Adrian Lobe

„Du hast keinen Bock mehr auf Mathe-Hausaufgaben? Hier ist deine Rettung: ChatGPT löst alle mathematischen Probleme, mit Lösungsweg und Ergebnis.“ Mit diesen Worten ist ein Tiktok-Video überschrieben, garniert mit einem Lach-Emoji und unterlegt mit einem Song der Girlgroup Blackpink.

Auf der bei Jugendlichen populären Video-Plattform wimmelt es nur so von Erklärvideos und digitaler Hausaufgabenhilfe. Deutschaufsatz? Mathematische Gleichungen? Bio-Arbeit? Kein Problem! ChatGPT hat die Lösung.

Texte auf Knopfdruck

Das Sprachmodell, das seit seiner Veröffentlichung im November eine steile Karriere hingelegt hat, stellt Bildungseinrichtungen vor Herausforderungen. Wie umgehen mit einer Technologie, die auf Knopfdruck Texte produziert und Gleichungen löst? Sie verbieten und aus dem Klassenzimmer verbannen? Oder gezielt als Werkzeug einsetzen?

Die Diskussion erinnert an die Einführung des Taschenrechners in den 70er- Jahren. Damals gab es Befürchtungen, dass Schüler die Fähigkeit zum Kopfrechnen verlieren, wenn sie statt eines Rechenschiebers einen „Mini-Computer“ benutzen.

Taschenrechner galt zunächst als Unding

Allen voran der damalige baden-württembergische Kultusminister Wilhelm Hahn (CDU) sperrte sich gegen die neuen Geräte und untersagte die Nutzung eines Taschenrechners in den ersten sechs Schuljahren. Denn die Kinder sollten „in den schriftlichen Rechenoperationen als einer alten Kulturtechnik bis zu einer bestimmten Fähigkeit unterwiesen werden“.

So wie damals weckt auch die Technologie heute Ängste. Lehrer befürchten, dass Schüler Hausaufgaben und Referat-Texte aus dem Automaten „herauslassen“ und so Prüfungsleistungen erschleichen könnten.

Die Sorge mag auch damit zusammenhängen, dass ein KI-basiertes Sprachmodell weitaus mehr Rechenpower als ein Taschenrechner hat. Nachdem ChatGPT Eingangsprüfungen an US-Universitäten bestanden hat, haben einige Schulen in den USA das Tool aus dem Unterricht verbannt. Auch die französische Eliteuniversität Sciences Po hat den Textroboter auf ihrem Campus verboten.

In den Unterricht bringen oder fernhalten? Ein Monitor mit dem geöffneten Programm des ChatGPT.
In den Unterricht bringen oder fernhalten? Ein Monitor mit dem geöffneten Programm des ChatGPT. | Bild: AFP

Der Deutsche Lehrerverband spricht sich unterdessen gegen ein Verbot von ChatGPT an Schulen aus. Diese müssten den richtigen Umgang mit dem Tool lernen, forderte Präsident Heinz-Peter Meidinger. „Wenn es beispielsweise im Deutschunterricht darum geht, Kinder zum Verfassen eigener Gedichte anzuregen, wäre es kontraproduktiv, dazu KI zu benutzen. Das könnte die Kreativität abtöten statt anregen“, so Meidinger.

GEW sieht den Chatbot als Bereicherung

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) hält Verbote für falsch: „Aus Sicht der GEW ist wichtig, sich mit den neuen Entwicklungen im Bereich der künstlichen Intelligenz pädagogisch und didaktisch auseinanderzusetzen“, teilt der GEW-Vize-Landesvorsitzende und Digitalisierungsexperte, David Warneck, auf Anfrage mit. Ziel müsse es sein, Kinder und Jugendliche „im Kontext einer Kultur der Digitalität zu mündigen Bürgern zu erziehen“.

Bei der Diskussion müsse es immer auch um Bildungsgerechtigkeit und Demokratiebildung gehen. „Wer profitiert davon und welche Daten liegen den Chatbots zugrunde?“ Eine Gefahr könne bestehen, wenn etwa durch einseitige Quellen Ressentiments geschürt werden. Hier bräuchte es Transparenz, so Warneck.

Maschinelles Lernen werde die Beziehungsarbeit nicht ersetzen können. „Wir brauchen Menschen in den Klassenzimmern, die diese Instrumente sinnvoll einsetzen können“, fordert der Gewerkschafter. Das sieht auch die GEW-Landesvorsitzende Monika Stein so. Das Land komme nicht umhin, „massiv“ in Studienplätze, besseren Vorbereitungsdienst sowie zusätzliches Personal für Schulpsychologie und Schulsozialarbeit zu investieren.

Kultusministerium weist auch auf Risiken hin

Das baden-württembergische Kultusministerium ist der neuen Technologie gegenüber noch zurückhaltend. „Die pädagogische Herausforderung für die Schulen ist es, die Lernenden dazu zu befähigen, Hilfsmittel bewusst und reflektiert einzusetzen“, teilt das Ministerium auf Anfrage mit. „Das heißt, dass die Schülerinnen und Schüler lernen und verstehen, wie diese Technik funktioniert, welche Chancen sie bietet, aber auch welche Risiken.“

Schwache KI-Anwendungen würden von den Lehrkräften bereits als „methodisch-didaktische Werkzeuge im Unterricht“ eingesetzt, etwa als pädagogisches Diagnose-Tool oder zum Lernstandmonitoring. Diese Praxis sei jedoch „nicht Bestandteil des Bildungsplans selbst“, sondern gehöre „zum pädagogischen Spielraum, den Lehrkräfte bei der Ausgestaltung ihres Unterrichts haben“, so eine Sprecherin. Soll heißen: KI steht erstmal nicht auf dem Bildungsplan. Stattdessen liegt es im Ermessen der Lehrer, das Thema umzusetzen.

Individuelle Lernprogramme möglich

Dabei gibt es längst KI-gestützte Lernplattformen (Intelligente Tutorielle Systeme), mit denen sich der Schulstoff individualisieren lässt. Mit einem digitalen Tutor, der laufend den Kenntnisstand ermittelt, können Schüler auf einem Tablet in ihrem Lerntempo Inhalte erarbeiten. Die adaptive Lernplattform Rhapsode des dänischen Unternehmens Area9 wurde bereits im Rahmen eines Pilotbetriebs an sächsischen Schulen getestet. Datenschützer kritisierten, dass die Lernplattform Amazons Cloud-Dienst AWS nutze und Lerndaten auf US-Servern gespeichert würden.

Auf die Frage, inwieweit Tutorielle Systeme eine Unterstützung im Unterricht mit Blick auf den Lehrkräftemangel sein könnten und es in Baden-Württemberg konkrete Umsetzungspläne gibt, reagiert das Ministerium ausweichend. Es verweist auf das Fortbildungsangebot des Zentrums für Schulqualität und Lehrerbildung (ZSL). Nach einer „Revolution im Klassenzimmer“ klingt das nicht. Der Praxisunterricht mit Künstlicher Intelligenz findet wohl erstmal weiter auf Tiktok statt.