Klimawandel – das war bis zum Sommer dieses Jahres etwas, das woanders auf der Welt passiert. Brennende Wälder in Sibirien, schmelzendes Eis in der Arktis, 50 Grad in Kanada – beunruhigende Meldungen, die aber doch immer sehr weit weg von unserer Wirklichkeit zu sein schienen. Aber in diesem Frühsommer, als es nicht aufhören wollte zu regnen, da kam der Klimawandel endgültig in Deutschland an.
Am 15. Juli verwüstete eine riesige Flutwelle das beschauliche Ahrtal. Unfassbare Wassermassen wälzten sich durch die Städte und Dörfer, am Ende gab es über 160 Tote, viele Verletzte, unzählige tote Tiere, riesige Sachschäden. Die verstörenden Bilder gingen rund um die Welt. Weggespülte Häuser, zerstörte Brücken, vernichtete Wohnungseinrichtungen, weinende Menschen.

Entsetzt schauten die Deutschen aus den umliegenden Bundesländern nach Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen – dann aber rollten die Hilfskonvois an. Private Helfer machten sich spontan auf den Weg, sodass es Staus auf den Straßen ins Katastrophengebiet gab; auch aus der Region waren viele Helfer mehrfach vor Ort.

„Das kann man sich nicht vorstellen, was hier los ist“, beschrieb Julian Bayer, stellvertretender Ortsbeauftragter des Technischen Hilfswerks (THW) Ortsverband Konstanz, Ende August die Situation, als er vor Ort im Einsatz war. Bei der Flutkatastrophe an der Ahr trafen er und seine Kollegen auf Zerstörung, Schmerz und Menschen, die alles verloren haben.
„Sofort mittendrin im Geschehen“
Ebenso vor Ort im Kreis Ahrweiler waren auch die 35-jährige Sabine Hartauer und ihr Kollege Jörg Scholten von den Maltesern in Konstanz. „Wir konnten gar nicht wirklich ankommen“, sagt Scholten. „Wir waren sofort mittendrin im Geschehen.“
Nach einer kurzen Pause seien er und seine Kollegen sofort im Einsatz gewesen. Aus dem Südwesten waren 100 Krankentransportwagen mit 200 Einsatzkräften der Hilfsorganisationen in die Region gekommen. Auch seine Kollegin sagt rückblickend über den Einsatz: „Im ersten Moment erschien mir alles surreal. Wie eine Film-Kulisse, weil man sich nicht vorstellen kann, dass das wirklich passiert.“

Doch nicht nur den Menschen wurde geholfen, sondern auch die Tiere wurden schlimm getroffen. Aus der Region machte sich die Tierhilfe Südbaden mit Sitz in Radolfzell auf den Weg. Der Vorsitzende Bernd Metzger war mit rund zehn anderen Helfern nach der Katastrophe in den Krisengebieten unterwegs, zuletzt in der Ortschaft Ahrbrück, wo sich der Stützpunkt der Helfer befand. „Wir haben dort alles gemacht, egal ob humanmedizinisch oder veterinärmedizinisch“, schildert Bernd Metzger den Einsatz.

Auch um die Tiere gekümmert
Neben hilfsbedürftigen Menschen sei die Tierrettung Südbaden gemeinsam mit anderen Hilfsorganisationen auch für die Tiere da gewesen. „Wir haben lebende Tiere evakuiert und medizinisch notversorgt“, sagt Metzger – nicht nur Haustiere, sondern auch Wildtiere, von denen es in den Gebieten viele gebe, sowie Nutztiere. Stellenweise wurden Tiere aus Schutt freigegraben. Und auch freilaufende Tiere mussten versorgt werden, ebenso tote Tiere geborgen.

Natürlich stehe der Mensch im Vordergrund, „das muss auch so sein“. Aber auch für die Tiere müsse gesorgt werden, so Metzger. Weil vielen Landwirten vor Ort die Futtervorräte weggespült wurden, brachten Landwirte aus der Region Futterspenden für die Nutztiere auf den Weg, etwa aus Pfullendorf ebenso wie aus Grafenhausen im Schwarzwald.
Im Hegau packten Senioren im Dezember Päckchen für einsame alte Menschen im Ahrtal, die in diesem Jahr einem unsicheren Weihnachten entgegensahen. Es gab Benefizkonzerte, angefangen vom Kirchenchor Hilzingen bis zur Stadtmusik Tiengen am Hochrhein. Der Konstanzer Pianist Davide Martello spielte in Ahrweiler, um den geschockten Menschen eine Freude zu machen.

Viele Privatleute sammelten Spenden, angefangen von Oliver Schapfel in Bad Säckingen über Nadine Stockburger in St. Georgen/Schwarzwald bis zu Christoph Vayhinger in Konstanz, der kurzerhand Waschmaschinen und Kühlschränke ins Krisengebiet abtransportierte. Denn all diese Geräte waren durch das Wasser natürlich kaputtgegangen.

Aus Konstanz reiste im November von der Berufsschule gleich die gesamte Zimmerer-Klasse von Mathias Hörburger an, um vor Ort zu helfen. „Das Krasseste waren die Ankunft und die erste Baustelle“, sagte der angehende Zimmerer Ramon Seidel. „Außerdem die ganzen Häuser, die zerstört waren, und der Weg dorthin: Alles voller Schutt.“
70 Prozent mehr Spenden
Wer nicht selbst anpacken konnte oder wollte, der gab großzügig Geld. Nach einer Auswertung des Deutschen Spendenrats wurden insbesondere im Juli, dem Monat der Katastrophe, rund 693 Millionen Euro gespendet – ein Plus von 73 Prozent im Vergleich zum Juli 2020.

Sind die Deutschen also gar nicht so mürrisch und egoistisch wie ihr Ruf? Wenn Not am Mann ist, so scheint es, stehen sie da und helfen. Und das ist nun, so schrecklich die Katastrophe im Ahrtal war, doch ein Fazit, das Mut macht in solchen Zeiten.