Mahnmale gibt es viele in Deutschland. Sie erinnern an die Toten zweier Weltkriege, die Opfer der NS-Gewaltherrschaft und des DDR-Unrechtsstaats. Der linksextremistische Terror der 70er-Jahre, der Dutzende von Menschen das Leben kostete, hat dagegen kein zentrales Denkmal gefunden. Das wird sich bald ändern. Dafür wurde am Wochenende in Friedrichshafen die Grundlage geschaffen – mit der Ankunft der in Einzelteile zerlegten früheren Lufthansa-Maschine "Landshut", die vor 40 Jahren von einem palästinensischen Terrorkommando entführt wurde.
Weil die "Landshut" keine steinerne Gedenkstele ist, an der zu Jahrestagen schweigend Kränze niedergelegt werden, sondern weil sie ein Flugzeug ist, das dafür gebaut wurde, Urlauber in die Ferien zu fliegen, bleibt ihr der Charakter einer Attraktion, der das Publikum mit sympathiegeleitetem Interesse begegnet. Nichts zeigt das besser als die Szenen im und um das Dornier-Museum, der neuen Heimat der "Landshut", am Samstagmorgen: Autokarawanen auf der Zufahrt, beschäftigte Parkplatzanweiser, eine Warteschlage vor dem Eingang der Museumshalle und Menschentrauben vor den Zäunen, die den Zugang zum Flugfeld versperren.

"Für mich ist heute ein Tag der großen Freude", sagt Museumschef David Dornier. Die Heimholung der "Landshut" aus einem entlegenen Winkel der brasilianischen Hafenstadt Fortaleza hat Dornier in die Form eines fröhlichen Bürgerfests gekleidet. Eintritt wird nicht verlangt, stattdessen werden Bratwürste gebrutzelt, Getränke ausgeschenkt, "Landshut"-Buttons verteilt. Auf der Bühne im Museum spielt eine Kapelle Samba-Melodien. Die Bänke vor der großen Videoleinwand sind bevölkert, denn der erste Akt des heutigen Bühnenstücks steht bevor, und jeder soll ihn live verfolgen können.
Das Schauspiel beginnt kurz nach 9 Uhr mit der Landung eines riesigen Antonow-Frachtflugzeugs, das mit sonorem Rauschen auf der Landebahn aufsetzt. Applaus aus dem Publikum. Nach einem Tankstopp auf den Kapverdischen Inseln vor Afrika hat die russische Besatzung das letzte Drittel der Reise gemacht. Auch ohne die "Landshut" im dicken Bauch des Rumpfs wäre diese Ankunft hier am Bodensee eine Besonderheit. Für 100 Medienvertreter wird heute eine Ausnahme gemacht und der Zaun geöffnet. Sie dürfen der An-124 entgegengehen, die mit dröhnenden Triebwerken in die Halteposition eingewiesen wird.

Auch Gäste, für die die "Landshut"-Entführung und ihre Befreiung durch das Spezialkommando GSG 9 in Mogadischu ein Teil ihres Lebens ist, streben dem Riesen entgegen, sind immer wieder von Journalisten umlagert, erzählen immer wieder, was sie jetzt bewegt. Dazu gehört Gabriele von Lutzau, die trotz einer schweren Erkältung heute morgen von Frankfurt an den Bodensee geflogen ist. Sie übersetzte während der Entführung die Anweisungen des fanatischen Anführers der Terrorgruppe für die Passagiere ins Deutsche. Heute lebt sie als Bildhauerin im Odenwald. "Für das heutige Ereignis bin ich aus meiner Deckung gekommen", sagt von Lutzau und wiederholt noch einmal ihre Botschaft: "Die Landshut ist ein Symbol für die Nicht-Erpressbarkeit des Staates."

Nachdem die mächtige Schnauze der Antonow nach oben geschwenkt, die Laderampe abgesenkt ist und das Team winkender Lufthansa-Techniker den zweiten Akt des Schauspiels eröffnet hat, steht auch Jürgen Vietor, der einstige Copilot, an – wie er sagt – "meiner Landshut". Er legt seine Hand auf den schäbig gewordenen Lack der Rumpfnase, aber es ist eher eine Geste für die Kameraleute. Nein, feuchte Augen, sagt er, bekomme er jetzt nicht. "Fragen Sie einen Piloten nicht nach Gefühlen, wir haben keine.

" Jürgen Vietor hat – als er die Boeing 1977 in Aden, wo die Regierung die Landebahn blockiert hatte, fulminant landete, funktioniert; er funktionierte, als er die Maschine nach dem Tod des Piloten Jürgen Schumann allein nach Mogadischu flog, und er funktionierte, als er nur acht Wochen nach der Befreiung wieder am Steuer der "Landshut" saß. Jetzt zeigt der 75-Jährige erneut Kondition. Er gibt Auskunft in Mikros und Blöcke, erzählt, erklärt, während der Rumpf der Boeing Zentimeter für Zentimeter über eine Rampe aus Stahlgittern aus dem Leib der Antonow gleitet.

15 Tonnen bringt der Rumpf auf die Waage, und da der Frachter bis zu 120 Tonnen tragen kann, wurden auch die Tragflächen der "Landshut" und das Seitenleitwerk in die Maschine gepackt. Der Aufwand ist groß, aber er ersparte einen zweiten teuren Antonow-Einsatz. Nach den Vorgaben des Flugzeug-Eigners Volga-Dnepr hat eine brasilianische Firma eine Konstruktion geschweißt, die die Fracht einhegt, damit sich während des Flugs nichts verschieben kann. So wurde der Rumpf in zwei Schalen gelegt, in denen die "Landshut" in diesem Moment sanft abhebt. Zwei Autokrane einer Stockacher Firma haben den Rumpf am Haken, um ihn auf einen 540 PS starken XXL-Tieflader zu heben. Während die Kranfahrer Herbert Heller und Norman Höckstra die Last sanft absenken, sorgen sieben Männer einer Stockacher Spezialtransport-Firma unter Anleitung von Ralf Richter für die sichere Ablage der "Landshut".

Nackt und ohne Tragflächen wird sie – fünf Stunden nach der Landung – von André Lindner im Führerhaus zum Dornier-Museum vor das Publikum gefahren.

Walkie Talkies knarzen. Während die Spezialisten am Tieflader mit Hydraulikschläuchen, Unterlegbohlen, Maßbändern und Gabelstaplern beschäftigt waren, ist ein zweiter russischer Frachter gelandet. Der dritte Akt des heutigen Schauspiels. Die Iljuschin-76 ist nicht viel kleiner als die Antonow und bringt weitere Bauteile wie die beiden Turbinen und die Leitwerke der "Landshut". Auch sie werden – wie der Rumpf – zunächst in der Halle "Whisky" im Süden des Flughafens eingelagert. Die Geschichte der "Landshut" geht dann weiter. Wenn das Konzept für Restaurierung und Museumsanbau steht, wird die Boeing zusammengebaut. "Die Tragflächen werden im Freien montiert, dann die Fahrwerke", sagt Peter Unger von Lufthansa Technik. Lackierung und Innenausbau könnten in einer Halle erfolgen. Dann beginnt – nach Lufthansa, Odyssee und Flugzeugfriedhof – das vierte Leben der "Landshut".

Mit tonnenweise Werkzeug nach Brasilien
Der Ausbildungsleiter von Lufthansa Technik, Martin Brandes, berichtet von den Zitterpartien, die es in Brasilien zu meistern gab und wirft einen Blick nach vorn.
Herr Brandes, Sie kamen zur Zerlegung der "Landshut" gut vorbereitet nach Fortaleza. Gab es auch Hindernisse?
Wir haben zunächst einmal achteinhalb Tonnen Werkzeug nach Brasilien eingeflogen. Das haben wir zusammengestellt aus Standorten in Hamburg, Frankfurt und Berlin. Dann musste das Ganze erst durch den brasilianischen Zoll. Anfangs hat das reibungslos funktioniert, aber bei einer Palette, auf der wir die neuen Räder für die "Landshut" hatten, gab es eine Verzögerung von zwei Tagen. Das hat den Arbeitsbeginn dann leider ausgebremst.
Warum haben Sie neue Räder montiert?
Mit den alten hätten wir die "Landshut" nicht aus dem Abstellplatz freischleppen können. Die alten Räder waren total platt, und das Flugzeug stand auf den Felgen. Die Reifen konnte man auch nicht mehr aufpumpen.
Und Sie brauchten ja freie Hand zur Demontage . . .
Genau. Wir haben das Flugzeug freigeschleppt und zum uns zugewiesenen Zerlegungsort gebracht. Das war eine Strecke von 500 bis 600 Metern. Da haben wir gedacht: Hoffentlich überlebt die "Landshut" das, weil wir nicht wussten, wie die Struktur des Flugzeugs auf die Beanspruchung reagiert. Am vierten Tag konnten wir dann richtig loslegen.
Der erste Höhepunkt war die Abnahme der linken Fläche. Erfahrungen für dieses Vorgehen hatten Sie nicht?
Nein, wir haben das zuvor noch nie gemacht, da nicht vorgesehen ist, an diesen Flugzeugen die Tragflächen abzunehmen. Wir haben bei einer Vickers "Viscount" (ein viermotoriges Passagierflugzeug, das bis 1964 gebaut wurde, d. Red.) mal die Tragflächen abgenommen. Aber die Dimension und der Zeitdruck waren jetzt anders.
Wie werden Sie das Projekt weiter begleiten?
(lacht) Jetzt gönnen wir uns erst mal eine Ruhepause. Dann werden wir mit allen Beteiligten ein Zusammenbau-Konzept erarbeiten. Sicher ist: Das Zusammenbauen wird länger dauern als das Zerlegen. Die Frage ist: Wie soll die "Landshut" später äußerlich aussehen? Welche Kabine soll sie bekommen? Darüber muss man sprechen, das dauert seine Zeit.
Das Flugzeug soll wohl später nicht wie neu aussehen, sondern auch Originalteile haben . . .
Wir haben jetzt viele alte Teile mitgebracht. Da haben sich in einem Schuppen auch alte Ersatzteile gefunden. Die versuchen wir einzubauen. Wir wollen noch nichts verraten, was das ist – aber die Besucher werden davon sicher angetan sein.
Fragen: Alexander Michel