Das Chaos bleibt aus, der Landesverband formiert sich geschlossen hinter der großen Bundesvorsitzenden, Gegenspieler werden abgewatscht und ziehen sich zurück: Die baden-württembergische AfD kürt Alice Weidel mit einem eindeutigen Votum zur Spitzenkandidatin für den Bundestagswahlkampf 2025 und wählt eine Landesliste, die Loyalität zu Weidel verspricht. Die zerstörerischen Führungskämpfe bei der Südwest-AfD scheinen der Vergangenheit anzugehören. Die 45-jährige Weidel, die mutmaßlich im März 2025 von der AfD zur Kanzlerkandidatin gekürt werden wird, erhält am Samstag bei der Bundeswahlversammlung in der Donauhalle in Ulm 86,5 Prozent der Stimmen. Es gibt keine Gegenkandidatur.
Unter lautstarkem Jubel der über 900 Parteimitglieder nimmt Weidel die Wahl an – und schwört den Landesverband auf Siegeskurs Richtung Bundestagswahl ein. Ebenfalls konkurrenzlos auf die Plätze zwei bis vier gewählt: der Co-Landesvorsitzende Markus Frohnmaier, Martin Hess und Marc Bernhard, allesamt schon bislang im Bundestag im engen Zirkel um Alice Weidel. Am Ende entspricht die gewählte Liste der, die schon vorab bei der AfD kursierte – als angebliche Vorgabe des Landesvorstands.
Weidel-Kritiker werden abgewatscht
Wer bei den zurückliegenden AfD-Richtungsschlachten um die Landespartei als Unruhestifter galt, als offener Kritiker an Weidel oder als zu eigenständiger Parteigänger, wird chancenlos durchgereicht oder tritt aufgrund der am Beifall deutlich werdenden Mehrheitsverhältnisse im Saal gar nicht erst an. Prominentestes Opfer: der Stuttgarter Bundestagsabgeordnete und frühere Landesvorsitzende Dirk Spaniel, 2021 noch Nummer drei auf der Landesliste, der im Lager der Weidel-Getreuen als permanenter Unruhestifter auf der Roten Liste stand.

Spaniel äußert in Ulm schon am Samstag Bedenken, dass die Karten unter den Mitgliedern im Saal nicht fair verteilt worden seien – manche Kreisverbände, mutmaßt Spaniel, hätten ihre Mitglieder busweise nach Ulm gefahren und zum Teil Hotelkosten erstattet oder sogar Sitzungsgelder ausbezahlt, von bis zu 150 Euro war die Rede. Letzteres zumindest weist der Landessprecher auf Nachfrage zurück. „Tagungsgeld gibt es bei uns nicht“, sagt der Co-Landesvorsitzende Frohnmaier, aber wenn Kreisverbände Mitglieder bei Fahrtkosten und Anreise unterstützten, sei das deren Sache.
Bundestagsabgeordneter Spaniel kündigt Parteiaustritt an
Spaniel verweist in seiner Bewerbung auf seine Bundestagsarbeit, seine verkehrspolitische Kompetenz und sagt am Mikrofon, man habe ihm vorab signalisiert, dass für ihn auf der Landesliste kein Platz sei – „nicht, weil mir Kompetenz fehlt, sondern weil es mir angeblich an Loyalität fehle“. Spaniel verliert die Abstimmung um Platz fünf krachend und unterliegt dem Landtagsabgeordneten Ruben Rupp mit 237 zu 608 Stimmen. Noch am frühen Abend kündigt er in einer internen Chatgruppe seinen Rückzug und Parteiaustritt an. Die AfD-Landesspitze nimmt das allerdings nicht wirklich ernst. „Das hat er schon mehrfach angekündigt“, heißt es am Sonntag dazu im Vorstand.
Taras Maygutiak vom mitgliederstarken Kreisverband Ortenau ist am Sonntag im Saal einer der wenigen, der Spaniels Rückzug öffentlich bedauert: „Für die Partei im Bundestag ist das ein großer Verlust, weil Spaniel eine enorme Fachkompetenz im Auto- und Verkehrsbereich hat, die für unser Bundesland sehr wichtig ist. Das bringt sonst keiner mit“, sagt er.
Auch Christina Baum, von der ebenfalls ein gespanntes Verhältnis zu Weidel hinterlegt ist, unterliegt bei der Kandidatur auf Listenplatz 8 deutlich der 26-jährigen Diana Zimmer aus Pforzheim, die als einzige Frau auf einem aussichtsreichen Listenplatz antritt. Auch Baum tritt nicht erneut an. Durchgereicht wird auch Jürgen Braun, chancenlos bleiben zudem zwei Bewerbungen des Ex-AfD-Landtagsabgeordneten und Ex-Parteimitglieds Heinrich Fiechtner.
Weidel nimmt Ergebnis „mit Dankbarkeit und Demut“ zur Kenntnis
Weidel und Frohnmaier zeigen sich im Anschluss zufrieden und loben „einen geeinten Landesverband“, mit dem man beim Bundestagswahlkampf stark auftreten könne. „Mit Dankbarkeit und Demut“ nehme sie das Wahlergebnis zur Kenntnis, sagt Weidel. „Der Landesverband war nie ein einfacher, deshalb sind die Mitglieder froh, dass wir hier jetzt ein starkes, geeintes Signal senden und eine schlagkräftige Truppe aufgestellt haben.“

Wäre Spaniels angekündigter Parteiaustritt ein Verlust? Da bleibt Weidel im Ungefähren. „Als Fraktionsvorsitzende ist es meine Aufgabe, mit verschiedenen Strömungen umzugehen. Aber Kritik muss es in gesetztem und zivilisiertem Rahmen geben“, sagt sie.
Befürchtetes Organisations-Chaos bleibt aus
Was die Organisation betrifft, bleibt das befürchtete Chaos in Ulm aus. Noch am Sonntag sind alle 25 Plätze vergeben, damit entfällt der für November ebenfalls in Ulm angesetzte zweite zweitägige Termin. Eine Nachricht, die nicht nur die Finanzen des AfD-Landesverbands, sondern auch die Stadt Ulm erleichtern dürfte, der ein weiteres Großeinsatzwochenende rund um die AfD und die Proteste erspart bleibt.
Die AfD-Kandidaten zeigen allesamt ein düsteres Bild von Deutschland auf. Das eines Landes am gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Abgrund, dessen Volk Identität, Lebensgrundlage und Wohlstand entzogen werden soll – durch die Ampel-Regierung und vor allem die Grünen, durch illegale Migranten, kriminelle und vergewaltigende Ausländer, durch Ausverkauf der inneren Sicherheit und Verschwendung von Steuergeldern.
Redner fordern Grenzschließungen und Remigration
Die Forderungen nach Grenzschließungen und Abschiebungen fehlen in kaum einer Rede, auch organisierte Remigration wird gefordert. Wer die Aufarbeitung der Corona-Jahre verspricht – etwa Marc Bernhard, der ankündigt: „Wir werden die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen!“ – kassiert großen Jubel. Ebenso Weidel mit der Ankündigung, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk die Finanzierung zu entziehen. „Hier ist ja auch Presse, aber das sind keine Journalisten, das sind Aktivisten“, sagt Weidel hoch zur Pressetribüne, der Saal johlt, als Weidel ruft: „Führen wir sie einer richtigen Arbeit zu!“
Tausende demonstrieren gegen die AfD – Weidel ist das egal
Dass währenddessen am Wochenende in der Ulmer Innenstadt und vor der Donauhalle Tausende von Bürgern unterwegs sind, um bei Demonstrationen und Kundgebungen für Toleranz, Menschenrechte, eine weltoffene Gesellschaft, das Grundrecht auf Asyl und gegen Hass und Hetze und vor allem gegen die AfD mobil zu machen, dringt in die geschlossene Welt der Donauhalle mit ihren Feindbildern nicht vor.

Das deutsche Volk, das draußen auf der Straße fröhlich und entschieden gegen die AfD aufmarschiert, ist offensichtlich ein anderes, als das entrechtete Volk, das von den Rednern drinnen bei der AfD beklagt wird. Alice Weidel findet die Frage kaum der Rede wert, welche Botschaft sie denn an die Menschen da draußen habe. „Sollen sie doch demonstrieren. Schön für sie. Ich hoffe, sie haben schönes Wetter“, sagt Weidel. Für sie herrscht zumindest in der Halle jedenfalls bestes Wetter. Und im heimischen Landesverband ist jetzt erst einmal aufgeräumt.