In Süddeutschland steckt mehr Italien, als man sich vorstellen kann. Das im Vergleich zum Norden recht milde Klima, die zuweilen recht lebenslustigen Einwohner und – die Verbindungen zur Mafia. Dieser Begriff ist mittlerweile ein Sammelbecken für italienische Verbrecherorganisationen wie eben die Mafia selbst, die neapolitanische Camorra, die kalabrische ’Ndrangheta oder die apulische Sacra Corona Unita. „Baden-Württemberg war stets hochinteressant für die Mafia“, erklärt Wolfgang Rahm, als Kriminalhauptkommissar vom Landeskriminalamt Stuttgart spezialisiert auf organisierte Kriminalität. „Da ist die starke Wirtschaft. Und nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Gastarbeiter aus Italien zu uns. Die zweite, dritte Generation ist hier längst beheimatet.“ 552 000 Italiener leben in Deutschland, nicht mitgezählt die Nachfahren der Gastarbeiter, die längst den deutschen Pass besitzen. Ein Viertel dieser Italiener lebt in Baden-Württemberg.
Die Behörden gehen davon aus, dass 500 Mafia-Mitglieder in Deutschland leben, ein Drittel davon in Baden-Württemberg. „Wir können nur davor warnen, die bei uns lebenden Italiener zu stigmatisieren“, sagt Wolfgang Rahm, „99,9 Prozent haben nichts mit der Mafia zu tun und möchten nichts mit ihr zu tun haben.“ Und doch spricht der Experte diese Worte aus: „Früher haben die Mafiosi in Erdlöchern auf Sizilien gelebt“, sagt er. „Heute sind es die lieben Nachbarn von nebenan. Wir sprechen längst von einer bürgerlichen Mafia.“ Die Polizei sei nicht mehr in der Lage, den Kampf allein zu führen. Wolfgang Rahm erklärt: „Wenn man eine Pizzeria kennt, bei der offensichtlich nicht viel los ist, aber der Besitzer sich trotzdem viele teure Dinge leistet – dann könnte man sich schon fragen, wo das viele Geld herkommt.
“ Und so entstand die Initiative „Gemeinsam schaffen wir es“. Sie ruft die Bevölkerung dazu auf, mit Hinweisen an die Polizei die Bekämpfung der organisierten Kriminalität zu unterstützen.
Der deutsch-italienische Journalist Sandro Mattioli hat sich dem Kampf gegen die Mafia verschrieben. „Wir haben immer noch das verklärte Bild im Kopf, dass Mafiosi mit dunklen Sonnenbrillen und schwarzen Anzügen daherkommen“, sagt er. „Doch wir müssen uns vor Augen halten, dass wir es mit einem extremen System der Ungerechtigkeit zu tun haben.“ Kinder würden sterben, weil in italienischen Vororten Giftmüll gelagert wird, erklärt der Co-Autor des Buches „Die Müll-Mafia“. Er spricht von illegaler Giftmüllentsorgung, Geldwäsche und dem Netzwerk von Mafia und Wirtschaft.
„Bei meinen Recherchen bin ich auf Städte wie Singen oder Rielasingen-Worblingen gestoßen“, sagt er. Das war 2011. Bei der Operation Crimine 1 und Crimine 2 gelang im Hegau ein Schlag gegen die kalabrische Ndrangheta. „Einem Lokal wurden Bezüge nach Kalabrien und in die Schweiz nachgewiesen“, erzählt Wolfgang Rahm, und Mattioli ergänzt: „Die ’Ndrangheta setzt laut italienischer Anti-Mafia-Kommission 44 Milliarden Euro jährlich mit Kokainhandel und Schwarzgeldwäsche um.“ Da die Zugehörigkeit zur Mafia in Deutschland nicht strafbar sei, sondern erst ein Delikt nachgewiesen werden muss, „öffnen wir der Mafia die Tür zu unserem Land“, so Mattioli. „Die Mafiosi müssen sich bei uns nur benehmen und nicht auffallen, dann passiert ihnen nichts.“ Da müsse man sich nicht wundern, dass sie hieherkommen und bleiben.
Ein Geheimbundwar die Keimzelle
- Mafia: Der Begriff war ursprünglich die Bezeichnung für einen streng hierarchischen Geheimbund, der seine Macht durch Erpressung, Gewalt und politische Einflussnahme auszubauen versuchte und seine Wurzeln im Sizilien des 19. Jahrhunderts hat. Heute bezeichnet man die sizilianische Mafia auch als Cosa Nostra. Die sizilianische Mafia operiert weltweit und hat Verbindungen zu anderen mafiaähnlichen Gruppen. Die meisten italienischen Verbrecherorganisationen wie die neapolitanische Camorra, die kalabrische ’Ndrangheta und die apulische Sacra Corona Unita werden heute auch der Mafia zugeordnet.
- Aufnahmeritual: Die Mitgliedschaft in der ’Ndrangheta wird durch eine Taufe begründet. Damit verlässt der Aspirant seine leibliche Familie und wird in eine neue, die ‘Ndrangheta, aufgenommen. Die Taufe endet mit dem Schwur: „Finche vita avro nel fango non cadro“, „Ich werde niemals verraten, solange ich lebe.“ Der Täufling trinkt das Blut seines Paten und verbrennt ein Heiligenbildchen auf seiner Hand.
- Erfolgreicher Schlag: 2011 wurden Haftbefehle unter anderem in Kanada, Australien und in Deutschland vollstreckt. In Singen im Hegau ging die Führungsstruktur des Locale (Filiale) Singen ins Netz. Es waren unscheinbare Männer, die regelmäßig zur Arbeit gingen und nicht auffielen.
- Baden-Württemberg: Hier haben sich mehrere Mafia-Clans niedergelassen. Schwerpunkte sind Mannheim, Stuttgart und das Bodenseegebiet. Um die organisierte Kriminalität effektiver bekämpfen zu können, hat das Landeskriminalamt eine Hotline eingerichtet. Das Projekt heißt „Insieme si può!“ „Gemeinsam schaffen wir es!“. Bei den Anrufen geht es in der Regel um Geldwäsche, um Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, um Drogen und Umweltkriminalität. Telefonnummer: 0711/ 5401 244. (as)