Schön war es nicht mehr. Ein dünner Kasten mit Dellen und Kratzern und auch nicht mehr das neueste Modell. Zuletzt wurde es sogar von der firmeneigenen Software abgelehnt. Vielleicht ist es ja mit Sachen so wie mit Menschen: Wenn sie einen verlassen, redet man sie klein. Denn natürlich hätte man das Ding viel lieber behalten. Aber, alles müßig, das Smartphone ist ja weg.
Verschwunden in einem Flugzeug, in der Ferne irgendwo zwischen Reihe 15 und dem Ausgang. Etwa 44 Prozent aller Handynutzer in Deutschland haben ihr Gerät laut einer Umfrage des Digitalverbandes Bitkom schon mindestens einmal verloren oder liegen lassen. 15 Prozent erklärten in der Umfrage, ihr Smartphone sei gestohlen worden. Von unfreiwilliger Selbstzerstörung berichteten 79 Prozent.
Endlich verstanden!
So viel Expertenwissen, so viel Anteilnahme, man fühlt sich verstanden. Erste Rückfrage fast immer: „Ja, konntest du es denn nicht orten?“ – „Nein.“ – „Kann man jetzt aber doch?“ – „Ja, aber dafür muss man die entsprechende Funktion einschalten.“ – „Hast du nicht?“ – „Nein.“ – „Hast du es mal angerufen?“ – „Ja, aber es meldet sich keiner.“ – Dritte Frage dann meist: „Hattest du ein Back-up?“ – „Hmm, na ja, kein sehr aktuelles …“

Das ist der eher unangenehme Teil des Gesprächs, weil man eine gewisse Schludrigkeit im Umgang mit den Dingen offenbart, ein gewisses Desinteresse an allem, was sich Entwickler im Silicon Valley ausgedacht haben, damit so ein Smartphone nicht ganz verloren geht. Dann aber wird es unterhaltsam, auch für einen selbst: Man kann dann zuhören.
Der Klassiker: die Toilette
Und Handygeschichten sind wie Jagdgeschichten – werden besser, je häufiger man sie erzählt. Oft ist es eine Mischung: Thriller, Drama, Komödie, von allem etwas dabei. Der Klassiker aber ist offenbar die Toilettengeschichte!
Die Handlung in drei Sätzen: Handy in der hinteren Gesäßtasche. Hose hinuntergezogen. Plumps. L. erzählt, sie kenne jemanden, dem sei das schon etwa acht Mal passiert, B. erzählt, seiner Frau bislang einmal, dummerweise im Zug …
Was wäre der Mensch ohne Telefon? Ein armes Luder. Was aber ist er mit dem Telefon? Ein armes Luder. Das hat Kurt Tucholsky einmal geschrieben, lang her also. Stimmt aber mehr denn je. Etwa 83 Mal am Tag aktivieren Smartphone-Nutzer nach einer Studie der Technischen Universität Wien ihr Handy – wenn man nicht gerade schläft, alle 13 Minuten.
Im Film „Gott des Gemetzels“ nach dem Theaterstück von Yasmina Reza sagt Christoph Waltz als dauertelefonierender Anwalt, nachdem seine Frau das Handy in der Blumenvase versenkt hat, erschüttert: „Da steckt mein ganzes Leben drin.“
Erst mal einen Selbsttest gemacht
Am Telefon nun Christian Montag, Professor für Molekulare Psychologie in Ulm, der zur Handynutzung forscht und wie soziale Medien uns an das Ding binden. Vor dem Telefonat hat man übrigens schnell einen Selbsttest zum Thema Handysucht im Internet gemacht.
Eine Frage lautet: „Die Menschen in meinem Umfeld sagen mir, dass ich mein Smartphone zu häufig nutze.“ „Stimme ich eher nicht zu.“ Eine andere: „Ich denke ständig an mein Smartphone, auch wenn ich es nicht benutze.“ Schwierig zu beantworten, wenn man gerade keins hat. Testergebnis jedenfalls unbedenklich.
Der Experte meint: „Phantomschmerz“
Christian Montag also kann man deswegen jetzt auch erzählen, dass man in den ersten Tagen manchmal unbewusst ins Leere griff – als sei das Handy noch in Reichweite – und jedes Mal dann ein kurzer Schreck, ein Stich. Er lacht nett und sagt: „Phantomschmerz.“

Handysucht finde übrigens keine offizielle Anerkennung als Krankheit und sei auch ein wenig zutreffender Begriff: „Wir reden bei Alkoholikern ja auch nicht von Flaschenabhängigen, der Inhalt ist zentral.“ Gerade arbeitet er gemeinsam mit Kollegen in Lübeck an der SCAVIS-Studie: Mithilfe der entwickelten Smart@Net-App kann jeder anonym seine eigene Internetnutzung überprüfen.
Montag verteufelt das Ding nicht. „Ich habe schon vor Jahren das Smartphone mit einem Schweizer Allzweckmesser verglichen, nur dass das Messer weniger kann.“ Es ist einfach ein Gerät, ohne das es im Alltag schwer wird.
Das Handy im Farbeimer
Vielleicht zur Auflockerung hier doch noch kurz die Geschichte vom Heimwerker, erzählt von B. Die geht so: Der Freund wollte die eigenen vier Wände neu streichen, alles brav abgeklebt natürlich, damit nichts passiert. Dann: Als er sich über den Farbeimer beugte, fiel das Handy aus der Hemdtasche direkt hinein in den Farbschlabber. Kaum versunken, begann es zu klingeln, brummte aus dem Eimer heraus. Passend dazu auch die Erzählung von D.: Sie habe mal ein Handy in der Teigschüssel versenkt. Der Teig danach noch tipptopp.
Teig ist insofern ein gutes Stichwort, weil man mit Christian Montag jetzt über die Snacks zwischendurch spricht. Push-Meldungen, WhatsApp-Nachrichten, Likes... Kleine Häppchen, mit denen einen die Tech-Plattformen speisen, damit man digital möglichst lange herumstapft und dabei Fußabdrücke hinterlässt, die dann für passgenaue Werbung vermessen werden.
Direkt in den Altglascontainer
„Das Datengeschäft hat dazu geführt, dass wir jede freie Minute weggeben an die Konzerne“, sagt Montag. „Sobald wir Langeweile nur antizipieren, greifen wir zum Gerät.“ A. erzählt, wie in Wien ihr Handy mal direkt aus dem vierten Stock in den Altglascontainer fiel. Schrott natürlich. Für die Angst, ohne Handy zu sein, haben sich die Briten einen Begriff ausgedacht, „nomophobia“, setzt sich zusammen aus „no mobile phone“ und „phobia“.

Das Marktforschungsunternehmen Onepool fragte einmal, wofür man sein Smartphone eintauschen würde. 44 Prozent der deutschen Befragten gaben angeblich an, lieber eine ihrer Nieren aufzugeben als ihr Handy. Viele fragten nach den Fotos, als man vom Missgeschick erzählte: „Um Himmels willen, die sind jetzt alle weg, oder?“
Was macht der fremde Mensch nun mit meinem Gerät? Kocht er vielleicht nach den Rezepten, die man abfotografiert hat? Oder hat er einfach das Leben darin gelöscht? „Du hast es aber ja schon gleich sperren lassen?“ – „Klar.“
Auf Reisen wird es gefährlich
Sehr häufig verlieren die Menschen ihr Handy übrigens tatsächlich auf Reisen, im Flugzeug, Taxi oder in der Bahn. Wobei, ist ja auch klar: Bleibt man zu Hause, findet man es ja irgendwann unterm Sofakissen. Geht es kaputt, spielt laut Statistik meist entweder ein harter Untergrund oder Wasser eine Rolle.
Der Mann von A. hat sein Smartphone in der Waschmaschine mitgewaschen, 60 Grad, 2,5 Stunden, ging danach noch. Nun aber hat man ja ein neues. Es liegt jetzt zumindest nicht mehr neben dem Bett. Hat einem Professor Montag geraten, weil man sonst abends länger draufschaut. Nicht gut für den Schlaf. Noch ist das Gerät makellos, schon schön eigentlich.