Wer sich in Südbaden mit alten Bauten beschäftigt, stößt bald auf Bruno Siegelin. Der Architekt und seine Handvoll Mitstreiter haben sich auf historische Gebäude mit aufgestautem Renovationsbedarf spezialisiert. Damit meistern sie eine höchst anspruchsvolle Aufgabe.
Denn barocke Kirchen oder ein Schloss der Renaissance stehen zwangsläufig unter Denkmalsschutz, kein Stein darf ohne höhere Genehmigung bewegt werden. Das bedeutet vor allem viele Absprachen und behutsames Vorgehen und sackweise Geduld. Siegelin, 57, hat diese Tugenden offenbar. Respekt vor dem alten Mauern und Dächern sind das eine, Fingerspitzengefühlt für sensible Bauherren und höchstamtliche Diplomatie das andere.
Auch in Salem schon aktiv
Siegelins Auftraggeber vertreten gediegene Institutionen. Für das Haus Fürstenberg ist er regelmäßig als leitender Architekt aktiv. Derzeit ist Schloss Heiligenberg (Bodenseekreis) an der Reihe; das prächtige Anwesen benötigt ein neues Dach. Da ist Expertise ist gefragt. Auch in Schloss Salem arbeitete der Architekt bereits noch in jenen Jahren, als das ehemalige Kloster noch der Familie von Baden gehörte; 2009 erwarb das Land Baden-Württemberg das Schloss von der adeligen Familie, der Preis betrug damals 58 Millionen Euro.
Auch bei Sakralbauten gilt der Architekt als gefragter Ratgeber, der die vielstimmigen Wünsche von Bauherr, den Gremien sowie dem allmächtigen Denkmalschutz unter den Hut zwingen muss. Seit 2019 ist er am Radolfzeller Münster als leitender Baumeister aktiv. Auch auf dieser Baustelle besteht ein enormes öffentliches Interesse besteht, handelt es sich doch unstrittig um das Wahrzeichen dieser Stadt. Dort trifft man Siegelin und seine Mitarbeiter – darunter auch Sohn Nikolai – häufig an.

Bei öffentlichen Führungen lotsen sie interessierte Bürger – ob katholisch oder nicht – durch das Innere des Münsters. Die Erkundungen zwischen gotischen Bögen und modernen Gerüsten ziehen viele Menschen an. Bis zu 50 Gäste zwängen sich über steile Metallsprossen bis in den Dachstuhl hoch. Manche sind so begeistert, dass sie einen alten Ziegel gleich mitnehmen wollen. Siegeln lehnt freundlich ab.
„Man muss die Leute halten“
Eigentlich sollte das Münster für die Bauzeit ganz geschlossen werden. Münsterpfarrer Heinz Vogel lehnte das ab, er will den sakralen Raum trotz Renovation offenhalten. Der Gottesdienst findet (bis auf wenige Tage) unter und zwischen den Gerüsten statt. Auch Siegelin findet das richtig. „Man muss die Leute halten“, sagt er bei einer seiner Führungen, während er sich durch den Dachstuhl hangelt.
Respekt vor seinen Vorgängern im Mittelalter durchzieht seine Ausführungen. Etwa wenn er davon spricht, dass die Bauleute damals mit etwa 400 verschiedenen Baustoffen auskamen. Heute sind einige zehntausend gelistet, die sich niemand merken kann. Dennoch ist die Lebensdauer eines gotischen Gewölbes bei weitem höher als die einer modernen Betondecke, erwähnt er.
Sein Büro steht in der Gemeinde Herdwangen-Schönach (Kreis Sigmaringen). Im Waldhof wurde er geboren, und dort befinden sich bis heute seine Arbeitsräume. Er denkt das Bauen immer von den Ursprüngen her. „Bei einem neuen Projekt will ich erst einmal die Baugeschichte verstehen, bevor wir mit der Arbeit anfangen können“, sagt er im Gespräch mit dem SÜDKURIER.
Für ihn und seine Leute ist die Arbeit vor allem ein Dienst an den Bauten der Vergangenheit. „Bauen ist kein Selbstzweck“, sagt er, sondern Dienst an der Funktion und am Erbe. Seinen Sohn überzeugt diese Philosophie. Nikolai Siegelin hat Zimmermann gelernt und dann Architektur studiert. Jetzt schafft er als Assistent seines Vaters und führt große Scharen von Interessenten über die hohen Gerüste in Radolfzell. Der junge Mann ähnelt seinem Vater nicht nur äußerlich; er will den Betrieb später einmal weiterführen.