Das Wasser spielt weiterhin eine entscheidende Rolle im Leben von Carola Rackete. Am Montagnachmittag war die Kapitänin der Sea-Watch 3 wieder auf dem Mittelmeer unterwegs, diesmal aber auf einem Patrouillenboot der italienischen Guardia di Finanza, der Finanzpolizei, die auch Aufgaben der Küstenwache übernimmt. Die Beamten brachten Rackete von Lampedusa nach Agrigent auf dem sizilianischen Festland. Lampedusa gehört zum Landkreis Agrigent, der dortige Ermittlungsrichter entscheidet darüber, ob der Hausarrest gegen die 31-jährige Deutsche aufrecht erhalten wird. Rackete sollte am Montag vor dem Richter auch erstmals ausführlich vor der italienischen Justiz Stellung beziehen zu den Vorfällen in der Nacht von Freitag auf Samstag. Die Sea-Watch 3 wurde von der italienischen Polizei auf Lampedusa beschlagnahmt.

Die Kapitänin des Rettungsschiffes der deutschen Hilfsorganisation Sea Watch hatte das Verbot ignoriert, mit 42 Flüchtlingen in den Hafen von Lampedusa einzulaufen. Rackete rammte bei dem Anlegeversuch in der Nacht auch ein Boot der Finanzpolizei. Zwei Wochen lang waren die 22-köpfige Besatzung und die am 12. Juni vor Libyen in Seenot aufgenommenen Migranten auf dem Mittelmeer unterwegs. Weder Italien noch Malta gestatteten die Landung, eine Rückkehr nach Libyen oder nach Tunesien kam für Kapitänin Rackete nicht in Frage. Rackete begründete ihre Entscheidung, sich dem Verbot zu widersetzen mit der Lage an Bord. Es habe bereits Versuche der Selbstverstümmelung unter den Migranten gegeben, zudem hätten einige verzweifelte Flüchtlinge gedroht über Bord zu springen. Nun muss sie sich in Italien wegen Beihilfe zur illegalen Einwanderung, aber auch wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt verantworten, ihr drohen mehrere Jahre Haft. Die Finanzpolizei hatte vergeblich versucht, die Landung der Sea-Watch 3 zu unterbinden.
Der italienische Innenminister Matteo Salvini von der rechtsnationalen Lega versucht mit seiner Blockadepolitik, einerseits die Landung von Flüchtlingen in Italien einzudämmen.

Andererseits zielt er auch auf die Regierungen der anderen EU-Länder und versucht mit seinem Landeverbot, die Länder zur Aufnahme der Flüchtlinge zu zwingen. Im Fall der Sea-Watch 3 haben sich Frankreich, Deutschland, Portugal, Finnland und Luxemburg zur Aufnahme der Migranten bereit erklärt. Salvini bekommt bislang breite Unterstützung für dieses Vorgehen in der italienischen Bevölkerung. Bei der Landung der Sea-Watch 3 in der Nacht auf Samstag im Hafen von Lampedusa beschimpften Schaulustige die Kapitänin Rackete, als sie von den Polizeibeamten von Bord geführt wurde. In den italienischen Medien wurde schon zuvor Rackete als Gegenspielerin von Innenminister Salvini inszeniert, der die Helfer als „Piraten“ und Handlanger von Schleppern bezeichnet. Salvini trägt bei seinen Anhängern den Beinamen „Capitano“, fortan hieß es also Kapitänin gegen Capitano. Salvini und Rackete warfen sich gegenseitig vor, politische Spielchen zu Lasten der Migranten auszutragen.
Rackete, die 1988 in Preetz bei Kiel zur Welt kam und in Hambühren, Niedersachsen, aufwuchs, widmete sich bereits nach ihrem Abitur im Jahr 2007 der Seefahrt. Sie studierte in Elsfleth bei Oldenburg Nautik und später in England den Naturschutz-Studiengang Conservation Management. „Mein Leben war leicht, ich konnte drei Universitäten besuchen, mit 23 hatte ich meinen Abschluss. Ich bin weiß, deutsch, in einem reichen Land geboren und habe den richtigen Pass.“ Als sie sich dessen bewusst wurde, habe sie die moralische Pflicht gefühlt, denen zu helfen, die nicht dieselben Möglichkeiten haben. Als entscheidend in ihrem Leben beschrieb Rackete einen Aufenthalt in Südamerika. „Ich habe fremde Kulturen und Völker kennen gelernt“, erzählte sie. „Wenn man nicht blind ist, kann man die Ungerechtigkeit und die Ungleichheit, die uns umgibt, nicht übersehen.“ Sie habe etwas für diejenigen machen wollen, die keine Stimme und keine Kraft hätten. Über Energie und Abenteuerlust verfügt Rackete offenbar zu Hauf. Sie war als Aktivistin auf Greenpeace-Schiffen unterwegs, beteiligte sich an Antarktis-Expeditionen des Alfred-Wegener-Instituts. 2016 heuerte sie bei Sea Watch an. Das Erstaunlichste ist vielleicht Racketes Verfassung angesichts der Sea-Watch-Affäre. Ihr Vater Ekkehart Rackete, der seine Tochter als überlegt und als „starke Frau“ beschrieb, berichtete, Carola sei „lustig und guter Dinge und sieht der ganzen Sache eigentlich gelassen ins Auge.“
Wie die Rechtslage bei Seenot ist
- Pflicht zur Rettung: Wenn sich Menschen in Seenot befinden, müssen sie gerettet werden. Diese Pflicht gilt für staatliche wie private Schiffe und ergibt sich aus der Tradition der Seefahrt und dem ungeschriebenen Völkergewohnheitsrecht.
- Begriff Seenot: „Seenot“ ist nicht genau definiert. Generell muss denen geholfen werden, die von allein „nicht in Sicherheit gelangen können und auf See verloren gehen“ – egal ob auf hoher See oder in Küstengewässern. Darunter fällt auch, wenn Boote überbelegt oder manövrierunfähig sind oder Nahrung und Wasser fehlen. Zur Rettung verpflichtet sind Schiffe, die zufällig Menschen in Seenot entdecken.
- Sicherer Ort: Gerettete sollen laut der Internationalen Organisation für Migration an einen sicheren Ort gebracht werden. Das muss nicht der nächste Hafen, sondern das kann auch ein größeres Schiff sein. Ein Staat kann den Zugang zu einem seiner Häfen verwehren, wenn das Schiff eine ernsthafte und unannehmbare Bedrohung für ihn darstellt. Libyen gilt für die Bundesregierung nicht als „sicherer Ort“. (dpa)