Hinein geraten wir leicht in einen Konflikt. Um zu erfahren, wie wir wieder herausfinden, lohnt sich ein Anruf bei Menschen, die es wissen müssen: Wolfgang Ischinger, Elisabeth Rauffauf und Allan Guggenbühl.
Dass es soweit kommen könnte, hat Wolfgang Ischinger wie viele andere unterschätzt. Der damalige Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz und frühere Diplomat erinnert sich an den 19. Februar vor einem Jahr, fünf Tage, bevor Russland die Ukraine angriff: „Wir hatten alle das Gefühl, dass möglicherweise der Kelch eines großen Krieges in Europa an uns vorübergeht. Und lagen alle falsch“, sagt er am Telefon.

Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj schaffte es damals gerade noch, von München rechtzeitig in die Ukraine zurückzukehren, bevor die Bomben fielen. Ischinger war Chefunterhändler bei der Beendigung des Bosnienkriegs in den 1990er Jahren.
Für ihn ist die Herausforderung der Diplomatie, mit dem Gegner zu reden: „Wir müssen notgedrungen auch mit Russland reden, auch mit dem Iran. Wenn wir aus Nordkorea einen friedlichen Staat machen möchten, der nicht unkontrolliert nuklear aufrüstet, müssen wir uns auch deren Meinung anhören“, sagt der 76-Jährige, der auch versucht hat, den nordkoreanischen Machthaber Kim Yong-un nach München zu holen und mit dem damaligen serbischen Präsidenten Slobodan Milosevic verhandelt hat.
Würstchen vor die Nase des Gegners
„Das Geheimnis ist es, die Intentionen und Zielsetzungen seines Gegners möglichst besser zu verstehen als er selber“, sagt er. „Erst dann wird man wirklich erfolgreich verhandeln können.“ Stecken ideologische, religiöse, ethnische oder rein kommerzielle Zielsetzungen hinter dem Konflikt? „Daraus ergeben sich Hebel“, sagt Ischinger, „um in einer Verhandlungssituation ein Würstchen vor die Nase des Gegners zu hängen, in der Hoffnung, dass er anbeißt.“
Eine Diplomatie, die es schafft, einen Konflikt zu beenden, müsse hinter verschlossenen Türen stattfinden – abseits der Öffentlichkeit. Nur so könne man Tacheles miteinander reden. „Manchmal geht das nicht ohne ein gewisse Theatralik ab“, sagt Ischinger. „Da muss man auch mal brüllen und gelegentlich die Tür so zuschlagen, dass ein Bild von der Wand fällt.“
Begegnungen schaffen Vertrauen
Ähnlich wie im Privatleben, hält er persönliches Vertrauen in den internationalen Beziehungen für entscheidend. Einerseits schaffe man es durch offizielle Erklärungen und das Setzen von Fakten, aber insbesondere durch persönliche Begegnungen.
Der Prozess der Wiedervereinigung wäre laut Ischinger ohne das Vertrauen, das die damaligen Präsidenten Bush und Gorbatschow gegenüber Helmut Kohl hatten, nicht zustande gekommen. Er sagt jungen Diplomaten, dass die Fähigkeit des Zuhörens bei politischen Konflikten viel wichtiger sei, als gut reden zu können: „Zuhören muss man lernen, so dass man auch das versteht, was nicht gesagt wird.“ Durch die genaue Recherche des politischen Umfelds des Gegners, könne man ihn quasi mit seinen eigenen Waffen schlagen.

Eskaliert die Lage, gibt es zwei Möglichkeiten: Drohung mit Sanktionen oder positive Anreize, die berühmte Wurst. „Dort, wo es möglich ist, sollte man eher mit Incentives, also mit dem Versprechen von Wohltaten, arbeiten als mit der Bestrafungsoption“, schlägt er vor.
Sanktionsdrohungen versetzten Regierungschefs in die Lage, ihrer Bevölkerung zu sagen, dass das Land von außen bedroht werde. „Jetzt müsst ihr euch um mich scharen. Denn es geht ja um uns“, sei die Folge. Das könne man auch im Fall von Polen und Ungarn gut beobachten.
Was wäre das Würstchen im Fall von Putin?
Das könnte sein, dass der Westen die Sanktionen gegen Russland aufhebt und wieder eine enge wirtschaftliche Zusammenarbeit sucht, wenn Putin sich aus der Ukraine zurückzieht und den Versuch, ein russisches Imperium aufzubauen, aufgibt, glaubt Ischinger. „Doch solange Putin denkt, dass er möglicherweise seine militärischen Ziele verwirklichen kann, wird das schwierig sein.“
Auch im privaten Bereich können Konflikte schwer zu lösen sein. Das lässt sich bei Prinz Harry und seinem Bruder William beobachten.

Anruf bei Elisabeth Raffauf. Die britischen Royals trugen zuletzt in aller Öffentlichkeit ihren Familienstreit aus. „William ist der Erstgeborene und ‚brave‘ Sohn, er wird der Erste bleiben und ist Thronfolger“, sagt die Psychologin, die eine Praxis in Köln führt und 20 Jahre in einer Erziehungsberatungsstelle gearbeitet hat. Dagegen sei Harry immer nur zweiter. „So hat er sich die Rebellenrolle ausgesucht.“
Doch sie kann Konflikten gute Seiten abgewinnen
Damit könne man sich abgrenzen und positionieren, sagt sie. Wenn man einen Streit nicht austrage, laufe der Ärger über bestimmte Dinge, unterschwellig weiter. Bei Kindern könne sich das in Wut äußern, dass sie plötzlich Dinge kaputt schlagen. Erwachsene reagierten eher subtiler mit ironischen Bemerkungen oder Spitzen.

Wenn sich ein Paar mal wieder um die Zahnpasta-Tube streitet, die ständig offen steht, oder sich in die Haare gerät, wer den Tisch abräumt, dann sind das laut Elisabeth Raffauf scheinbare Kleinigkeiten, hinter denen aber viel mehr steckt: Nämlich die Frage, wer das Sagen hat und wie viel Autonomie der einzelne hat. Oft kämen pauschale Vorwürfe, wie: Nie räumst du den Tisch ab! „Dann fühlt sich der andere grundsätzlich abgeurteilt. Und man lässt ihm keinen Ausweg.“
Wichtig sei, wie man streitet: Unter der Gürtellinie oder an der Sache und mit Respekt. „Wenn Kinder mitbekommen, dass Eltern sich streiten“, sagt die 61-Jährige, „dann ist es gut, wenn sie erleben, dass sie sich auch wieder versöhnen.“ Sie müssten wissen, dass die Liebe der Eltern nicht infrage stehe.
Kurze Auszeit hilft
Wenn sich ein Streit mal wieder an derselben Sache entspinne, helfe es, wenn jeder mal eine Runde um den Block läuft. Danach, so rät die Psychologin, sollte man darüber reden, worum es eigentlich geht. Es kann sein, dass einer sich nicht gut gesehen fühlt oder der andere sich in seinem Autonomie-Bedürfnis eingeschränkt fühlt.
„Wenn man auf diese andere Ebene kommen kann im Konflikt, dann ist man schon richtig weit.“ Dann lässt sich auch herausfinden, wann alte Verletzungen getriggert werden.
Flucht oder Angriff?
Wer angegriffen wird, wählt Flucht oder Angriff. Beides ist nicht hilfreich. „Man sollte den anderen nicht verletzen“, rät die Psychologin. „Es ist besser, von seinen Gefühlen zu sprechen, aber gleichzeitig zu respektieren, dass der andere in diesem Fall ein ganz anderes Gefühl haben kann.“ Wichtig ist zu schauen, was man selbst ändern kann.
Wie könnten Prinz Harry und sein Bruder wieder zusammen kommen? „Indem sie erkennen, dass es nicht die Schuld des jeweils anderen ist, was es schwierig zwischen ihnen macht“, sagt Elisabeth Raffauf. Möglicherweise seien die beiden ungleich behandelt worden von ihren Eltern oder der Familie. Das sei der häufigste Grund, warum Geschwister untereinander sich nicht verstehen.
Wenn Menschen miteinander zutun haben, manövrieren sie sich ständig durch ein Minenfeld, sagt Allan Guggenbühl. Die Zusammenarbeit klappt, indem die heiklen Themen im gesellschaftlichen Rahmen umschifft werden. Oft sei sich der Einzelne dessen gar nicht bewusst.

Doch es gibt Werte und eigene Haltungen, wo man merkt, dass das nicht mehr funktioniert und Konflikte entstehen. „Konflikte unter Menschen sind immer mit Emotionen verbunden“, erklärt der Schweizer Experte für Konfliktmanagement, der das gleichnamige Institut in Zürich und Bern leitet. „Diese Gefühle verengen den Wahrnehmungshorizont.“
So kommen Streithähne in eine andere Haltung, die eine Lösung nur erschwert. Der Psychologe sagt, dass eine Lösung im Moment des Konflikts selbst unmöglich sei.
Er hat viel Erfahrung an Schulen gesammelt, auch mit gewaltbereiten Jugendlichen, die als Clique eine Schule zu ihrem Herrschaftsgebiet erklären. „Ganz wichtig ist es“, sagt er, „die Bande nicht als Problem, sondern als Ressource anzusehen.“ Meistens lässt er die Jugendlichen spielerisch eine Lösung finden, indem er ihnen eine Geschichte präsentiert, in der es auch um Ausgrenzung und Bedrohung geht – wie an der Schule auch.
Bitte keine Belehrungen!
Von Belehrungen, wie sie oft an Schulen praktiziert werden, hält er nichts. Wichtig sei, dass ein Schulleiter Kontakt zu den einzelnen Schülern aufnimmt und mit den Bandenführern in Beziehung trete. „Man muss nicht nur die Schwachen schützen, sondern potenzielle Täter positiv in die Schulhauskultur einbinden“, sagt er. „Machos können dann einen positiven Beitrag zur Gewaltprävention leisten.“
Was können Lehrer tun?
„Doch Konflikte kann man am besten lösen, wenn sie noch nicht da sind“, sagt der Psychologe. Eine Lehrerin, die eine Klasse neu übernimmt, muss am Anfang klar kommunizieren, dass es schief gehen kann: „Ich teile euch jetzt mit, wie ihr mit mir umgehen könnt. Erstens: Ihr belügt mich nicht. Zweitens: Wenn ihr beginnt, einander zu mobben, habt ihr definitiv ein Problem mit mir.“ So wissen, die Schüler genau, wo die Grenzen sind. „Und meist“, so sagt Allan Guggenbühl, „gibt es dann gar keinen Konflikt.“