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Frank Messmer, in der Nacht von Sonntag auf Montag kämpfen im größten Spiel des American Football die New England Patriots und die Philadelphia Eagles in Minneapolis um den Super Bowl. Sie sehen das Spiel bestimmt mit anderen Augen als die meisten Menschen. Schließlich hatten Sie im Sommer 1997 selbst einen Fuß in der Tür der NFL, oder war es mehr?

Tatsächlich habe ich in der Saisonvorbereitung zwei Spiele für die Pittsburgh Steelers gemacht, eins in Washington gegen die Redskins und eins in Dublin, bei einem der so genannten American Bowls, gegen die Chicago Bears. Beide haben wir vor ausverkauften Rängen hoch gewonnen, und ich habe auch gar nicht schlecht gespielt. Trotzdem hat mich eines Nachts der Headcoach zu sich gerufen und gesagt, dass ich meine Sache gut gemacht hätte, sie mich aber nicht weiter verpflichten könnten. Als ich zurück in mein Zimmer kam, standen meine Sachen schon gepackt da. So lief das damals.

Sie hatten zuvor ja schon drei Jahre professionell für Frankfurt Galaxy in der NFL Europe gespielt. Wie groß war der Schritt nach Pittsburgh?

Das kann man sich gar nicht vorstellen. Wir wurden mit Bodyguards von der Kabine aufs Feld geführt und hatten jeden Tag frische Klamotten in der Umkleide. Jedes Training wurde von drei Kameras aufgezeichnet. Da habe ich erst gemerkt, wie viel Geld da im Umlauf ist und wie viel Leistung man auf dem Feld zeigen muss. Am ersten Abend bekam ich das Playbook mit den Spielzügen in die Hand gedrückt, es war ungelogen 1000 Seiten stark. Das was ich aus Frankfurt kannte, hatte vielleicht 100. Deswegen bin ich in den USA so wenig rumgekommen, weil ich das Buch lernen musste. (lacht)

Was waren Sie für eine Art Spieler?

Ich habe sehr gut in die Steelers-Mannschaft der damaligen Zeit gepasst. Sie haben damals in der Defensive mit einer sogenannten Dreier-Front gespielt, da brauchst du zum einen Spieler, die sehr kräftig sind. Zudem war ich mit 1,91 Metern in meiner Gewichtsklasse mit 140 Kilo einer der Schnellsten, ein Speed Rusher. Deshalb wurde ich von Pittsburgh eingeladen.

Warum haben Sie dann nicht mehr als zwei Spiele bestritten?

In den USA wurde man sehr danach beurteilt, von wem man ausgebildet wurde. Mein Makel war die fehlende College-Erfahrung. Ich hatte zwar in Frankfurt unter Headcoach Ernie Stautner auf einem sehr hohen Level sehr hart trainiert, aber die Grundausbildung hat mir gefehlt. Trotzdem hatte ich mich bei den Steelers in kurzer Zeit in der Defensiv-Hierarchie vom siebten auf den fünften Platz vorgearbeitet, aber nur drei schafften es ins Team. Ich hätte mehr Zeit gebraucht. Das beste Beispiel ist Running Back Jerome Bettis, der auch neu war und mit dem ich viel unternommen habe, weil er Probleme hatte und nicht ins Team passte.

Später wurde er All Star und gewann 2006 den Super Bowl. Es war einfach ein unglaubliches Abenteuer, das ich erleben durfte. Das Spiel in Dublin war mein letztes als Profi. Danach habe ich mich entschieden, in Konstanz sesshaft zu werden und mich von dem Geld, das ich als Sportler verdient hatte, selbstständig zu machen.

Sie haben die Anfänge des Football in Deutschland mitbekommen und jetzt, 20 Jahre später, erlebt diese Sportart hierzulande einen erneuten Boom. Sogar in der Region gibt es zwei junge Teams, in Neuhausen ob Eck die Lions und in Konstanz die Pirates.

Davon war ich sehr positiv überrascht. Wir sind seinerzeit sehr naiv an die ganze Sache herangegangen, wir hatten keine Ahnung, wie viel Wissen und Organisation dazugehört. Wir hatten eine Mannschaft, eine gute Basis mit vielen Studenten, aber das ganze Trainingswissen und das Drumherum hat gefehlt. Für ein ordentliches Training brauchst du mindestens 30 leistungsfähige Spieler.

Wie haben Sie sich damals über Ihren Sport informiert?

In der Uni-Bibliothek gab es ein Buch, daraus haben wir versucht herauszulesen, wie der Sport funktioniert. Wir haben uns an jeden Amerikaner geklammert, den wir finden konnten, weil wir dachten, dass jeder sich mit Football auskennen muss. Wir haben uns alles selbst erarbeitet, haben im Fernsehen auf Premiere oder ORF die Spiele angeschaut und auf Video aufgenommen. Dann haben wir, das muss man sich mal vorstellen, als Fünft- oder Sechstligist, versucht, die Spielzüge der Profis zu kopieren. Zudem gab es eine Zeitschrift namens Huddle, die hat alles aus Amerika zusammengetragen.

In den 1990-er Jahren gab es kein Internet oder soziale Medien. Wie viel mehr wäre damals für die 89ers unter heutigen Voraussetzungen möglich gewesen?

Nicht auszudenken, was wir hätten erreichen können, wenn wir Zugang zu Informationen gehabt hätten. So war die 3. Liga das Maximale, was wir erreichen konnten, auch finanziell. Wir hatten sehr viele treue Fans, ich kann mich an Spiele im Bodenseestadion erinnern vor 3000 Zuschauern. Bis heute sehe ich Aufkleber von den 89ers in der Stadt. Das Problem waren die vielen unterschiedlichen Spieler, die man braucht. Wir hatten zu wenige Leute.

Sie selbst schafften vom Bodensee den Sprung zu den Frankfurt Galaxy in die NFL Europe, die damals ein großes Ding war. War das Ihre schönste Zeit?

Auf jeden Fall. Ich hieß „The Mystery Man“, weil ich ein unbeschriebenes Blatt war und von einem Viertligisten nach Frankfurt kam zu den vielen ehemaligen oder künftigen NFL-Spielern. Trotzdem war ich voll ins Team integriert, bekam guten Support von den Trainern. Das war eine unglaubliche Ehre. Das alte Waldstadion war immer ausverkauft und bei unseren Heimspielen war immer eine Wahnsinnsparty mit einer unglaublichen Show, fast wie in den USA. Andere Mannschaften hatten es da schwerer als wir. Als wir beispielsweise in London im Olympiastadion gespielt haben, herrschte nicht so die große Euphorie.

Gab es ein Erlebnis, das Sie noch Ihren Enkeln erzählen werden?

Ich hatte als Jugendlicher ein großes Idol: William Perry, der wegen seiner Statur the Fridge, der Kühlschrank, genannt wurde. Er hatte 1985 mit den Chicago Bears den Super Bowl gewonnen. Als wir 1996 mit Frankfurt ein Trainingscamp in Atlanta machten, stand er plötzlich neben mir. Ich war so stolz.

Was war das beste Spiel Ihres Lebens?

(lacht) Das haben wir haushoch verloren, gegen die Amsterdam Admirals. Ich war fehlerlos, hatte drei Quarterback-Sacks (gestoppt, d. Red.), habe meinen Gegenspieler kontrolliert und meinen Nebenleuten geholfen. Das Ernüchternde war, dass wir mit 14:30 untergangen sind und ich kein Lob bekam, sondern die ganze Mannschaft einen Generalverriss. Das hat mir gezeigt, dass der einzelne Spieler nur ein Rädchen in einer großen Maschinerie ist.

Und die kurioseste Erinnerung?

Ich habe drei Jahre Profi-Football gespielt und dabei genau einmal den Ball berührt. Da ist er mir auf den Kopf gefallen. Unser Kicker hat den Ball bei einem Punt (Befreiungskick, d. Red.) nicht richtig getroffen, mich von hinten am Helm erwischt – und ich habe einen Fumble (Ballverlust, d. Red.) in die Statistik bekommen. (lacht) Trotzdem hatte ich ein erfülltes Footballerleben.

Was macht für Sie die Faszination am American Football aus?

Die Vielseitigkeit. Als ich 1995 erstmals in die USA kam, waren da Menschen mit 2,30 Metern und 170 Kilo, und im gleichen Team spielten welche, die 1,70 Meter groß waren und 75 Kilo wogen. Im Bus saß einer neben mir, der die 100 Meter in 10,13 Sekunden lief – das war zu der Zeit schneller als der Deutsche Rekord. Und so ein Supersportler gehörte wie ich zur dritten Garde. Das waren Top-Athleten, durch die Bank.

Wie verfolgen Sie heute den Football?

Ich bin nach wie vor ein großer Fan der Steelers und gucke regelmäßig die Spiele. Ich sehe sie aber als ehemaliger Profi mit einer gewissen Nüchternheit und nicht mehr als Fan. Auch den Super Bowl schaue ich wahrscheinlich alleine zuhause an. Ich freue mich natürlich wie alle über schöne Pässe, aber als früherer Defensivspieler ärgere ich mich bei den Touchdowns, dass der Quarterback nicht gesackt wurde. (lacht)

Fragen: Ingo Feiertag

Zur Person

Frank Messmer machte als ehemals erfolgreicher Leichtathlet bei den Konstanz 89ers die ersten Schritte im American Football und spielte anschließend zwischen 1995 und 1998 drei Saisons für das Team von Frankfurt Galaxy in der NFL Europe. 1997 wurde er zum besten Verteidiger Europas gewählt und bestritt im Rahmen der Saisonvorbereitung zwei Spiele für den damals vierfachen Super-Bowl-Sieger Pittsburgh Steelers. Nachdem er anschließend aussortiert wurde, beendete der gebürtige Überlinger seine Profikarriere, spielte einige Jahre in der Bundesliga für Köln und Stuttgart und war Trainer in Donaueschingen. Der 47-Jährige ist verheiratet und hat zwei 16 Jahre alte Zwillingstöchter. Nach seiner Sportlerlaufbahn machte er sich mit einer Druckerei in Konstanz selbstständig. (fei)