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Frau Chassot, zunächst mal eine ketzerische Frage: Ein Mozart-Klavierkonzert auf dem Akkordeon – ist das ernst gemeint?

Ganz klar ja. Ich habe auch schon von Joseph Haydn Klaviersonaten und Klavierkonzerte gespielt und aufgenommen. Das passt unglaublich gut. Es ist ganz erstaunlich, welche Seiten der Musik da rauskommen.

Welche Seiten kommen denn da raus?

Vor allem das Bläserische, das dem Akkordeon durch die Luft des Balgs eigen ist. Man kann etwa Töne halten. Das Akkordeon hat natürlich nicht das Perkussive des Klaviers. Das geht verloren, das will ich auch gar nicht imitieren. Aber es kommen andere Qualitäten zum Tragen. Beispielsweise kann das Akkordeon gut mit den Streichern verschmelzen, sich dann aber auch wieder abheben. Es hat in gewisser Weise mehr kammermusikalische Eigenschaften.

Und wieso eignet sich gerade das B-Dur Konzert KV 595 von Mozart für Akkordeon?

Dieses Konzert ist ebenfalls sehr kammermusikalisch gedacht. Es gibt Stellen, wo nur die Flöten spielen und das Soloinstrument. Und diese Einfachheit, die Schlichtheit der Melodien, dieses ganz Leichte – das kommt sehr schön zum Tragen.

Beim Akkordeon denkt man ja zunächst an Straßen- oder an Volksmusik. Wird dieser Aspekt bei Ihnen denn auch unterstrichen?

Das Instrument hat eine gewisse Aura, klar. Aber das Konzertakkordeon hat mit der Handorgel oder dem Volksmusikinstrument nicht mehr viel zu tun. Für mich ist es wie ein anderes Instrument. Es wurde enorm weiterentwickelt. Das linke Manual wurde Mitte des 20. Jahrhunderts in ein Einzeltonmanual umgewandelt. Sonst könnte man auch unmöglich Mozart darauf spielen. Jetzt ist das Akkordeon im Grunde wie ein Klavier, das auf zwei Manuale aufgeteilt ist, die wiederum durch einen Balg miteinander verbunden sind. Auch vom Tonumfang her ist es mit dem Klavier identisch.

Das heißt, Sie können jeden Ton, den Mozart notiert hat, auch spielen?

Ganz genau. Das ist mir auch wichtig. Ich spiele eins zu eins, was Mozart notiert hat, passe es aber an mein Instrument an.

Welche Möglichkeiten für die Bearbeitung bietet ihnen da das Akkordeon?

Ich habe wie die Orgel 15 oder noch mehr Register, mit denen ich die Klangfarben gestalten kann. Und dann geht es natürlich auch um die Spielweise. Wo halte ich Töne, wo sollen sie expressiver werden?

Sie haben von der Aura des Instruments gesprochen. Spielen Sie in Ihrer Bearbeitung auch mit dieser Aura, die ja – auch wenn sich das Instrument weiterentwickelt hat – aus der Volksmusik kommt? Oder blenden Sie das aus?

Das kann man gar nicht ausblenden. Das sind die Ursprünge des Instruments. Die werden immer da sein. Aber was ist Volksmusik? Im Prinzip ist das etwas Archaisches. Jede Kultur, jedes Land hat da ihre eigenen Melodien. Und bei Mozart findet man genau dieselbe Einfachheit und das Liedhafte. Das Musikantische, das Mozarts Musik ja auch immer hat, das ist mein Ziel. Im Prinzip beleuchtet das Akkordeon die Musik von dieser Seite, vielleicht sogar mehr als es ein Klavier tun kann. Und die Musik wird, das höre ich auch immer wieder aus dem Publikum, leichter und direkter zugänglich. Und zwar gerade weil sie diesen – ich nenne es jetzt mal so – Bezug zum Volk hat. Was den klassischen Bereich manchmal etwas elitär macht, wird hier gebrochen.

Wie sind Sie zum Akkordeon gekommen?

Ich bin im Kanton Schwyz in einem kleinen Dorf aufgewachsen. Da war die Volksmusik mit Ländlerstubeten noch stark präsent und mit ihr auch das Akkordeon. Mich hat immer das Instrument fasziniert, aber nicht dieser Kontext. Und deshalb hat es auch gedauert bis ich zwölf Jahre alt war, dass ich angefangen habe, Akkordeon zu spielen. Da habe ich im Radio jemanden Bach spielen gehört und habe gedacht, wow, es geht ja doch etwas anderes. Dann war's klar. Ich habe dann selbst bald Bach gespielt und hatte auch das Glück, einen Lehrer zu haben, der mich in diese Richtung gefördert hat. Später habe ich an der Musikhochschule in Bern bei Teodoro Anzelotti studiert.

Anzelotti ist ein ausgewiesener Spezialist für Neue Musik – wo das Akkordeon inzwischen ja eine sehr prominente Rolle spielt.

Ja, das hat sich durchgesetzt. Da gibt es sehr viele Möglichkeiten sich zu platzieren, weil das Instrument in diesem Bereich stark gefragt ist. Ich selbst arbeite auch intensiv mit Komponisten zusammen.

Wie erklären Sie sich die Karriere, die das Akkordeon in den letzten 15 oder 20 Jahren in der Neuen Musik gemacht hat?

Eben weil es ein neues Instrument ist. Das Akkordeon in seiner einfachen Ausführung gibt es zwar schon seit 1829 – da wurde das erste patentiert. Aber das waren ganz kleine Örgeli, mit denen konnte man nicht sehr viel machen. Die hatten links fünf Harmonien und rechts ein paar Melodietöne und das war's. Mitte des 20. Jahrhunderts wurde das Akkordeon dann zum Konzertinstrument weiterentwickelt. Dadurch wurde es für die Komponisten interessant. Es war eine Neuerung und kein Instrument wie das Klavier oder die Streichinstrumente, die es schon viele Jahre gibt. Das Akkordeon bietet viele Möglichkeiten, die noch nicht so ausgeschöpft sind, weil man es noch nicht so lange kennt. Das ist der Grund, warum es in der Neuen Musik auf so großes Interesse stößt.

Warum bleiben Sie nicht bei der Musik, die für Ihr Instrument geschrieben wurde?

Mich reizt eben auch diese Tatsache, dass es zu der Zeit von Bach oder Mozart noch nicht existiert hat. Ich bin überzeugt, es wäre genau so verwendet worden. Haydn zum Beispiel hat einfach nur für Tasteninstrumente geschrieben und gar nicht festgelegt, für welche. Er hatte eine große Vorliebe fürs Clavichord, das schon einen formbaren Klang hatte. Da gab es bereits Ansätze, die Töne in der Klangfarbe zu gestalten. Und genau diese Qualität ist jetzt auf dem Akkordeon viel ausgeprägter möglich, in einer großen dynamischen Spannbreite. Das ist eben auch spannend. Ich hätte so gerne erlebt, wie ein Haydn oder Mozart reagiert hätten!

Und Sie meinen, sie hätten keinen Ton anders geschrieben, wenn sie fürs Akkordeon komponiert hätten?

Das ist eben die Frage. Ich will nicht sagen, keinen Ton. Aber ich glaube, wenn Haydn diese Sonaten hören könnte, würde er nicht sagen, das geht aber gar nicht. Aber man kann natürlich nur spekulieren.

Fragen: Elisabeth Schwind

Viviane Chassot erklärt ihr Instrument und spielt Stücke aus verschiedenen Jahrhunderten: www.sk.de/exklusiv

Person und Konzert

  • Viviane Chassot wurde in Zürich geboren, ist im Kanton Schwyz aufgewachsen und lebt heute als freischaffende Musikerin in Basel. Ihren ersten Akkordeonunterricht erhielt sie mit 12 Jahren bei Ernst Kaelin, der sie schon früh in der Interpretation klassischer polyphoner Werke gefördert hat. 2006 hat Viviane Chassot ihre Studien an der Hochschule der Künste Bern bei Teodoro Anzellotti mit dem Master of Performance and Pedagogy abgeschlossen.
  • Konzert: Am Freitag, 26. Januar, 19.30 Uhr, Inselhotel Konstanz, spielt Viviane Chassot als Solistin der Südwestdeutschen Philharmonie Wolfgang Amadeus Mozarts Klavierkonzert B-Dur KV 595. Auf dem Programm stehen weitere Werke von Mozart. Leitung hat Ari Rasilainen.
  • Wolfgang am See: Das Konzert ist Auftakt der dreiteiligen Reihe "Wolfgang am See". Weitere Konzerte: 27. Januar, 19.30 Uhr, Inselhotel: "Don Giovanni" in einer Bearbeitung für Bläserquintett (Miroir Quintett) und Sprecher (Hans Helmut Straub). 28. Januar, 18 Uhr, Inselhotel: mit Klavierkonzert C-Dur KV 415 (Solist: Stefan Vladar) und der "Linzer" Symphonie. Leitung: Ari Rasilainen.
  • Infos und Tickets: www.philharmonie-konstanz.de oder Tel. 07531 900-150.