Vor 200 Jahren gab es in Europa keinen Sommer. Schuld daran war der indonesische Vulkan Tambora. Die Eruption ließ Ernten rund um die Welt ausfallen und stürzte ganze Regionen in die Krise – auch das heutige Baden-Württemberg war betroffen. Doch die Not war auch Anlass für einige Innovationen: die ersten Sparkassen, Landwirtschaftsmessen und landwirtschaftlichen Hochschulen entstanden.
Das ist das, was vom Tambora nach seiner Explosion übrig blieb. Gut zu sehen ist der Krater, die Caldera.
| Bild: University of Rhode Island
ANETT STEIN
Als „Jahr ohne Sommer“ ging es in die Geschichtsbücher ein: 1816. Unzählige Menschen in Europa verhungerten oder wanderten aus, weil auf den Feldern kaum etwas wuchs, die mageren Ernten im Dauerregen vermoderten und das Vieh verendete. Dass die Not auf eine weit verheerendere Katastrophe zurückging, ahnten die Menschen vor 200 Jahren nicht: Auf der kleinen indonesischen Insel Sumbawa hatte der Vulkan Tambora am 10. April 1815 Dutzende Kubikkilometer Magma aus seinem Schlund geschleudert – der Ausbruch gilt als der größte von Menschen dokumentierte.
Noch auf der mehr als 2500 Kilometer entfernten Insel Sumatra sollen die Eruptionen zu hören gewesen sein, Tsunamis trafen auf die Inseln der Region, der Himmel verdunkelte sich für Tage. Mehr als 10 000 Menschen sollen unmittelbar gestorben sein, mehr als 60 000 starben allein in der Region an den Folgen der Eruption. „Ein solcher Ausbruch kommt nur alle 1000 Jahre vor“, sagt Thomas Walter vom Geoforschungszentrum Potsdam. Der Vulkan, mit rund 4300 Metern einer der höchsten Gipfel des Archipels, fiel in sich zusammen – und misst nun noch knapp 2900 Meter.
Es blieb nicht bei der regionalen Katastrophe. In Mitteleuropa und Nordostamerika hatte das Jahr 1816 gerade zum Frühling angesetzt, da kehrte der Schnee zurück. Die Kälte blieb. In der Schweiz und Baden-Württemberg hörte es über Monate kaum mehr auf zu regnen oder zu schneien. Auf Tauwetter folgten extreme Hochwasser. Die Getreidepreise vervielfachten sich, Arme aßen Gras vor Hunger.
Saatkartoffeln ausgegraben
Die schlimmste Hungersnot des 19. Jahrhunderts nahm ihren Lauf. Bis 1817 habe es kaum Ernten gegeben, sagt Claus-Peter Hutter, Leiter der Akademie für Natur- und Umweltschutz Baden-Württemberg. „Die Menschen haben ihre Zugtiere geschlachtet und die Saatkartoffeln wieder ausgegraben in ihrer Not.“ Mit Gipspulver, Eichel- oder Sägemehl gestreckte Hungerbrötchen seien gebacken worden. Etliche Menschen wanderten in die USA aus.
Gemälde aus jener Zeit, etwa von Caspar David Friedrich, zeigen glühend rote Sonnenuntergänge: Von Vulkanaerosolen werden nur die langwelligen, rötlichen Strahlen durchgelassen. Mary Shelley soll ihren Roman „Frankenstein“ geschrieben haben, weil sie wegen des vielen Regens kaum das Haus in der Nähe des Genfer Sees verlassen konnte, in dem sie zu Gast war.
Das „Jahr ohne Sommer“ habe aber auch Gutes zur Folge gehabt, betont Hutter. „Es gab ein Feuerwerk an Innovationen.“ König Wilhelm I. habe mit seiner Frau, der Zarentochter Katharina Pawlowna, eine landwirtschaftliche Hochschule gegründet – aus der später die Universität Hohenheim hervorging. Die Vorläufer der Sparkassen seien zu jener Zeit entstanden, bei denen die Bauern fortan einen Notgroschen deponieren konnten. „Und Wilhelm I. ließ 1818 eine Landwirtschaftsmesse ausrichten, eine Mischung aus Erntedankfest und Ausstellung an einem Tag, zu der 30 000 Menschen kamen“, sagt Hutter. „Das war der Vorläufer des Canstatter Wasen.
“Die größte Katastrophe in der Menschheitsgeschichte war ohnehin ein anderer Ausbruch: „Das war wahrscheinlich die Eruption des Supervulkans Toba auf Sumatra vor 76 000 Jahren“, erklärt Walter. „Er war um den Faktor 20 gewaltiger, über 2800 Kubikkilometer Asche sind dabei ausgeworfen worden.“ Nur wenige Tausend der Menschen damals überlebten die auf den Ausbruch folgenden dunklen Kältejahre, schlossen Wissenschaftler aus Erbgutanalysen. Ein Supervulkan vergleichbarer Größenordnung ist der Yellowstone-Komplex im US-Staat Wyoming, bekannt durch seine Geysire.
Am Vesuv braut sich was zusammen
Weit sorgenvoller blicken Vulkanologen derzeit allerdings auf ein Vulkangebiet in Europa: die Phlegräischen Felder westlich des Vesuv. „Da braut sich was zusammen, aber ob und wann es letztlich zu einem Ausbruch kommt, kann niemand sagen“, sagt Walter. Etwa zwei Millionen Menschen leben im Einflussgebiet der Phlegräischen Felder. „Und eine Evakuierung in sehr kurzer Zeit ist dort unmöglich, da wäre mindestens eine Woche nötig“, schätzt Walter.
Wie beim Ausbruch des Vesuv drohen Wolken aus Gas, Gestein und Asche, die mehrere Hundert Grad heiß sind und die Hänge hinabrasen. Man spricht von pyroklastischen Strömen. Die Folgen für andere Regionen ließen sich nicht vorhersagen – global seien sie aber in jedem Fall. Viel hänge davon ab, welche Jahreszeit gerade sei und welche Luftströme es gebe, erklärt Volker Wulfmeyer vom Institut für Physik und Meteorologie (IPM) der Universität Stuttgart-Hohenheim.
Prinzipiell habe sich am Einfluss von Vulkanen bei allem Fortschritt wenig verändert, die Landwirtschaft werde in gleichem Maße beeinflusst wie einst – es gebe jedoch inzwischen weit mehr Menschen. „Wir können nun mal keine künstliche Sonne aufhängen.“ Eine Trumpfkarte hält die Menschheit aber inzwischen in der Hand: „1816 gab es nicht mal eine Ahnung, wo das Ungemach herkam und erst recht keine Möglichkeit, zu reagieren“, erklärt Wulfmeyer. „Heute können wir die Klimawirkung eines Ausbruchs unmittelbar simulieren, uns auf die Folgen einrichten und in gewissem Maße sogar gegensteuern.“
Lasse sich aus der Größe der Eruption und den Luftströmungen zum Beispiel etwa ablesen, dass Nordeuropa besonders betroffen sein wird, könnten die Landwirte auf andere Feldfrüchte ausweichen. „Es könnte zum Beispiel Winter- statt Sommerweizen gepflanzt werden, der Kälte und Dunkelheit besser vertragen kann.“