Bis der Ball 2024 rollt, ist noch lange hin. Aber die Entscheidung darüber, ob die Fußball-Europameisterschaft in sieben Jahren in Deutschland oder in der Türkei stattfindet, wird immerhin schon im Herbst 2018 getroffen.
So hat die Zeit der Nervosität bereits begonnen. Der Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat seine Bewerbung bei der Europäischen Fußballunion (Uefa) im Januar abgegeben, die türkische Fußballföderation (TTF) will dies kommende Woche erledigen. DFB-Präsident Reinhard Grindel spricht von einem „Leuchtturmprojekt“ und bezieht dies auf die sportliche Komponente.
Sein Amtskollege bei der TTF, Yildirim Demirören, hat nur erklärt, man werde bei der Uefa die Papiere einreichen, der offizielle Kommentar zur Kandidatur stammt von Akif Çagatay Kiliç, dem türkischen Minister für Sport und Jugend. Er sagt, sein Land habe bei seinen – letztlich erfolglosen – Bemühungen, die Olympischen Sommerspiele des Jahres 2020 ausrichten zu dürfen, „sehr viel Erfahrungen“ gesammelt und „die Position in der internationalen Arena gestärkt“. Am wichtigsten aber sei, so Kiliç: „Staatspräsident Erdogan steht hinter dem Projekt.“ Mithin: Die Bewerbung der Türkei um die Gastgeberrolle bei der EM 2024 ist mehr als nur ein Leuchtturmprojekt, sie ist eine Angelegenheit von höchstem nationalen Interesse.
Anzunehmen ist deshalb, dass es bis zur Entscheidung der Uefa im September 2018 nicht nur einen Wettstreit zweier Sportverbände gibt, sondern auch ein weiteres deutsch-türkisches Duell auf der politischen Bühne. Der fragile Flüchtlingspakt, bei dem Kanzlerin Merkel vom Wohlwollen Erdogans abhängig ist; Spionagevorwürfe hierzulande gegen den türkischen Moscheeverband Ditib, gekontert von türkischen Spionagevorwürfen gegen deutsche Stiftungen; Erdogans Wut auf die Bundestagsresolution über den Völkermord an Armeniern; Böhmermanns Schmähsatire; pauschale türkische Anschuldigungen, Deutschland tue nichts gegen den Terrorismus; Wahlkampfreden türkischer Spitzenpolitiker in deutschen Arenen; die Inhaftierung eines deutschen Korrespondenten in der Türkei; und natürlich auch die höchst unterschiedlichen Auffassungen zum Referendum, mit dem sich Erdogan am 16. April umfangreiche Machtfülle sichern will – hier Warnungen vor einer Diktatur, dort salbungsvolles Geschwätz von notwendiger Staatsreform.
Fraglos wird sich Erdogan, dem nachgesagt wird, dass er es als kickender Jungspund fast bis zum Profi gebracht hätte, in den Kampf um die EM einmischen. Ganz sicher wird auch die deutsche Politik Stellung beziehen, sei es durch Angela Merkel oder ab September vielleicht ja durch Martin Schulz, der, wie wir wissen, auch am liebsten sein Geld mit Fußball verdient hätte. Aber mal ehrlich: Im Vergleich zu all den anderen Themen im Verhältnis zwischen Deutschland und der Türkei bleibt die Frage nach dem EM-Ausrichter eine absolut nachrangige.
Am Votum der Uefa dürfte es eigentlich keine Zweifel geben. Deutschland hat die mit Abstand besseren Stadien und auch sonst in jeglicher Hinsicht die tauglichere Infrastruktur. Deutschland hat die Erfahrung in der Organisation solcher Sportereignisse, es ist im Vergleich zur Türkei freier, sicherer und hat klar die höhere Wirtschaftskraft.
Aber erstens hat Sportfunktionäre das selten interessiert, zweitens ist ungewiss, ob es mit Blick auf die Affäre um das WM-Sommermärchen von 2006 nicht noch Lust auf das Verabreichen eines Denkzettels gibt, drittens können Ressentiments auch aus anderen Ebenen ins Fußballtechnokratische hineinschwappen. Und viertens ist sowieso auffällig, dass zuletzt viele der sportlichen Großereignisse an Länder (Russland, Katar, China) vergeben wurden, deren Regierungen das Wort Demokratie vielleicht buchstabieren können, es im politischen Alltag aber, vornehm ausgedrückt, meiden.
Der DFB mit seinem Präsidenten Reinhard Grindel, der sich nur – aber das selbstverständlich schon – ein bisschen Glanz auf seine Funktionärskarriere wünscht, sei deshalb gesagt, dass das Spiel keineswegs entschieden ist. Es kennt, ganz im Gegenteil, nicht mal einen Favoriten.