzierte Wände verstellen den Weg durch einen chaotischen Irrgarten. Klar, hier wird an die November-Revolution vor 100 Jahren erinnert. Und an die französische von 1789 und an die badische von 1848/49. Aber auch an den Arabischen Frühling, der 2010 in Tunesien begann. Marx, Mao, Castro und Khomeini – es geht hier ziemlich durcheinander.

Was Revolutionen auslöst, ihr Verlauf, die Euphorie bei anfänglichem Erfolg und ihr oft blutiges Scheitern, all das will Kurator Oliver Sänger zu bedenken geben. Auch ein Jugendbeirat, den er zu Rate zog, habe Ideen geliefert. Ausgerechnet die Jugendrevolte von 1968, die laut Sänger „keinen tiefgreifenden Systemwechsel“ bewirkte, überließ er jedoch lieber dem Karlsruher Stadtmuseum. Zwiespältige Gefühle weckt auch das größte Exponat, eine echte Guillotine. Dieses Exemplar stammt nicht aus dem 18. Jahrhundert, sondern ist nachgebaut und wurde in Rastatt nach dem Zweiten Weltkrieg von der französischen Besatzung zur Hinrichtung von mindestens neun Nazi-Verbrechern verwendet. Makaber: In der Kitsch- und Kunst-Ecke ist ein Bausatz zu finden: „Build your own guillotine“ – bastel dir deine eigene Guillotine.

Entdecke dein Revolutions-Potenzial

Meine jungen Begleiter interessieren sich am meisten für das Spiel, mit dem sie ihr Revolutions-Potenzial erkunden sollen. Dafür ist an zehn Stationen mit verschiedenen Fragen je eine Antwortkarte auszuwählen. Die Ausgangssituation des Tests klingt eher harmlos: Fahrgäste eines Kreuzfahrtschiffs (hier die „Besitzenden“ genannt) belegen sämtliche Liegestühle am Pool mit ihren Handtüchern. Was können die anderen, die „Nichtbesitzenden“, dagegen tun? Mein Enkel Jonas (19) schlägt sich als Handtuch-Verteidiger auf die Seite der „Besitzenden, lotet alle Handlungsvorschläge zu seinen Gunsten aus und bekommt bei der Auswertung bescheinigt, dass er als „Falke“ mit seinesgleichen jede Revolution niederschlagen könnte – „es sei denn, die Revolutionäre bewaffnen sich“. Ich weiß freilich, dass Jonas schon als Kind davon träumte, Polizist zu werden. Und dieser Berufsstand ist nun einmal dazu da, Aufruhr zu verhindern und die Ordnung aufrecht zu erhalten. Seine Freundin dagegen findet sich als „Nichtbesitzende“ bei den „Abwartenden“ wieder, die Auseinandersetzungen beobachten und vorzeitig kein Risiko eingehen mögen.

Diese Art, zum Nachdenken anzuregen, finden alle drei Jugendlichen spannend. Auch der Panoramablick vom sonst für Besucher gesperrten Schlossbalkon auf die Stadt und die sich weithin ziehende „Via Triumphalis“ gefällt ihnen. Auf der Zettelwand am Ende der Ausstellung, auf der unter dem Motto „Dafür werde ich Revolutionär*in“ neben allerlei Unfug viel Bedenkenswertes zu finden ist, hinterlässt Luca schließlich die Botschaft: „Damit niemand mehr unter Hungersnot leidet.“ So bleibt bei dieser Rückschau die Frage offen: Müssten wir nicht mit revolutionären Ideen die Lebensbedingungen der Menschen so verändern, dass Revolutionen gar nicht mehr nötig sind?

Revolution! Für Anfänger*innen: Zu sehen bis 11. November 2018 im Badischen Landesmuseum im Schloss Karlsruhe. Geöffnet ist Dienstag bis Sonntag und an Feiertagen von 10 bis 18 Uhr. Weitere Informationen gibt es hier.

Das Museum stimmt mit Revolutions-Liedern auf die Ausstellung ein:

Das Hecker-Lied:

La Marseillaise:

Die Internationale:

Ton Steine Scherben – "Keine Macht für niemand":

Tracy Chapman – "Talkin' About A Reviolution":