Kathrin Drinkuth, Jürgen Ruf, dpa und Alexander Michel

Mehr als einen Monat nach dem kalendarischen Frühlingsanfang hat sich der Winter in Baden-Württemberg noch einmal mit aller Macht zurückgemeldet. Starke Schneefälle sorgten in der Nacht zum Mittwoch im Südwesten für Chaos auf Straßen und Schienen. Frostige Temperaturen machen derweil Landwirten, Tieren und Pflanzen zu schaffen. Nur Ausflügler profitieren. Mit Schnee bedeckte Berge lockten Wanderer und Spaziergänger an – zu einer Zeit, in der sonst Freibäder öffnen. Die Wetterfolgen im Überblick:

  • Verkehr: Viele Autofahrer wurden vom plötzlichen Schnee Ende April und den damit verbundenen rutschigen Straßen überrascht. Es kam zu Unfällen, Polizei und Rettungsdienste waren im Dauereinsatz. Bäume stürzten unter der Schneelast um und blockierten Straßen, unter anderem im Schwarzwald. Polizei, Meteorologen und der ADAC warnen: Auch die kommenden Tagen muss mit schwierigen Straßenverhältnissen gerechnet werden. Autofahrer sollten in die Berge nur mit Winterreifen fahren.
Ein schwerer Unfall ereignete sich auf der B10 bei Lonsee im Alb-Donau-Kreis. Bild: dpa
Ein schwerer Unfall ereignete sich auf der B10 bei Lonsee im Alb-Donau-Kreis. Bild: dpa
  • Bahn: Auf zahlreichen Bahnstrecken in Baden-Württemberg kam es gestern zu Behinderungen und Verspätungen. Nach Auskunft der Bahn in Stuttgart waren davon insgesamt fünf Strecken in der Hauptverkehrszeit betroffen. Demnach stürzten Bäume auf Gleise, und es gab Oberleitungsschäden. Bahnreisende mussten Zugausfälle und Verspätungen hinnehmen.
  • Landwirte: Sie müssen immense Schäden verkraften. Vielen Bauern im Südwesten haben die frostigen Nächte einen massiven Verlust etwa beim Obst- oder Weinbau zugefügt. So mancher Landwirt hatte versucht, mit Wachskerzen in den Plantagen oder zugezogenen Hagelnetzen die Kälte von den Pflanzen fernzuhalten. Der Erfolg blieb mäßig: „Wir haben Ausfälle von einzelnen Betrieben in einzelnen Regionen, die in Größenordnungen von 70 bis 80, zum Teil bis 100 Prozent gehen“, sagte Verbandspräsident Joachim Rukwied. Viele Pflanzen könnten zwar nach einem Frost erneut austreiben, jedoch sei etwa bei Wein der Ertrag dann deutlich geringer. „Insofern können wir den Ertragsausfall, die Schadenhöhe, noch nicht genau beziffern, aber er ist enorm.“ Bei Steinobst sei der Schaden irreparabel. Die Landesregierung denkt über einen finanziellen Ausgleich für die erlittenen Schäden nach.
Da geht nichts mehr: eine erfrorene Apfelblüte in Endingen am Kaiserstuhl. Bild: dpa
Da geht nichts mehr: eine erfrorene Apfelblüte in Endingen am Kaiserstuhl. Bild: dpa
  • Bienen: Doppelt hart trifft es die Bienen. Zum einen könnten die Tiere nicht ausfliegen, um Futter zu holen, sagte eine Mitarbeiterin des Landesverbands Württembergischer Imker. Zwar hätten sie etwas Grundnahrung in ihren Bienenstöcken. „Aber wenn die Schlechtwetter-Periode anhält, müssen die Imker sie versorgen.“ Sobald das Wetter wieder wärmer werde, flögen die Tiere auch wieder. Doch das führt zum nächsten Problem: Durch den Frost der vergangenen Tage sind viele Blüten – zum Beispiel an Apfelbäumen – kaputt. Dadurch fehlt es den Bienen an Nahrung. Als Folge könne es weniger Honig geben. „Denn mit dem, was sie an Nektar schon eingesammelt haben, versorgen die Bienen sich selbst.“
  • Tourismus: Die mit Schnee bedeckten Berge auf der Schwäbischen Alb und im Schwarzwald locken Wanderer und Ausflügler an. Vereinzelt kann auch Schlitten gefahren werden. Zum Wintersport reicht es aber nicht. Skilifte im Südwesten sind außer Betrieb und werden nach den Schneefällen auch nicht mehr gestartet.
Die Tretboote auf dem Titisee im Schwarzwald tragen ein Schneekleid. Bild: dpa
Die Tretboote auf dem Titisee im Schwarzwald tragen ein Schneekleid. Bild: dpa
  • Freibäder: Der Leiter des Freibads in Balingen auf der Schwäbischen Alb, Rainer Schneider, hat in seinen 35 Dienstjahren noch nie im Schnee die Freibadsaison vorbereitet. Beim Reinigen der Becken vor einer Woche baute sein Praktikant einen kleinen Schneemann auf dem Grund des geleerten und gereinigten Edelstahlbeckens. Am Mittwoch waren die Becken gefüllt und es lag schon wieder Schnee.
  • Vorhersage: Auch die folgenden Nächte sollen laut Deutschem Wetterdienst (DWD) in Stuttgart Minusgrade mit Bodenfrost bringen. Örtlich sind noch bis Ende der Woche Schauer möglich. Der Freitag bringt noch mal Schnee, der im Tagesverlauf in Regen übergeht. Dabei kann es Gewitter geben. Die Temperaturen steigen tagsüber auf bis zu 12 Grad, am Samstag sollen es sogar bis zu 16 Grad werden. Nächste Woche klettern die Temperaturen nach Vorhersagen des Deutschen Wetterdiensts auf bis zu 20 Grad – es soll endlich wärmer werden.
  • Einschätzung des Deutschen Wetterdiensts: „Die Eintrittsphasen des Frühlings haben sich infolge des Klimawandels nach vorne verschoben“, sagt Gerhard Lux, Sprecher des Deutschen Wetterdiensts (DWD) in Offenbach auf Nachfrage dieser Zeitung. „Es war bereits gegen Ende März sehr warm, die Natur ist explodiert und die Triebe haben sich rasant entwickelt“, erklärt Lux. Das Phänomen führt er auf den Klimawandel zurück. Im Schnitt beginne der Frühling inzwischen 10 bis 14 Tage früher als vormals. Da aber Kälterückfälle wie die im April und die Eisheiligen oder eine „Schafskälte“ im Mai weiterhin vorkämen, bedeute die Entwicklung für Obst- und Weinbau eine Gefahr. Auch die zunehmenden Trockenperioden im Sommer stellten eine Herausforderung für die Landwirtschaft dar.


 

Hochs und Tiefs im April

Nach Auskunft des Deutschen Wetterdienstes (DWD) sind Kälterückfälle im April nicht ungewöhnlich. „Das haben wir immer mal wieder gehabt“, sagt Gerhard Lux, Sprecher des DWD auf Anfrage. Allerdings gab es eine Reihe ganz besonders kalter Tage. Für das gestrige Datum des 26. April konnte der DWD mit einer Reihe von Extremen aufwarten, die jeweils von der Messstation des DWD in Konstanz aufgezeichnet wurden:

  • Sehr kalt: Vor 67 Jahren, am 26. April 1950, war es mit einer mittleren Tagestemperatur von 2,9 Grad Celsius „besonders kalt“, wie Lux sagt. Die mittlere Temperatur entsteht, wenn der Durchschnitt zwischen der niedrigsten und der höchsten Tagestemperatur errechnet wird. An diesem Tag wurde kurz vor Sonnenaufgang in Konstanz eine Temperatur von minus 2 Grad Celsius gemessen. „Das war die bisher tiefste gemessene Temperatur an einem 26. April in Konstanz“, sagt Gerhard Lux. Die Aufzeichnungen gehen bis auf das Jahr 1881 zurück.
  • Sehr warm: Vor 25 Jahren, am 26. April 1992, wurde dagegen ein Wärmerekord für die mittlere Tagestemperatur in Konstanz gemessen: 17,4 Grad Celsius. Der höchste Thermometer-Ausschlag, der an diesem Tag in Konstanz je festgestellt wurde, erfolgte 2007. Damals kletterte die Quecksilbersäule auf die sommerliche Marke von 26,0 Grad. Winter und Frühjahr 2007 fielen ungewöhnlich milde und warm aus.
  • Die vergangenen zwei Jahre: 2016 war das Wetter am 26. April in der Region nicht besonders gut. Der Wetterbericht wies „bewölkt mit Regen“ aus. Das Tagesmittel in Konstanz lag bei nur 5,2 Grad Celsius. Im Jahr 2015 sah es dagegen deutlich besser aus. Das Tagesmittel lag bei 14,9 Grad Celsius. Das Thermometer zeigte im Minimum 9,4 Grad an, im Maximum 20,5 Grad.
  • Gestern, 26. April, in Konstanz: Allein der anhaltende Schneefall mit schnell wegschmelzendem Schnee deutet auf eine gemäßigte niedrige Temperatur hin. Im windgeschützten Innenhof des SÜDKURIER zeigte das Thermometer um 14.30 Uhr knapp 7 Grad Celsius.
Alexander Michel