Häufig geht es um die Frage: Ab wann ist der Tarifaustritt wirksam? Die Satzung des Arbeitgeberverbandes sieht regelmäßig Kündigungsfristen für die Beendigung der Mitgliedschaft vor. Wenn ein Unternehmen diese Frist nicht einhält, ist der Tarifaustritt noch nicht vollzogen, und der Tarifvertrag gilt weiter. Viele Arbeitgeber übersehen auch, dass die bestehenden Tarifverträge auch nach einem Austritt aus dem Arbeitgeberverband zunächst weiter gelten. Man nennt das Nachgeltung. Die gesetzliche Regelung besagt, dass der Tarifvertrag bestehen bleibt, bis er endet. Er gilt dann zwingend. Das Unternehmen kann also in dieser Zeit keine abweichenden Regelungen mit den Mitarbeitern treffen. Gerade die Manteltarifverträge gelten oftmals für längere Zeiträume.
Das ist also die Nachgeltung. Was hat es mit der Nachwirkung auf sich?Die Nachwirkung ist eigentlich unproblematisch. Sie bedeutet, dass der Tarif vertrag grundsätzlich weiter gilt. Der Vertrag fällt nicht dadurch weg, dass das Unternehmen aus der Tarifbindung aussteigt. Der Arbeitgeber ist jedoch berechtigt, mit den Mitarbeitern vom Tarifvertrag abweichende Arbeitsbedingungen zu vereinbaren. Vorausgesetzt, er bekommt die Arbeitnehmer dazu, neue Verträge zu unterschreiben.
Darf der Arbeitnehmer Sanktionen für die Beschäftigten androhen, die keinen neuen Arbeitsvertrag unterschreiben wollen?Diese Sanktionen kann ich mir nicht richtig vorstellen. Jedenfalls ist die mangelnde Bereitschaft, einen geänderten Vertrag zu unterschreiben, per se kein Kündigungsgrund. Über andere Sanktionen müssten die Gerichte entscheiden.
Auch das Bundesarbeitsgericht?Bei uns landen oftmals die Fälle, in denen es um die Vertragsauslegung geht. Viele Arbeitnehmer haben einen Arbeitsvertrag, der sich auf tarifliche Regelungen bezieht. Ein Tarifaustritt wirft dann die Frage auf: Gelten diese Regelungen weiter – und in welchem Umfang? Gelten sie nur für die Bedingun gen zum Zeitpunkt des Tarifaustrittes oder gelten sie dynamisch, also immerwährend? Die Regel in den Arbeitsverträgen ist die dynamische Bezugnahme. Sie besagt, dass der jeweils geltende Tarifvertrag gelten soll.
Viele Arbeitgeber übersehen, dass nach einem Tarifaustritt die Mitbestimmung des Betriebsrates ganz anders eröffnet ist als vorher. Solange das Unternehmen Mitglied des Arbeitgeberverbandes ist, sind viele Regelungsgegenstände der Mitbestimmung, also dem Betriebsrat, entzogen. In dem Augenblick, in dem der Arbeitgeber nicht mehr Mitglied des Arbeitgeberverbandes ist, muss der Betriebsrat zum Beispiel bei den Entgeltgrundsätzen beteiligt werden. Das gerät bei manchen Arbeitgebern aus dem Blick.
Wie sehen die Rechte des Betriebsrates konkret aus?Er kann zum Beispiel in einer Vergütungsordnung die Stufen der Entgelte mitbestimmen. Bei der Entgelthöhe ist der Arbeitgeber noch weitgehend frei. Doch wenn einmal ein aufeinander aufbauendes System da ist, kann der Arbeitgeber letztlich nur noch den Ausgangsbetrag bestimmen. Alles andere ergibt sich dann aus den mitbestimmten Regelungen.
Fragen: Peter LudäscherZur Person
Ulrich Koch, 1959 in Göttingen geboren, ist Vorsitzender Richter des zweiten Senates des Bundes arbeitsgerichtes. Im Juli 2010 verlieh ihm die Universität Göttingen eine Honorarprofessur. Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt ist das letztinstanzliche Gericht der deutschen Arbeitsgerichtsbarkeit und damit einer der fünf obersten Gerichtshöfe der Bundesrepublik Deutschland. Koch referiert bei den Konstanzer Arbeitsrechtstagen.