Stefan Brünjes

Ob das stimmt? Alleskönner Leonardo da Vinci soll der erste Papierschwalbenbauer gewesen sein: Der Konstrukteur, Astronom und Maler war angeblich gerade dabei, seine Mona Lisa zu malen. Doch sein Modell hatte keine Lust mehr still zu sitzen und schmollte. Da faltete Leonardo ein Blatt Papier vom Skizzenblock und ließ es als Schwalbe durchs Atelier segeln. Prompt soll die Dame milde gelächelt haben – ihr berühmtes, geheimnisvolles Lächeln, das Leonardo angeblich sofort ins Mona-Lisa-Porträt gepinselt hat.

Papierflieger und Alexander Gerst

Ein Mathelehrer als Erfinder

Den ersten Papierfliegerflug, der nachweislich im Geschichtsbuch endet, veranstaltete ein leibhaftiger Mathe-Lehrer: August Wilhelm Zachariae will 1809 in der thüringischen Klosterschule Roßleben mit einer Art segelnder Kehrschaufel aus Papier Flugeigenschaften demonstrieren. Auch die Gebrüder Wright in Amerika warfen vor ihrem Start mit dem ersten flugtauglichen Motorsegler im Jahre 1903 sicherheitshalber erst mal allerlei Papierversionen ihrer selbst gebastelten Flatterkiste in die Höhe, stets hoffend, dass diese nicht am Boden zerschellen.

Schluss mit dem Crash

Mit solchen Crashs enden ja bekanntlich viele Papierflieger. Schluss damit! Die nächsten Flieger werden anmutig durch die Lüfte segeln, oder pfeilschnell wie einst eine Concorde auf dem Flug nach New York. Vorausgesetzt, sie sind haargenau gefaltet, etwa nach den Bauanleitungen von René Lucio und Jan Spütz. Diese beiden Schwalbenexperten haben ihre Modelle im Buch „Blitzschnelle Papierflieger“ so beschrieben und gezeichnet, dass jeder sie nachbauen kann. Am besten geeignet ist Fotokopier- oder Schreibmaschinenpapier. Wichtig: die Faltung! Dort, wo das Papier gefaltet werden soll, am besten eine Linie „vorrillen“, rät René Lucio, zum Beispiel mit einem Lineal die Linie entlangfahren. So ist das Papier entlang der Faltlinie leichter zu knicken.

Schwalben ohne Schlagseite

Außerdem müssen gute Flieger absolut symmetrisch sein. Sonst hat die Schwalbe Schlagseite. Zur Kontrolle den Flieger am besten der Länge nach direkt vor die Nase halten, dann sieht man grobe Konstruktionsmängel am besten. Den feinen Mängeln hingegen kommt man erst durch allerlei Probeflüge auf die Spur. Denn jetzt ist Trimmen angesagt. So nennen es die Experten, wenn Papierflieger hier noch ein bisschen nachgefaltet und dort noch ein wenig hingebogen werden.

Wer das hinkriegt, kann sich bei Papierfliegerwettbewerben anmelden. Schulen veranstalten sie, Museen und Stadtfeste. Die Konkurrenten treten an in Disziplinen wie „Weitester Flug“, „Längster Flug“ und Kunstflug.

Hochkarätig besetzte Papierflieger-Jury

Die erste Flugschau dieser Art war bis heute eine der größten. Sie fand im Jahre 1966 in Amerika statt. Die Wissenschaftszeitung „Scientific American“ hatte zum ersten internationalen Papierflieger-Wettbewerb aufgerufen – unter anderem mit einer ganzseitigen Anzeige in der „New York Times“. Acht Fachleute sollten die Papierflieger bewerten, darunter ein Luftschiffkapitän, eine Fallschirmsprungmeisterin und ein Aerodynamiker.

Etwa 12 000 Papierfliegermodelle kamen in der Redaktion des Wissenschaftsmagazins an. Die meisten Flieger hatten Kinder gebastelt und oft genau dazugeschrieben, wie ihr Modell bitteschön zu fliegen sei. Doch dafür hatten die Wissenschaftsredakteure strenge Regeln aufgestellt: Jeder Flieger musste zunächst den „Flur-Test“ bestehen und einen solchen entlang fliegen ohne gegen die Wände zu stoßen oder gleich abzustürzen. Gar nicht so einfach, obwohl die Flure immerhin 3 Meter breit und 3,65 hoch waren.

Pokal in memoriam Leonardo da Vinci

Alle Flieger, die danach noch im Rennen waren, traten bei einem Flugtag in der New Yorker Hall of Science (Halle der Wissenschaften) gegeneinander an. Dann verkündete die Jury die Sieger in den Klassen Flugweite, Flugdauer, Kunstflug und Konstruktion. Zu gewinnen gab es den sogenannten „Leonardo“ – eine auf einen Sockel montierte Hand, die ein Papierflugzeug wirft. Der Pokal soll an Leonardo da Vinci und seine Mona-Lisa-Schwalbe erinnern.

Seit diesem Wettbewerb hat sich eine kreative Szene der Papierflieger-Bastler entwickelt. Sie tauschen Erfahrungen und neueste Kniffe beim Schwalbenbau aus, etwa auf http://www.papierfliegerei.de. Und alle himmeln sie Ken Blackburn an. Der Amerikaner aus St. Louis konstruiert im Hauptberuf richtige Flugzeuge, kann aber auch in seiner Freizeit nicht davon lassen.

Weltrekord ist eine Flugdauer von 27,6 Sekunden

Blackburn hat schon viele Weltrekorde aufgestellt, etwa am 8. Oktober 1998 in der Sporthalle „Georgia Dome“ in Atlanta: Anlauf, dann den Rücken so weit nach hinten durchbiegen, dass der ausgestreckte Arm mit dem Flieger fast den Boden berührt und die Schwalbe dann in einer gleichmäßigen Bewegung nach oben abwerfen. Sie steigt bis unter das Dach der Sporthalle, zieht ihre Kreise und kommt erst nach 27,6 Sekunden wieder runter. Weltrekord!