Vor einem Jahr hockte sich ein damals 15-jähriges Mädchen vor den Reichstag in Stockholm, um für mehr Klimaschutz zu demonstrieren. Ihren Namen kannte damals kaum jemand: Greta Thunberg. Heute ist die junge Schwedin eines der bekanntesten Gesichter der Erde, ihrem Vorbild zum Klimaprotest folgen Abertausende vor allem junge Menschen in aller Welt, besonders viele davon in Deutschland. Aus dem stillen Protest einer einzelnen ist innerhalb eines Jahres eine Weltbewegung geworden – und aus dem einst unbekannten Mädchen eine Kandidatin für den Friedensnobelpreis.
Stiller Protest fürs Klima
Am 20. August 2018 war all das völlig undenkbar. An dem Tag fing für Thunberg das neue Schuljahr an, neunte Klasse, das letzte Jahr vor dem Wechsel aufs Gymnasium. Statt in den Unterricht ging sie vor den Reichstag in Stockholm und setzte sich im Schatten des Gebäudes mit einem Schild mit der Aufschrift „Skolstrejk för klimatet“ (Schulstreik fürs Klima) auf den Boden. Bis zum Tag der schwedischen Parlamentswahl Anfang September werde sie aus Protest fürs Klima nicht zur Schule gehen, kündigte das Mädchen damals auf einem DIN-A4-Zettel an, von dem sie einige Kopien vor ihr Protestschild gelegt hatte.

„Ich habe mir damals gedacht, dass ich etwas tun muss“, sagte Thunberg kürzlich in einem schwedischen Podcast einer Mitschülerin. Nachdem sie sich lange mit Klimawandel und Erderwärmung beschäftigt habe, sei sie an der Erkenntnis verzweifelt, dass niemand etwas für das Klima unternehme. Also setzte sie sich vors Parlament. Die Leute seien zunächst einfach so an ihr vorbeigegangen, ohne ihr Beachtung zu schenken, sagt sie rückblickend. „Das war ein hoffnungsloses und einsames Gefühl. Aber auch ein ziemlich hoffnungsvolles, dass ich etwas mache.“
Immer mehr junge Menschen schließen sich dem Beispiel an
Nach kurzer Zeit entschloss sich die Schülerin, die Aktion immer freitags abzuhalten. Was folgte, ist bekannt: Mit regelmäßigen Einträgen auf Twitter, Facebook und Instagram begeisterte sie Schüler in verschiedenen Ländern dafür, ihrem Beispiel zum Klimaprotest zu folgen. Auftritte wie der auf der Weltklimakonferenz im polnischen Kattowitz oder der auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos („Ich will, dass ihr in Panik geratet. Ich will, dass ihr handelt, als würde euer Haus brennen, denn das tut es.“) taten ihr Übriges. Mittlerweile wird jeden Freitag in 100 Ländern regelmäßig fürs Klima protestiert.

In Deutschland ist die Bewegung, die sich den Titel Fridays for Future gegeben hat, besonders stark gewachsen. Erste größere Proteste gab es in Berlin, Hamburg, München und Köln bereits im Dezember 2018. „Wir sind hier, wir sind laut, weil ihr uns die Zukunft klaut“, skandieren junge Deutsche immer freitags, um die Bundesregierung zu einem beherzteren Einsatz gegen die Klimakrise aufzurufen. Dreimal war Thunberg bislang selbst bei Protesten in Deutschland dabei, erst in Hamburg, dann zweimal in Berlin. Vor wenigen Tagen besuchte sie erstmals den Braunkohletagebau Hambach – mit dem umkämpften Hambacher Forst wohl der symbolträchtigste Ort der deutschen Klimabewegung.
Die Politik beginnt zuzuhören
Der Ruf der Klimademonstranten ist längst in Bundestag und Kanzleramt angekommen, Debatten wie die über eine CO2-Steuer sind die Folge. Damit hat Thunberg letztlich auch die deutsche Gesellschaft verändert. „Greta und Fridays for Future haben sicherlich die Politik und Öffentlichkeit aufgeweckt“, sagt Klimaforscher Stefan Rahmstorf. „Die Debatte in Deutschland hat sich verändert, viele nehmen das Thema jetzt erstmals ernst.“ Ob daraus konkrete politische Maßnahmen gegen die Klimakrise entstehen, müsse sich aber erst noch zeigen.
In den vergangenen Monaten ist Thunberg mit Preisen überhäuft worden, unter anderem erhielt sie die höchste Auszeichnung von Amnesty International. Manche sehen in ihr bereits die nächste Friedensnobelpreisträgerin. Sie traf Menschen wie Obama und den Papst, Lob gab es unter anderen vom Dalai Lama.

Gretas Idealismus polarisiert
Aber nicht jeden kann Thunberg mit ihrer Botschaft abholen. Zu krass ihre Ideale, zu groß die Angstmache vor der Klimakrise, meinen manche. In einem Beitrag in der australischen Zeitung „Herald Sun“ wurde sie letztens gar als „der zutiefst verstörte Messias der Erderwärmungsbewegung“ bezeichnet.
Thunberg lächelt solche Beleidigungen weg, auch wenn immer wieder durchklingt, dass solche Attacken nicht so leicht für eine 16-Jährige zu verdauen sind. „Man kann heute nicht mehr für etwas Gutes stehen, ohne dafür infrage gestellt zu werden, Todesdrohungen zu erhalten und gehasst zu werden. Es ist sehr traurig, wohin wir da gekommen sind“, sagte sie in dem Podcast. „In jüngster Zeit gab es eine gewaltige Polarisierung in der Gesellschaft, nach dem Motto, du bist entweder für Greta oder gegen sie.“ Mit einem Lächeln sagt sie aber auch: „Die meiste Kritik ist eigentlich ziemlich lustig.“ Sie zeige letztlich nur, dass ihren Gegnern die Argumente fehlten.
Der Klimakampf geht weiter
Die Kritik von vielen Seiten beweist auch: Die Klimaschutzbewegung wird nicht mehr bloß belächelt. Mit einer Hochseejacht ist sie in Richtung USA gestartet. Drüben beginnt die nächste Phase in ihrem Klimakampf, es warten der UN-Klimagipfel in New York im September und die Weltklimakonferenz in Chile im Dezember auf sie. Thunberg nimmt für all das ein Jahr Schulpause.

Bei all dem bleiben weiter Fragen, wie die Gesellschaft dem Weg der Idealistin Thunberg am besten folgen kann – nicht jeder hat letztlich die Möglichkeit, per Spezialboot nach New York zu reisen, um so die Treibhausgasemissionen eines entsprechenden Fluges einzusparen. Dennoch herrscht vielerorts Einigkeit, dass etwas für das Klima getan werden muss. Nicht zuletzt die Rekordhitze hat viele zu dieser Erkenntnis gebracht. (dpa)
Gretas Segeltörn über den Atlantik: "Wie Camping auf einer Achterbahn"
Seit einer Woche ist Greta Thunberg auf der Hochseejacht "Malizia II" auf dem Atlantik unterwegs. Die Segelprofis Boris Herrmann und Pierre Casiraghi bringen sie zum UN-Klimagipfel nach New York. In den ersten Tagen hatte das Segelteam um Greta mit kräftigen Sturmbören zu kämpfen:
Auf jeglichen Komfort muss die Schwedin während ihrer Reise verzichten – das Rennsegelboot ist kompromisslos auf Geschwindigkeit getrimmt, es gibt kaum Platz zum Schlafen und ein Eimer dient als Toilette. Trotzdem scheint Thunberg ihre Reise zu genießen. "Ich esse und schlafe gut und bin noch nicht seekrank geworden", teilt Greta auf Twitter mit:
Das Leben auf dem Boot sei wie „Camping auf der Achterbahn“, schrieb sie auf Twitter, wo sie ihre Fans täglich auf den neuesten Stand bringt. Gestern passierte das Team die Azoren. Bis New York sind es nun noch etwa 3800 Kilometer. "Ein sonniger Tag mit gutem Wind", twittert die Klimaaktivistin am fünften Tag ihrer Reise:
Hier können sie die Gretas Atlantik-Überquerung live mitverfolgen:
Besonders Frauen aktiv
Die „Fridays for Future“-Bewegung in Deutschland ist einer Studie zufolge stark weiblich geprägt und gut gebildet. Die wöchentlichen Schulstreiks für mehr Klimaschutz würden vor allem von jungen, gut gebildeten Demonstrierenden und von Frauen getragen, heißt es in einer Studie des Berliner Instituts für Protest- und Bewegungsforschung. Viele der Jugendlichen wollten die Politik unter Druck setzen, klimapolitische Versprechen einzulösen und seien zugleich davon überzeugt, dass eine Veränderung der Lebensweise und des Konsums einen wichtigen Beitrag zum Kampf gegen den Klimawandel leistet. (eod)