Herr Braun, die Bekanntgabe der Vorfestlegung für Nördlich Lägern als Schweizer Endlagerstandort hat durchaus energische Reaktionen hervorgerufen – auf deutscher Seite zum Teil noch sehr viel heftigere als in der Schweiz. Hätten Sie mit einem solchen Echo gerechnet?

Es ist sicher interessant gewesen, wie unterschiedlich die Reaktionen waren. Bei den großen Informationsveranstaltungen, zum Beispiel in der Halle in Hohentengen, waren extreme Emotionen im Spiel. Aber solche Veranstaltungen haben immer eine sehr eigene, oft unvorhersehbare Dynamik.

Man darf auch nicht vergessen, dass viele Leute im Rahmen solcher Veranstaltungen erstmals mit der gesamten Thematik konfrontiert wurden. Noch dazu handelt es sich ja um eine sehr komplexe Thematik. Da darf man nicht jedes Wort auf die Goldwaage legen, sondern es bedarf eines gewissen Verständnisses.

Im direkten Gespräch mit den Beteiligten haben wir hingegen oft sehr viel Verständnis und ein sachlicher Umgang mit der Thematik erfahren. Übrigens waren die Reaktionen der Leute auf deutscher und Schweizer Seite gar nicht so unterschiedlich, wie es häufig dargestellt wurde.

Wie haben Sie die Tage und Wochen nach der Standort-Vorfestlegung erlebt?

Es war eine sehr engagierte Zeit, sehr anstrengend. Wir hatten praktisch täglich Veranstaltungen und Diskussionsrunden. Gerade die großen Informationsveranstaltungen in der Schweiz und auch in Deutschland waren besonders beeindruckend, teilweise auch sehr speziell. Das gilt für die Konstellationen ebenso wie für die Rahmenbedingungen.

Ich erinnere mich noch sehr gut an eine Runde mit Landbesitzern – ohnehin eine heikle Angelegenheit. Während dessen haben draußen bereits Kamera-Teams ihre Anlagen aufgebaut. Da habe ich mich schon auch ein wenig gestresst gefühlt.

Aber es war auch sehr befriedigend. Ich persönlich freue mich immer über die direkten Kontakte. Ich habe große Angst, dass das wieder einschläft. Denn die konstruktiv-kritische Begleitung der Planung ist für den gesamten Prozess enorm wichtig.

Viele Fragen haben sich im Lauf der Zeit im Infopavillon der Nagra in Windlach gesammelt. Hier haben sich bereits 250 Besuchergruppen ...
Viele Fragen haben sich im Lauf der Zeit im Infopavillon der Nagra in Windlach gesammelt. Hier haben sich bereits 250 Besuchergruppen ein Bild von der Planung gemacht. | Bild: Baier, Markus

„Engagierte Diskussion hilft uns bei Detailfragen weiter“

Was meinen Sie damit?

Wesentliche Schlüsselelemente unserer jetzigen Planung sind erst durch die engagierte Diskussion und den Dialog mit verschiedensten Stellen und Menschen geboren worden. Der Standort der Verpackungsanlage zum Beispiel, oder auch die Platzierung der Oberflächenanlage am Lagerstandort.

Und je mehr wir nun in die Detailplanung vor Ort einsteigen, desto wichtiger wird es für uns zuzuhören, und ich zähle auch darauf, dass wir Input bekommen. Denn niemand kennt diese Gegend besser als die Menschen, die hier leben. Ich bin überzeugt, dass wir von der Nagra Weltklasse sind, wenn es um Fragen der Sicherheit oder andere relevante Aspekte einer Endlagerplanung geht.

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Aber wenn bei Themen wie Verkehrsführung, der Versorgung mit Elektrizität oder dem geeigneten Standort für eine Deponie sind andere die Experten. Tatsächlich kommen sehr viele Ideen, die einer Prüfung wert sind. Mich erstaunt sehr, wie schnell die Gemeinden aber auch die Menschen in der Region umgeschaltet haben und inzwischen sehr pragmatisch an die Sache gehen.

Das ging alles sehr viel schneller, als wir erwartet hätten. Längst geht es nicht mehr um die Entscheidungskriterien, sondern um das Projekt als solches. Ich empfinde das als sehr schöne Entwicklung.

Das heißt also: Zwei Monate nach der Bekanntgabe ist Ruhe eingekehrt? Erhalten Sie keine wütenden Anrufe oder Kommentare mehr?

Wir haben die ganze Zeit über keine wütenden Anrufe oder Briefe bekommen. Kritisch durchaus, aber nie ausfallend. Und eine kritische Begleitung eines solchen Prozesses ist auch wichtig. Nur so können wir gute Lösungen erarbeiten und für alle Beteiligten das Bestmögliche erreichen.

So soll sich die Oberflächenanlage in die Landschaft einfügen. Das Wesentliche geschieht aber unter der Erde.
So soll sich die Oberflächenanlage in die Landschaft einfügen. Das Wesentliche geschieht aber unter der Erde. | Bild: Baier, Markus

„Rollenteilung verwirrt, gewährleistet aber Kontrolle“

Wie hinderlich ist es vor diesem Hintergrund, dass Sie zu vielen Details noch gar keine genaue Aussage treffen können, oder einige Zuständigkeiten bei anderen Behörden liegen?

Es ist an manchen Stellen schon verwirrend, dass es eine Rollenteilung zwischen verschiedenen Behörden und der Nagra gibt. Aber andererseits ist das für die Menschen und die Region sicherlich eine gute Sache, denn so ist gewährleistet, dass man auch uns immer auf die Finger schaut.

Was die fehlenden Detailkenntnisse angeht, so mussten wir eine Grundsatzentscheidung treffen: Arbeiten wir von Anfang an transparent oder halten wir es geheim, bis wir auf alle Spezialfragen eine Antwort haben.

Wir haben uns für die Transparenz entschieden. Damit sind eben Konsequenzen verbunden, mit denen wir jetzt leben müssen.

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Wie geht es nun konkret weiter?

Für uns ist die Arbeit noch lange nicht beendet. In zwei Jahren müssen wir die Unterlagen für das Rahmenbewilligungsgesuch fertig haben. Bis dahin gibt es für uns schon noch eine ganze Menge zu tun und viele Gespräche zu führen, vor allem mit den betroffenen Gemeinden.

Wir wollen und müssen möglichst viele Aspekte klären, damit wir sie im weiteren Verfahren berücksichtigen können. Dazu zählen infrastrukturelle Themen in besonderem Maße. Aber nach der Bekanntgabe des Standortvorschlags ist das Projekt insgesamt sehr viel fokussierter und konkreter geworden. Das erleichtert den Dialog.

„Wollen kommenden Generationen nichts vorschreiben, aber müssen Verantwortung übernehmen“

Generell geht es bei dem ganzen Vorhaben ja um Zeiträume, die die Vorstellungskraft überschreiten. Trotzdem ist für die nächsten 100 Jahre relativ konkret festgelegt, was wann passieren soll. Ist es nicht etwas vermessen, bis in die übernächste Generation Vorgaben machen zu wollen?

Uns geht es nicht darum, kommenden Generationen etwas vorzuschreiben. Im Gegenteil: Wir wollen ihnen möglichst viele Optionen offenhalten, basierend auf dem heute technisch Machbaren.

Dabei sind natürlich, abhängig von der weiteren technischen und gesellschaftlichen Entwicklung sehr wohl Spielräume vorhanden, etwa wenn es um die Frage des Verschlusses des Endlagers geht, der erst in 100 Jahren vorgesehen ist.

Aber die Aussicht auf mögliche Weiterentwicklungen oder bessere technische Möglichkeiten in der Zukunft ist keine Entschuldigung, Entscheidungen aufzuschieben, zumal es sich ja auch um ein Problem unserer Zeit handelt, das wir nicht auf die nachfolgenden Generationen auslagern können und dürfen.

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„Tauschen uns mit Experten in aller Welt aus“

Die Endlagersuche ist ja eine nationale Aufgabe, per se aber kein spezifisch schweizerisches Thema. Auch Deutschland und viele andere Nationen suchen nach einer Lagerlösung. Inwiefern spielt der Austausch über die Landesgrenzen hinweg eine Rolle?

Es gibt sogar einen sehr engen internationalen Austausch. Wir stehen ja nicht in Konkurrenz zueinander, sondern es gibt sehr viele Aspekte, die für alle interessant sind, die mit der Endlagerung atomarer Abfälle befasst sind.

Jedes Land hat spezifische Voraussetzungen und entwickelt entsprechende Konzepte, aber gerade mit Blick auf geologische Fragen und Sicherheitsthemen ist es sinnvoll, Wissen zu teilen, sich zu vernetzen und gegebenenfalls voneinander zu lernen – zumal die Zahl der Experten für Endlagerung sehr überschaubar ist.

Insofern freue ich mich, dass wir Kontakte zu Experten aus aller Welt pflegen, bei Konferenzen und Treffen dabei sein können und auch schon einige Expertengruppen an unserem Info-Standort begrüßen durften.

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„Theoretisch könnte Projekt noch platzen“

Wenn alles planmäßig läuft, soll es Ende des Jahrzehnts die Rahmenbewilligung geben. 2034 soll das Felslabor in Betrieb gehen. Sie sagten jüngst im Waldshuter Kreistag: Dann sei die Stunde der Wahrheit, weil Sie dann erst viele Annahmen bestätigen könnten. Könnte das Projekt dann schlimmstenfalls auf der Zielgerade noch platzen?

Das Felslabor wird in 800 Metern Tiefe entstehen. Das wird eine gewaltige Baustelle. In diesem Labor wollen wir die Eignung des Standorts noch einmal überprüfen. Theoretisch kann es sein, dass wir dort auf Überraschungen stoßen, was aber sehr unwahrscheinlich ist.

Zuvor haben wir aber noch eine Hürde im Verfahren zu nehmen: die Rahmenbewilligung. Es ist beispielsweise möglich, dass gegen die Rahmenbewilligung das Referendum ergriffen wird und das Schweizer Stimmvolk Nein dazu sagt. Grundsätzlich kann es durchaus passieren, dass die Standortfestlegung fällt.

Und dann?

Nun, die anderen Regionen sind streng genommen nur zurückgestellt, nicht vollständig aus dem Rennen. Aber wie gesagt: Dass wir zu einem Plan B greifen müssen, halte ich für sehr unwahrscheinlich.