Ralf Nestler

Wasserstoff wird als Wundermittel der Energiewende gehandelt. Erzeugt mittels klimafreundlichem Strom, kann der Energieträger transportiert und gelagert werden, um ihn bei Bedarf zu nutzen. Doch das Gas ist flüchtig und entzündlich, was den Umgang erschwert. Eine Alternative könnte Eisen sein.

Mehrere Forscherteams ergründen bereits, wie das Allerweltselement – es ist das vierthäufigste auf der Erde – zur Energiespeicherung genutzt werden könnte. Erste Versuche, darunter in einer Brauerei, sind vielversprechend. Am Ende könnte es sogar den geächteten Kohlekraftwerken eine Renaissance ermöglichen – als klimafreundliche Variante.

Strom und Wärme in großem Stil

Wird der Wasserstoff mithilfe klimafreundlich erzeugten Stroms hergestellt, entsteht ein Kreislauf, bei dem das Eisenpulver als Energiespeicher fungiert. So könnte der Strom- und Wärmebedarf im großen Stil gedeckt werden, ohne fossile Rohstoffe einzusetzen. Das haben kanadische Forscher der McGill University in Montreal 2018 vorgerechnet.

An Detailfragen arbeiten Forscher und Studenten der Technischen Universität (TU) Eindhoven in den Niederlanden. Nach Labortests haben sie Ende Oktober die erste Anlage in industrieller Umgebung gestartet: in der Bavaria Brauerei in Lieshout. Beim Brauen wird viel Wärme benötigt, diese kommt nun auch aus der Verbrennung von Eisen. Es handelt sich um ein Pulver, die Körnchen sind nur 40 Mikrometer groß. Sofie Scheij von der TU sagt: „Es wird als Schüttgut gelagert und lässt sich einfach handhaben.“ Ein Vorteil gegenüber vielen anderen Energiespeichern.

In der Pilotanlage in Eindhoven wird Eisenpulver in die Brennkammer gefüllt. Pro Stunde werden etwa 60 Kilo Pulver verbraucht, was 100 ...
In der Pilotanlage in Eindhoven wird Eisenpulver in die Brennkammer gefüllt. Pro Stunde werden etwa 60 Kilo Pulver verbraucht, was 100 Kilowatt Wärmeenergie liefert. | Bild: Bart van Overbeeke Fotografie/Universität Eindhoven

Die Anlage verbraucht rund 60 Kilo Eisen pro Stunde und liefert bis zu 100 Kilowatt Wärmeenergie. „Wir wollen die Leistung weiter steigern und planen bereits eine Anlage mit einem Megawatt“, sagt Scheij. In vier Jahren will das Team die 10-Megawatt-Grenze überschreiten. „Außerdem wollen wir vom experimentellen Aufbau wegkommen und eine Anlage designen, die sich vermarkten lässt.“ Unterstützt werden die Forscher von Industriepartnern.

Wirkungsgrad bei rund 35 Prozent

„Die Technologie ist vielversprechend und in jedem Fall wert, sie genauer zu erforschen“, sagt Uwe Riedel, der das Institut für CO2-arme Industrieprozesse des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) leitet. Der Wirkungsgrad, der laut Kalkulationen bei rund 40 Prozent liegt, dürfte in der Praxis zwar nicht erreicht werden, sagt der DLR-Forscher. „Aber um die 35 Prozent könnten möglich sein.“

In der Welt der Erneuerbaren, wo für eine stabile Energieversorgung mehr Umwandlungsschritte nötig sind, sei das ein guter Wert. „Außerdem zeigt sich, dass nicht unbedingt der Wirkungsgrad darüber entscheidet, ob sich eine Technologie durchsetzt, sondern eher die Kosten.“ Die seien bei Eisen voraussichtlich geringer. Während Wasserstoff Druckbehälter und Kühltechnik erfordere, könne Eisenpulver in Big-Bags transportiert werden.

Wie Eisen zu Brennstoff wird

Der Wissenschaftler hält den Eisenzyklus für technisch machbar, weist aber darauf hin, dass auch hier auf Sicherheit zu achten ist. Zum einen betrifft es die Verbrennung des feinen Materials. Die große Oberfläche der vielen Partikel ist dafür günstig, sie erhöht aber auch die Gefahr einer Staubexplosion, wenn eine Zündquelle in der Nähe ist.

Warnung vor Knallgas

Die zweite Gefahrenstelle ist der Wasserstoff, der für die Reduktion benötigt wird. Er kann mit Sauerstoff reagieren, wie jeder vom Knallgasexperiment aus dem Chemieunterricht weiß. „Wasserstoff wird für viele Anwendungen in der Energiewende benötigt, den sicheren Umgang damit müssen wir ohnehin beherrschen und werden es auch“, gibt sich Riedel optimistisch. Es sei an der Zeit, den Energiespeicher Eisen – beziehungsweise Metalle allgemein – und dessen Potenzial genauer zu ergründen, sagt er.

Dazu haben die Technische Universität Darmstadt, die Universität Mainz, das DLR sowie das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) einen großen Forschungsantrag beim Land Hessen gestellt. „Neben den Ingenieurwissenschaften beziehen wir auch die Natur-, Politik- und Wirtschaftswissenschaften mit ein“, sagt Christian Hasse von der TU Darmstadt.

Wasserstoff-Produktion im Süden

Das Konsortium denkt international: Die Reduktion des Eisenoxids, also das Aufladen des Speichers, sollte in südlichen Ländern erfolgen. Dort kann mehr Solarstrom erzeugt werden als hierzulande, der dann per Elektrolyse Wasser aufspaltet und so den Wasserstoff bereitstellt. Anstatt nach Wegen zu suchen, wie das gefährliche Gas nach Europa kommt, wird es vor Ort verwendet und nur das Eisen wird verschifft. Doch auch diese Lieferketten müssen aufgebaut und zuverlässig arbeiten. Daran wird schon jetzt geforscht.

„Zuverlässig und robust“

Wissenschaftler wie Hasse und Riedel sind überzeugt, dass der künftigen Energieversorgung ein solchen Mix gut täte und man keine Technologie von vornherein ausschließen sollte, um den Ausstieg aus fossilen Rohstoffen zu erreichen. Die Verbrennungstechnologien seien „zuverlässig und robust“. „Durch die weitere Nutzung von Gasturbinen in der Stromwirtschaft lassen sich bewährte Anlagen für die Energiewende nutzen.“ Dies erhöhe die Versorgungssicherheit und mindere die Kosten für die Energiewende.

Ob es für die deutschen Kohlekraftwerke, wo das letzte 2038 vom Netz gehen soll, einen nahtlosen Übergang zu einem klimafreundlichen Leben geben könnte, ist offen. Die Hürden sind hoch. „Wir sehen nicht nur Deutschland“, sagt Hasse. Weltweit sind mehr als 2000 Kohlekraftwerke in Betrieb, über 1300 weitere Anlagen sind geplant. „Wenn wir etwas für das Klima tun wollen, müssen wir diese auf nachhaltige Brennstoffe umstellen.“ Die dafür benötigte Eisenmenge sei kein Problem.

Sollten sich die Versprechungen der Technologie erfüllen, könnten also bald Öltanker von Eisenfrachtern abgelöst werden – die womöglich selbst durch die Verbrennung von Eisenpulver angetrieben werden. Auch an dieser Idee wird bereits geforscht.

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