Es war eine kurze Rede, mit der Boris Johnson am Donnerstag seinen Rücktritt als Chef der konservativen Tory-Partei ankündigte. Vor der schwarzen Tür von Downing Street 10 stehend wirkte er mit seinem zugeknöpften Jackett aufgeräumter als sonst. Ansonsten präsentierte er sich jedoch wie immer: Optimistisch verwies er auf seine Erfolge.

Er sei „ungeheuer stolz auf die Errungenschaften dieser Regierung“, dass sie den Brexit durchgezogen hatten, die Corona-Pandemie gemeistert und das Impfprogramm vorangetrieben haben. Johnson machte außerdem erneut ganz klar, dass er nicht freiwillig geht. Er habe versucht, seinen Ministern klarzumachen, dass es der falsche Zeitpunkt sei, um einen Nachfolger zu suchen. Er sei traurig, „den besten Job in der Welt“ aufzugeben. Reue zeigte der 58-Jährige nicht.

„Ich möchte, dass Sie wissen, wie traurig ich bin, den besten Job der Welt aufzugeben.“
Boris Johnson

Johnson kündigte im Rahmen seiner Ansprache an, dass er geht – aber noch nicht gleich. Er will weiter regieren, bis ein Nachfolger gefunden ist. Ein Vorgehen, das üblich, in der aktuellen Situation jedoch höchst umstritten ist. Viele Tories waren der Meinung, dass Johnson besser gleich aus dem Haus in der Downing Street ausziehen und stattdessen ein sogenannter „Caretaker“ die Regierung leiten sollte, ein Übergangschef.

Der konservative Abgeordnete Simon Hoare schrieb auf Twitter: „Es ist unbegreiflich, dass Herr Johnson im Amt bleiben kann. Er muss gehen und gehen bedeutet gehen.“ Auch der Labour-Oppositionschef Keir Starmer forderte Johnsons sofortigen Abzug, genauso wie der frühere Premierminister John Major. Denn die Suche nach einem neuen konservativen Parteivorsitzenden kann Monate dauern. Johnson bliebe bis dahin im Amt, hat aber keinerlei Autorität.

Als Chef der Konservativen Partei ist Boris Johnson zurückgetreten, als Regierungschef macht er weiter, bis ein Nachfolger gewählt ist.
Als Chef der Konservativen Partei ist Boris Johnson zurückgetreten, als Regierungschef macht er weiter, bis ein Nachfolger gewählt ist. | Bild: Alberto Pezzali/AP/dpa

Vor zwei Wochen hat Boris Johnson während einer Reise nach Ruanda noch darüber gescherzt, dass er noch mindestens bis in das Jahr 2030 Premierminister bleiben wolle. Die Realität sieht anders aus. Nachdem seit Dienstag mehr als 50 Minister, Abgeordnete und Mitarbeiter zurückgetreten waren, wuchs der Druck auf ihn massiv.

Damit blieb dem 58-Jährigen letztlich nichts anderes übrig, als seinen Rücktritt zu erklären. Gegen seinen Willen. Johnson beschrieb es so: „In Westminster ist der Herdeninstinkt stark und wenn sich die Herde bewegt, bewegt sie sich.“ Es war klassisch Johnson: Alle tragen Schuld an der Krise – außer er.

Mit zwei Rücktritten fing es an

In Gang gesetzt hatten den politischen Sturm Schatzkanzler Rishi Sunak und Gesundheitsminister Sajid Javid, als sie am Dienstag ihr Amt niederlegten. Sie teilten dem Premier in ihren Rücktrittsschreiben mit, dass es so nicht weitergehen könne, und bezogen sich damit auf den Skandal um den konservativen Abgeordneten Christopher Pincher.

Sajid Javid (links) und Rishi Sunak haben ihre Ämter als Gesundheitsminister und Finanzminister niedergelegt.
Sajid Javid (links) und Rishi Sunak haben ihre Ämter als Gesundheitsminister und Finanzminister niedergelegt. | Bild: Toby Melville/PA Wire/dpa

Johnson hatte Pincher im Februar dieses Jahres den Posten des stellvertretenden parlamentarischen Geschäftsführers verschafft, obwohl er wusste, dass ihm schon in der Vergangenheit sexuelle Übergriffe vorgeworfen worden waren. Johnson leugnete das jedoch tagelang, gab sich trotz zahlreicher Anschuldigungen ahnungslos, mal wieder.

Nach dem Abgang von Javid und Sunak stürzte die Autorität Johnsons zusammen wie ein Kartenhaus. Die Zahl der Rücktritte von Ministern und Abgeordneten stieg stündlich. Schließlich bekam Johnson am Mittwoch Besuch von einer Delegation von Ministern, darunter auch Innenministerin Priti Patel, um ihn zur Aufgabe zu bewegen. Vergeblich. Nach dem Treffen herrschte unter den Tories Fassungslosigkeit darüber, dass er keine Einsicht zeigte. Sie beschrieben sein Verhalten als „würdelos und egoistisch“.

Schaden für die Partei

Umso größer war gestern die Erleichterung über die Kehrtwende, ein Aufatmen ging durch die Reihen der Tories. Doch wie groß ist das Chaos, das Johnson hinterlässt? Bedingt durch die vielen Rücktritte wird die Regierungsarbeit nun deutlich erschwert – oder de facto unmöglich. Zudem zeigte sich die Partei empört über Johnsons Machtbesessenheit. Sein Versäumnis, sich in den vergangenen Tagen der Realität zu stellen, führte zu Vergleichen mit Donald Trump und Wladimir Putin. Der Schaden für die Partei, er wird bleiben.

Lange Zeit hatte die Partei über die Verfehlungen Johnsons hinweggesehen.​ Nachdem er den Tories 2019 mit seinem Motto „Get Brexit Done“ zu einem historischen Sieg verholfen hatte, galt er als Gewinner. Ernsthafte Zweifel an Johnsons Integrität kamen dann jedoch unter anderem im Oktober 2021 auf.

Damals versuchte er, den Abgeordneten Owen Patterson nach Korruptionsvorwürfen vor einer Suspendierung zu bewahren. Kurz darauf vergaß Johnson im Rahmen einer Wirtschaftskonferenz in London seinen Text. 20 Sekunden dauerte es, bis er wieder wusste, was er sagen wollte. Dann berichtete er ausschweifend von seinem Wochenendausflug in einen Vergnügungspark namens „Peppa Pig World“.

Mit diesem Schild fordert ein Demonstrant schon im April 2022 den Rücktritt von Boris Johnson – wegen „Partygate“.
Mit diesem Schild fordert ein Demonstrant schon im April 2022 den Rücktritt von Boris Johnson – wegen „Partygate“. | Bild: Tolga Akmen/AFP

Die schlimmste Krise begann jedoch, nachdem Johnson behauptet hatte, nichts von Partys in der Downing Street 10 während der Corona-Lockdowns gewusst zu haben. Die Beamtin Sue Gray recherchierte, schließlich nahm auch die Metropolitan Police in London Ermittlungen auf. Anfang 2022 erhielt Johnson ein Bußgeld, beendet war der Skandal damit aber nicht.

Eine Untersuchungskommission sollte nach wie vor herausfinden, ob Johnson das Parlament belogen hatte, als er sich bezüglich der Feiern ahnungslos gab. Die Folge von „Partygate“ waren sinkende Umfragewerte für die Tories und schlechte Ergebnisse für die Partei bei den Regionalwahlen im Mai 2022.

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Wer könnte Boris Johnson ersetzen, sollte er denn wirklich einmal gehen? Sajid Javid kündigte an, dass er in Erwägung zieht, ins Rennen zu gehen. Die Rede war außerdem von Verkehrsminister Grant Shapps sowie dem Hinterbänkler Tom Tugendhat. Als aussichtsreiche Bewerber gelten unter anderem auch Nadhim Zahawi, der frischgebackene Finanzminister, und der ehemalige Außen- und Gesundheitsminister Jeremy Hunt.

Johnson kündigte an, dass er die Partei bei der Suche nach einem Nachfolger unterstützen wolle, bevor er wieder in der Downing Street 10 verschwand. Dass er dort ausziehen wird, steht nun fest. Wann das passiert, ist aber offen.