Natürlich sind sie nach wie vor besondere Frauen, die Roman-Heldinnen von Gaby Hauptmann – aber Superweiber sind sie schon lange nicht mehr. Meist handelt es sich um mehr oder minder normale Zeitgenossinnen, die vom Schicksal aus der gewohnten Bahn geworfen werden, mal im Guten, mal im Schlechten; oder, wie im Fall von Steffi, Hauptfigur von „Plötzlich Millionärin – nichts wie weg!“, beides zugleich.
Die geschiedene Mittvierzigerin arbeitet als Verkäuferin in einem Drogeriemarkt und hat buchstäblich das große Los gezogen – aber nach dem Lottogewinn von über einer Million Euro hat sie mehr Probleme als zuvor.
Lotto-Gewinn ist nicht das pure Glück
Anders als sonst erzählt die Allensbacher Schriftstellerin in ihrem neuen Buch eine vordergründig kleine Geschichte. Enthielten frühere Werke gern auch eine Krimi-Ebene, die für zusätzliche Spannung sorgte, geht es dieses Mal ausschließlich um Gefühle – aber die sind dafür umso größer.
Der Lottogewinn ist nur der Anstoß, der die Handlung ins Rollen bringt, denn letztlich ist „Plötzlich Millionärin“ ein Erweckungsroman: Aus der Raupe wird ein Schmetterling, wie Steffi irgendwann feststellt. Dieser Entpuppungsprozess verläuft jedoch nicht ohne Schmerzen, denn Hauptmann schickt ihre Heldin auf eine Reise in ihr „verborgenstes Inneres“, wie es im Roman heißt.

Und weil meist erst die Konfrontation mit Extremsituationen die Menschen erkennen lässt, was wirklich im Leben zählt, lässt die Autorin ihre Figur Außergewöhnliches erleben. Dass es sich bei den entsprechenden Ereignissen nicht etwa um Schicksalsschläge handelt, ist ein cleverer Schachzug: Erst gewinnt Steffi die Million, dann findet sie die große Liebe. Und trotzdem ist sie nach einem Urlaub in Südafrika mit anschließendem Kurztrip nach Thailand am Boden zerstört.
Natürlich klingt das erst mal nach einem Stoff aus Hochglanz-Schmonzetten à la „Traumschiff“, in denen sich schöne Menschen an exotischen Schauplätzen den Kopf über Luxusprobleme zerbrechen, von denen andere nur träumen können – und tatsächlich lässt sich das Buch auch so lesen. Dafür genügt es schon, die Denkanstöße zu ignorieren, auch wenn das mitunter schwerfällt, wenn Hauptmanns Heldin beispielsweise kein Verständnis für die „Morgen wird alles schlechter“-Mentalität vieler ihrer Landsleute hat. Reduziert man die Lektüre auf ihre Oberfläche, ist „Plötzlich Millionärin“ ein Reise-Roman, zumal Hauptmann großes Talent für diese Gattung beweist: Steffis Erlebnisse in einer Safari-Lodge und ihre zum Teil abenteuerlichen Begegnungen mit der Tierwelt sind mitreißend geschrieben.
Dass sie mit wenigen Worten die Sehnsucht nach der weiten Welt wecken kann, hat die Allensbacherin, deren Heldinnen gern auf Achse sind, schon in früheren Büchern bewiesen, aber nun zeigt sie, dass sie zudem eine ausgezeichnete Reise-Schriftstellerin ist.
Auch in dieser Beziehung ist die wohl wichtigste literarische Gabe der Autorin von entscheidender Bedeutung: Ähnlich wie bei den Figuren braucht Hauptmann nicht viele Worte, um bleibende Eindrücke der Ereignisse zu vermitteln, die sie im Übrigen selbst erlebt hat, wie sie im Nachwort betont. Denn tatsächlich sei, wie sie schreibt, „Plötzlich Millionärin“ der erste Roman, „der auf von mir selbst erlebten Begebenheiten basiert“. Das erklärt nicht nur, warum Steffis Erlebnisse während des Safari-Camps so authentisch wirken. Auch die beiläufig eingestreuten Bemerkungen über das ökologische Gleichgewicht und der Respekt vor der Arbeit der Naturschützer sind offenkundig nicht nur der Heldin, sondern auch ihrer Schöpferin ein echtes Anliegen.
Perfekte Identifikationsfigur
All das aber ist nur Teil der Verpackung. Der eigentliche Reiz des Buches liegt in der Innenwelt. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass Steffi zur perfekten Identifikationsfigur wird, zumal Hauptmann die Geschichte in der ersten Person geschrieben hat – so bleibt der Roman in jeder Zeile bei seiner Heldin. Auch auf dieser Ebene gibt es ein Außen und ein Innen. Zur äußeren Dramaturgie gehören vor allem Steffis Lottogewinn, die Gier ihres Sohnes und ihrer Schwester Susanne, die einen Anteil wollen. Susanne hetzt Steffi sogar einen Anwalt auf den Hals. Absurd, aber vermutlich dem Leben abgeschaut.
Für die zweite Wende im Leben der braven Verkäuferin, die vor ihrer ersten Fernreise erst mal Panik bekommt, sorgt Mike, ein verwitweter Weltenbummler mit formvollendeten Manieren und einer für einen Mann von Mitte 50 offenbar bemerkenswerten Fitness – detailfreudig beschriebener Sex ist schließlich ebenfalls eine feste Zutat der Hauptmann-Romane. Es klappt zwar erst im dritten Anlauf, aber dafür ist der Orgasmus „gewaltig“. So viel Eskapismus muss sein.
Neue Liebe, neues Leben
Bis hierhin liest sich das zunächst geschickt in langer Rückblende erzählte Abenteuer wie die Roman-Version von Schlagern im Stil von „Eine neue Liebe wie ist ein neues Leben“. Aber weil Steffi nicht zuletzt aufgrund ihrer gescheiterten Ehe genauso verzagt ist wie viele andere Menschen, traut sie ihrem Glück nicht. Um es mit der negativen Abwandlung eines alten Weinbrand-Werbespruchs zu sagen: Wenn einem so viel Gutes widerfährt, passiert bestimmt etwas Schreckliches.
Und so geschieht es auch. Hals über Kopf verlässt Steffi Bangkok, wohin sie Mike gefolgt war, und kehrt in ihre Stuttgarter Wohnung zurück, die ihr nun klein und schäbig erscheint. Spätestens jetzt kommt der Roman zu seinem eigentlichen Thema: Oft ist es bloß die Angst vor dem Neuanfang, die die Menschen daran hindert, ihren alten Trott hinter sich zu lassen. Dabei wäre es meist auch ohne Lottogewinn möglich, sein Leben zu verändern.
Die Autorin
Gaby Hauptmann (61) ist eine der erfolgreichsten deutschen Schriftstellerinnen. Nach ihrem Volontariat beim SÜDKURIER war sie unter anderem Chefredakteurin beim Seefunk Radio Bodensee und wechselte dann zum damaligen Südwestfunk. 1995 erschienen ihr Jugendbuch „Alexa, die Amazone“ und „Suche impotenten Mann fürs Leben“. Der bissige Gesellschafts-Roman ist eines ihrer meistverkauften Bücher. Die gebürtige Trossingerin lebt seit 1982 in Allensbach. Die Gesamtauflage ihrer 20 bei Piper erschienenen Bücher liegt bei über acht Millionen Exemplaren, die Romane sind zum Teil in über 30 Sprachen übersetzt worden. Am 1. August 2018 erscheint im Piper-Verlag „Plötzlich Millionärin – nichts wie weg!“ (352 Seiten, 15 Euro).