Lorenzo Gavarini

Das Bürgergeld sorgt seit seiner Einführung zum 1. Januar 2023, als es das vielleicht noch umstrittenere Hartz IV ablöste, für Kontroversen. Besonders seit der Entscheidung, den Bürgergeld-Regelsatz anzuheben (von 502 Euro auf 563 Euro im Monat für Alleinstehende ohne Kinder), wird die Kritik am Bürgergeld immer lauter. Besonders aus der Opposition von rechts, der CDU und auch der CSU, hagelt es vernichtende Urteile. Der CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann kündigte kürzlich sogar an, dass die CDU das Bürgergeld abschaffen werde, wenn sie wieder an die Macht kommt.

Nun hat sich auch die ehemalige Bundesarbeitsministerin, kurzzeitige SPD-Bundesvorsitzende und heutige Chefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, zu Wort gemeldet. In einem Interview mit dem Recherchenetzwerk Deutschland (RND) sprach sie über die aufgeheizte Debatte, die Kritik der Union, die sie "irritiert" und forderte von der Bundesregierung mehr Tempo bei der Kindergrundsicherung. Die wichtigsten Punkte im Überblick.

Andrea Nahles: So wenige Arbeitslose wie fast nie seit der Wiedervereinigung

In dem Interview mit dem RND zeigte Nahles sich "irritiert" darüber, dass die Bürgergeld-Debatte so aufgeheizt ist. "Wir haben immer noch eine der niedrigsten Arbeitslosenquoten seit der Wiedervereinigung", sagte Nahles und fügte hinzu: "Angesichts der Debatte könnte man aber meinen, wir hätten im letzten halben Jahr eine Verdopplung gehabt."

Auch das Argument, die Erhöhung des Bürgergeldes verleite Menschen dazu, nicht mehr zu arbeiten und stattdessen Sozialhilfe zu beziehen, da sich das mehr lohnen würde, sieht Nahles nicht in den Statistiken belegt. "Der Lohnabstand ist durch den deutlichen Anstieg des Mindestlohns größer geworden", begründete Nahles ihre Position. Es lohne sich immer zu arbeiten. Das spiegele sich auch in den Zahlen wider. Im Jahr 2023, dem ersten Jahr des Bürgergeldes, seien lediglich 341.200 Menschen aus Beschäftigung am ersten Arbeitsmarkt in das Bürgergeldsystem gerutscht, so wenig wie seit 2015 nicht mehr.

Bürgergeld-Debatte: Laut Nahles "nicht ganz fair" gegenüber Ukrainern

Eine häufige Kritik am Bürgergeld von Seiten der Union richtet sich gegen ukrainische Geflüchtete, denen in Deutschland nicht genug Arbeitsanreize geschaffen würden und die lieber Bürgergeld beziehen würden. Nahles konterte diese Kritik trocken mit Statistik. Dafür gebe es keine Beweise. Außerdem sei die Debatte "nicht ganz fair". Man habe den Ukrainern gesagt, sie sollen erst einmal Deutsch lernen, was viele auch getan hätten. "Wir können nicht mitten im Galopp das Pferd wechseln und den Leuten auf einmal vorwerfen: 'Hey, ihr habt keine Arbeit aufgenommen'", sagte Nahles.

Die grundlegenden Deutschkenntnisse seien erst einmal wichtig. Der Rest könne auch während der Beschäftigung gelernt werden. Hier sieht Nahles einen Kritikpunk an der Arbeitspolitik der Regierung. Sie forderte einen Fokus auf die Arbeit. "Vermittlung in Arbeit direkt nach dem Integrationskurs – und dann laufen Beschäftigung und Spracherwerb parallel weiter", erklärte die ehemalige Arbeitsministerin ihren Vorschlag.

Bei den Geflüchteten, die 2016/2017 gekommen waren, sei das Ergebnis bereits ansehnlich. Über 70 Prozent der Männer würden arbeiten. Bei den Frauen bestehe zwar noch Nachholbedarf, so Nahles, aber es ginge in die richtige Richtung.

Kritik an Ampelregierung: Nahles fordert mehr Tempo bei Kindergrundsicherung

Aber Nahles hatte nicht nur Unterstützung für die Ampelregierung gegen die vielen Kritiker übrig. In dem Punkt Kindergrundsicherung forderte sie mehr Tempo von der Ampel. Der 1. Januar 2025 sei bereits vom Tisch, sagte Nahles, ob der von der Regierung angepeilte Februar realistisch sei, wisse sie nicht. Nahles setzt die Regierung aber gleichzeitig unter Druck. Wenn die Kindergrundsicherung noch in dieser Legislaturperiode umgesetzt werden solle, bleibe nicht mehr viel Zeit. "Die Uhr tickt, und zwar ganz laut", sagte Nahles.