Ralf Isermann, AFP

Wer in der katholischen Kirche zur Beichte geht, soll sich seiner Sünden entledigen können. Doch was Priester in Deutschland im Beichtstuhl machten, ist das genaue Gegenteil: Hier machten sie sich an Jungen heran oder missbrauchten sie sogar – das ist eines von vielen verstörenden Ergebnissen, die die Studie der Bischofskonferenz zum Missbrauchsskandal offenbart.

Der Leiter der Studie, Harald Dreßing, ist nach eigenen Worten „erschüttert“ über das, was er über den Missbrauch in der deutschen Kirche herausfand. Seit über 30 Jahren hat er als forensischer Psychiater mit Missbrauchsfällen zu tun. Doch so etwas wie in der katholischen Kirche ist ihm nach eigenen Worten noch nicht untergekommen.

Am Rande der Vorstellung der Studie berichtet Dreßing etwa über das Detail zu den Beichtstühlen. Dort hätten Priester gegenüber anderen Priestern den Missbrauch von Kindern gestanden – dies aber nur, um danach wie vorher weiterzumachen. Oder sie hätten die Beichten von Kindern ausgenutzt, um Missbrauchstaten an diesen anzubahnen oder sie sogar im Beichtstuhl zu missbrauchen. Eine schlimmere Verrohung einer moralischen Instanz wie der Kirche scheint kaum vorstellbar.

Stephan Ackermann, Bischof von Trier und Beauftragter für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich, hält zu Beginn einer ...
Stephan Ackermann, Bischof von Trier und Beauftragter für Fragen des sexuellen Missbrauchs im kirchlichen Bereich, hält zu Beginn einer Pressekonferenz der Deutschen Bischofskonferenz ein Exemplar der Studie "Sexueller Missbrauch an Minderjährigen durch katholische Priester, Diakone und männliche Ordensangehörige im Bereich der Deutschen Bischofskonferenz". | Bild: Arne Dedert/dpa

Aber doch ist dieses Detail nur ein Randaspekt bei der Vorstellung der in mehreren Jahren wissenschaftlicher Arbeit entstandenen Studie. Dass es 1670 Täter und weit über 3000 Opfer von Missbrauch durch katholische Priester in Deutschland gibt, war schon vorher bekannt geworden. Mehr als fünf Prozent aller Gemeindepriester sollen sich in den vergangenen Jahrzehnten an Kindern vergangen haben. Doch ein anderer Aspekt der Studie ist neu – und er muss für alle Katholiken mit enger Bindung zur Kirche verstörend sein: Die Gefahr für Kinder und Jugendliche besteht unverändert fort. Dreßing sagt zum Missbrauch durch Priester, es handle „sich nicht um ein historisches Phänomen, das in der Vergangenheit abgeschlossen wurde“. Und die im Beirat der Studie sitzende Roswitha Müller-Piepenkötter ergänzt, es sei wegen der unveränderten Strukturen davon auszugehen, dass auch „für die Zukunft mit solchen Fällen zu rechnen ist“.

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Gescheiterte Schutzkonzepte

Die Analyse ist für die Kirche beschämend. Seit acht Jahren wird über den Missbrauch in der Kirche diskutiert. Jedes Bistum leitete eine eigene Aufarbeitung ein, nach außen wurde von Kirchenverantwortlichen wieder und wieder angegeben, dass das Problem erkannt sei. Doch tatsächlich stellten die Studienmacher fest, dass die Aufarbeitung von Bistum zu Bistum stark unterschiedlich betrieben wird. Mehr als jede fünfte Diözese hat nicht einmal ein definiertes Stundenkontingent für Präventionsbeauftragte. Und die eingesetzten Präventionsbeauftragten hätten im Gespräch über „klerikale Machtstrukturen“ geklagt, an denen Schutzkonzepte scheiterten.

Bischöfe warten beim Eröffnungsgottesdienst der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Dom vor der Sakristei an einem ...
Bischöfe warten beim Eröffnungsgottesdienst der Herbst-Vollversammlung der Deutschen Bischofskonferenz im Dom vor der Sakristei an einem Altar mit einem Kreuz. | Bild: Arne Dedert/dpa

Kardinal Marx und der Missbrauchsbeauftragte der Bischofskonferenz, Triers Bischof Stephan Ackermann, verfolgen die Ausführungen der Wissenschaftler mit betretenen Gesichtern. Wie sie konkret darauf reagieren wollen, bleibt aber unklar. Über die von Opfern geforderten höheren Entschädigungszahlungen sind beide zu sprechen bereit, wie sie sagen. Marx und Ackermann greifen auch die Aussage der Studienmacher auf, dass die Studie nicht eine Aufarbeitung sei, sondern nur Grundlage dafür sein könne. Aber auch wie die Aufarbeitung nun konkret geschehen soll, bleibt noch unklar. Von neuen Gesprächen mit den Betroffenen ist die Rede, außerdem von möglichen weiteren Studien. Näheres soll die Bischofskonferenz beraten.

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Was die Studie ans Licht bringt

  • Die Untersuchung hat 356 Seiten und umfasst die Jahre 1946 bis 2014. Alle 27 Bistümer nahmen an der Studie teil. Sowohl Namen der Betroffenen als auch der Bistümer sind anonymisiert.
  • In 38 156 ausgewerteten Akten der 27 deutschen Bistümer gab es bei 1670 Klerikern (4,4 Prozent) Hinweise auf Beschuldigungen des sexuellen Missbrauchs Minderjähriger. Darunter waren 1429 Diözesanpriester (5,1 Prozent aller Diözesanpriester), 159 Ordenspriester (2,1 Prozent) und 24 hauptamtliche Diakone (1,0 Prozent).
  • 3677 Kinder und Jugendliche sind als Opfer dieser Taten dokumentiert. Bei 54 Prozent der Beschuldigten lagen Hinweise auf ein einziges Opfer vor, bei 42,3 Prozent Hinweise auf mehrere Betroffene zwischen 2 und 44, der Durchschnitt lag bei 2,5.
  • Jungen: 62,8 Prozent der von sexuellem Missbrauch Betroffenen waren männlich, 34,9 Prozent weiblich, bei 2,3 Prozent fehlten Angaben zum Geschlecht. Das deutliche Überwiegen männlicher Betroffener unterscheidet sich vom sexuellen Missbrauch an Minderjährigen in nicht-kirchlichen Zusammenhängen.
  • Beim ersten Missbrauch waren 51,6 Prozent der Betroffenen jünger als 14 Jahre alt. 25,8 Prozent waren 14 oder älter, bei 22,6 Prozent war das Alter nicht dokumentiert.
  • Drei von vier Betroffenen standen mit den Beschuldigten in einer kirchlichen oder seelsorgerischen Beziehung, zum Beispiel als Messdiener.
  • Der Missbrauch: In 15 Prozent der Fälle kam es zu einer Form der Penetration, die weitaus meisten Übergriffe waren intime Berührungen unter der Kleidung, oft mit Masturbation. (dpa)