Lukas von Hoyer

Das Bürgergeld soll sich schon bald in die Neue Grundsicherung verwandeln, obwohl es erst zum 1. Januar 2023 eingeführt wurde. Die Reform soll unter anderem für schärfere und schnellere Sanktionen sorgen und einen Bewerbungszwang mit sich bringen, wie aus dem Koalitionsvertrag von Union und SPD hervorgeht. Die Planungen für die Umsetzung laufen in den Reihen der noch jungen Koalition auf Hochtouren. Doch sind die Pläne vertretbar? Eine aktuelle Studie, die der Verein Sanktionsfrei beim Umfrageinstitut Verian in Auftrag gegeben hat, sät Zweifel.

Bürgergeld-Studie: In jedem zweiten Haushalt wird gehungert

„Wie geht es den Menschen im Bürgergeldbezug?“ Unter diesem fragenden Titel veröffentlichte Sanktionsfrei e.V. am 23. Juni 2025 eine Studie, bei der Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher zu Wort kommen. Nicht besonders gut, so könnte die naheliegende Antwort lauten, wenn man die Ergebnisse zusammenfasst. 72 Prozent der Befragten gaben an, dass ihnen das Bürgergeld nicht dafür reiche, ein würdevolles Leben zu führen. Etwa ein Drittel muss sich verschulden, um den Alltag finanziell stemmen zu können. 28 Prozent der Studienteilnehmerinnen und -teilnehmer gaben an, sich Sorgen davor zu machen, obdachlos zu werden.

„Über die Hälfte der Eltern müssen regelmäßig auf Essen verzichten, damit ihre Kinder satt werden“, erklärt Helena Steinhaus, Vorstand von Sanktionsfrei. Sie sprach bei der Vorstellung der Studie im Rahmen einer Bundespressekonferenz von einem „täglichen Kampf ums Überleben“. 69 Prozent der Befragten stellten überdies klar, dass eine gesunde Ernährung für sie nicht möglich sei.

Weitere Informationen zur Studie: Das Stimmungsbild wurde nach der Teilnahme von 1014 Personen zwischen 18 und 67 Jahren gezeichnet, die durch ein Online-Access-Panel befragt wurden. „Durch eine abschließende soziodemografische Gewichtung auf Basis der amtlichen Statistiken sind die Daten geeignet, um Aussagen über die Grundgesamtheit der Bürgergeldbeziehenden in Deutschland zu treffen“, erklärt der Verein in einer Pressemitteilung.

Verein Sanktionsfrei fordert deutliche Erhöhrung des Bürgergeld-Regelsatzes

Eine Mehrzahl (77 Prozent) der Befragten sehen in ihrer Situation nicht nur eine finanzielle, sondern auch eine psychische Belastung. „Unser Leben findet in ständiger Unsicherheit statt. Es reicht kaum für die nötigsten Nahrungsmittel und auch der Schulalltag ist dadurch für unsere Kinder besonders schwer. Diese Stimme im Kopf ist immer präsent: Wie soll es morgen weitergehen? Das zerfrisst die Seele“, erklärte Thomas Wasilewski, der mit Steinhaus die Studie vorstellte. Er ist selbst Bezieher von Bürgergeld und engagiert sich als ehrenamtlicher Helfer bei der Tafel.

Nur zwölf Prozent fühlen sich der Gesellschaft zugehörig und 42 Prozent sprachen von empfundener Scham, die sie als Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher verspüren würden. „Das Bürgergeld muss so ausgestaltet sein, dass es die Teilhabe aller betroffenen Menschen gewährleistet“, macht Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), bei der Bundespressekonferenz klar. Er begleitete die Studie unabhängig und sieht den Kurs der Politik als einen „gefährlichen Irrweg“ an. „Die Stigmatisierung des Populismus gegen Menschen, die auf soziale Unterstützung angewiesen sind, kennt nur Verlierer. Eine Kürzung der Leistungen ist kontraproduktiv, nicht nur für die betroffenen Menschen, sondern auch für Unternehmen, Gesellschaft und Sozialstaat, da dies die Arbeitsaufnahme erschweren und nicht verbessern würde. Politik und Wirtschaft müssen mehr und nicht weniger in Menschen mit Bürgergeld investieren“, glaubt Fratzscher.

Der Verein Sanktionsfrei fordert wegen der Erkenntnisse aus der Studie sogar eine deutliche Erhöhung des Bürgergeld-Regelsatzes auf 813 Euro monatlich. Die Zahl basiere auf Berechnungen des Paritätischen Gesamtverbands. Im Rahmen der Neuen Grundsicherung scheint bislang kein höherer Regelsatz als beim Bürgergeld geplant zu sein. Zumindest stehen keine derartigen Hinweise im Koalitionsvertrag. „Da läuft etwas grundlegend falsch. Statt das zu ändern, plant die Politik neue Verschärfungen beim Bürgergeld und diskutiert immer noch darüber, ob der Regelsatz zu hoch ist“, kritisiert Steinhaus.

Bürgergeld: Große Mehrheit der Empfänger möchte arbeiten

Zuletzt wurde kontrovers diskutiert, ob die Höhe des Bürgergeldes dafür sorgen würde, dass die Empfängerinnen und Empfänger keinen hohen Anreiz auf Arbeitssuche hätten. Dafür gibt es laut Fratzscher keinen Beleg. Das Gegenteil sei der Fall: „Menschen, die arbeiten, beziehen deutlich mehr Geld als Bürgergeld-Bezieher. Die Lücke ist größer geworden und nicht kleiner.“

Eines der erklärten Ziele der Neuen Grundsicherung ist unterdessen, so viele Bezieherinnen und Bezieher von Bürgergeld wie möglich in Arbeit zu bringen. Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass sich dies auch die Mehrheit der Betroffenen wünscht. 74 Prozent gaben einen stark ausgeprägten Wunsch auf Unabhängigkeit vom Bürgergeld an. „Die große Mehrheit möchte gern arbeiten“, stellte Fratzscher in diesem Zuge fest. Allerdings zeigte sich nur rund ein Viertel (26 Prozent) der Befragten zuversichtlich, bald eine Stelle finden zu können.

„Die geringe Hoffnung auf bedarfsdeckende Arbeit lässt aufhorchen. Statt den Fokus stets auf mangelnde Arbeitsbereitschaft zu richten, stellt sich die Frage, inwiefern es für Personen im Bürgergeld tatsächlich ausreichend bedarfsdeckende Stellen gibt; wie realistisch es für die meisten Bürgergeldbeziehenden ist, den Leistungsbezug verlassen zu können; und welche Art der Unterstützung sie dabei bräuchten“, analysiert Sanktionsfrei.

Ein Problem seien die Jobcenter, die von vielen Befragten als „nur bedingt hilfreich“ eingestuft werden. Doch auch Bürgergeld-Bezieherinnen und -Bezieher wurden bezüglich ihres Umgangs mit den Jobcentern zuletzt immer wieder kritisiert. „30 bis 40 Prozent aller Termine im Jobcenter platzen, weil die Menschen nicht kommen“, sagte zuletzt Achim Brötel (CDU) Präsident des Deutschen Landkreistages, bei der ZDF-Talkshow „Markus Lanz“. „Wer Termine beim Jobcenter grundlos ausfallen lässt, muss schnell und klar sanktioniert werden. Das ist sonst unfair gegenüber allen, die sich anstrengen. Die gehen ja auch jeden Tag pünktlich zur Arbeit“, sagte Bundesarbeitsministerin Bärbel Bas dem Stern.

Rund 70 Prozent der Befragten haben derzeit Angst vor derartigen Sanktionierungen und einer weiteren Verschärfung der Grundsicherung. Eine solche könnte jedoch bald zur Realität werden.