Sebastian Moll

Eigentlich hätte Bertrand Piccard allen Grund nervös zu sein. Dem 58-jährigen Schweizer steht ein Abenteuer bevor, das selbst gestandenen Hasardeuren den Atem würde stocken lassen. Fünf bis sechs Tage lang wird Piccard ab diesem Sonntag 10 000 Meter über dem Atlantik schweben, in einem 4 Quadratmeter großen Cockpit. Keine Druckkammer schützt ihn vor Hitze oder Kälte und sein Leichtflieger Solar Impulse 2 ist den Elemente so wehrlos ausgeliefert, wie ein Einhand-Segler auf hoher See. Doch Piccard verströmt nicht einmal einen Funken von Furcht. Stattdessen glüht der drahtige Mann vor euphorischer Vorfreude. „Ich kann es kaum erwarten, bis es losgeht“, sagt er, in einen der Ikea-Sessel gelehnt, die provisorisch im Hangar Nummer 19 des New Yorker Kennedy-Flughafens zu einem temporären Wohnzimmer zusammengeschoben wurden.

Heimatflugplatz von Solar Impulse ist Payerne (bei Bern). Die Elektromotoren werden über Solarzellen angetrieben.
Heimatflugplatz von Solar Impulse ist Payerne (bei Bern). Die Elektromotoren werden über Solarzellen angetrieben. | Bild: Jean Revillard/Rezo (www.rezo.ch)

Über der Sitzgruppe hängt eine der Tragflächen von Piccards Gefährt, das sich 72 Meter breit durch die Halle spreizt. Der Flieger ist ein Wunderwerk der Ingenieurskunst: So groß wie eine Boeing 747, so leicht wie ein VW Passat und mit 17 000 Solarzellen bepackt. Zu beinahe Dreivierteln hat es nun schon die Erde umrundet, knapp 30 000 Kilometer, vom Mittleren Osten über Ostasien, Hawaii und quer über den amerikanischen Kontinent, bevor es Anfang der vergangenen Woche hier in New York landete. Dabei wurde nicht ein einziges Gramm Kohlendioxid in die Atmosphäre entlassen.

Am Steuerknüppel löste sich Piccard dabei mit seinem Partner, dem Ingenieur und Unternehmer Andre Boschberg ab, der am flugfreien Tag ebenfalls in den Hangar gekommen ist. Und alle beide sind sich einig, dass da oben, in zehn Kilometern Höhe, bei Weitem die Glücksmomente überwiegen und die Ängste und Sorgen weit unter der Wolkendecke zurückbleiben. „Es ist vollkommen still“, sagt Piccard über das Fluggefühl mit der Solar Impulse. „Unter Dir ist das Meer und über Dir ist die Sonne und Du denkst unweigerlich darüber nach, dass nur sie Dir Kraft gibt und Dich am Leben erhält. Es ist wirklich ein Wunder.“ Andre Boschberg, ein ausgebildeter Armeepilot und hartgesottener Geschäftsmann, gesteht sogar, dass es ihm da oben mehr als ein Mal die Tränen in die Augen getrieben habe. Nach zwei Tagen über dem Pazifik, einem Computerausfall, massivem Schlafdefizit und einem Streit mit seiner Ground Crew habe er sich plötzlich mitten im erhabensten Sonnenaufgang wieder gefunden, den ein Mensch wohl nur erleben kann. „Es war ein Glücksgefühl von einer unbeschreiblichen Intensität.“

Das Cockpit hat nur Platz für einen Piloten.
Das Cockpit hat nur Platz für einen Piloten. | Bild: Solar Impulse

Natürlich sind solche poetischen Augenblicke nicht die Hauptmotivation, auch wenn sie sicher motivieren, wie kaum etwas anderes. Am Anfang ihrer Mission, die im März 2015 in Abu Dhabi begann und voraussichtlich in diesem Juli auf demselben Rollfeld in der Wüste wieder endet, stand ein handfesteres Bestreben. Geboren wurde der Gedanke zu der Mission im Jahr 2000, in einem Heißluftballon irgendwo über der Sahara. Piccard, der aus einer berühmten Abenteurerfamilie stammt, schwebte dem Ziel seiner ersten nachhaltigen Weltumrundung entgegen, doch sein Propangas ging beängstigend schnell zur Neige. Das nächste Mal, schwor er sich, werde er sich nicht mehr von irgendwelchen brennbaren Erdschätzen abhängig machen.

Nicht lange danach nahmen Piccards erste Vorstellungen von einem Solargleiter Gestalt an. Dabei schwang derselbe Drang mit, der ihn schon in den Heißluftballon gebracht hatte; derselbe Drang, der seinen Großvater schon in den 1930er-Jahren mit einem Ballon in die Stratosphäre und seinen Vater mit einem U-Boot in den Mariannengraben getrieben hatte. Er wollte beweisen, dass nichts unmöglich ist. Je konkreter die Planung wurde, desto mehr entdeckte Piccard auch das politische Potenzial seines grenzenlosen Optimismus, seines ungebremsten Glaubens an die Machbarkeit. So ist er heute davon überzeugt, dass unsere Energie-und Umweltprobleme, „schnell und einfach zu lösen sind, wenn man nur will.“ Das einzige, was dazu nötig sei, sei der gleiche Abenteurergeist, der ihn mit seinem Gleiter beflügelt: „Man muss nur den Mut haben, etwas wirklich neuartiges auszuprobieren.“ Für Piccard ist die Solar Impulse Werbe-Vehikel für die Machbarkeit der Energiewende. Er hält Reden bei Ted Konferenzen, lädt Politiker zur Besichtigung des Flugzeugs ein, berät die EU-Kommission und ist Good Will Botschafter der UNO.

Bertrand Piccard und Andre Borschberg freuen sich über den USA-Flug.
Bertrand Piccard und Andre Borschberg freuen sich über den USA-Flug. | Bild: imago stock&people (imago stock&people)

Wie überzeugend er dabei ist, hat er mit der Finanzierung der Solar Impulse bewiesen. 170 Millionen Dollar hat er dafür aufgetrieben und das mit einem eher windigen Pitch. „Ich sage den Firmen: Unsere Idee ist verrückt, ich habe keine Ahnung, ob wir Erfolg damit haben. Ich kann Ihnen nur zusichern, dass Sie mit uns gemeinsam auf eine spannende Reise gehen.“

Das hat genau diejenigen Unternehmertypen angestachelt, die Piccard ansprechen wollte – die echten Innovatoren. Typen wie Sundar Pichai von Google, Ulrich Spiesshofer von Solar-Konzern ABB. Und auch Typen wie Andre Boschberg, der keinen Augenblick zögerte, als Piccard vor knapp zehn Jahren auf ihn zutrat und ihn fragte, ob er nicht sein Partner sein wolle. Auch Boschberg ist einer, der Grenzen nicht gerne akzeptiert. Er schwärmt von Unternehmer-Typen wie Elon Musk und von Luftfahrt-Pionieren wie den Wright Brothers. „Denen hat damals auch die ganze Fachwelt vorgerechnet, dass Fliegen unmöglich ist.“

Jetzt ist er selbst dabei, sich gemeinsam mit Piccard in das Pantheon der großen Flug-Pioniere von den Wright Brothers bis zu Chuck Yeagher einzureihen. Das schmeichelt ihm natürlich gehörig. Doch noch mag er nicht feiern, „das verbietet schon alleine der Aberglauben.“ Und so konzentriert er sich einstweilen auf seinen letzten Flug, wahrscheinlich von irgendwo in Südeuropa aus bis nach Ägypten. „Vielleicht darf ich ja über die Pyramiden segeln“, sagt er.

Das Rekordflugzeug

Mit der Solar Impulse 2 soll bewiesen werden, was mit einem Solarantrieb in der Luftfahrt alles möglich ist.

Grüne Technik: Solar Impulse 2 erhält die Energie nur von der Sonne. Dazu sind die Tragflächen ganz mit Solarzellen bedeckt. Der Strom wird in Batterien gespeichert, die auch nachts die vier Elektromotoren antreiben. Das Flugzeug kann mehr als 24 Stunden in der Luft bleiben. Um Gewicht zu sparen, gibt es nur einen Piloten.

Bisheriger Flug: Der Plan, die Weltumrundung 2015 abzuschließen, musste wegen Batterieprobleme aufgegeben werden. Die Zwangspause auf Hawaii dauerte neun Monate bis in diesen April. (mic)


Wo war Bertrand Piccard schon untwegs? Wo fliegt er gerade mit der Solar Impulse 2?

Der Live-Stream mit der Solar Impulse 2