Die älteren weißen Männer sind wieder da. Nein, diesmal nicht das Feindbild des Feminismus, sondern die guten. Tatsächlich sind die Männer auf der Bühne des Open Air St. Gallen etwas älter geworden und weiß sind sie auch. Peter Fox, Macklemore, Kraftklub, Casper – alle schon mal irgendwo gesehen und das schon vor Jahren oder einem Jahrzehnt. Dennoch lohnt es sich, ihnen zuzuhören, denn sie haben etwas zu sagen: Gegen Hass im Netz (Peter Fox), für Gleichberechtigung (Macklemore), gegen Faschismus (Kraftklub) und für einen offenen Umgang mit mentalen Krankheiten (Casper). Und das auf der ganz großen Bühne.
Wer auf die Nebenschauplätze schaut, kommt am Wandel nicht mehr vorbei. Da sind mehr Frauen, mehr Vielfalt und noch mehr Spaß. Und das trotz des gewohnt regenreichen Wetters, welches das Festival einmal mehr zu Schlammgallen verwandelt.
Peter Fox meldet sich nach 13 Jahren Pause zurück
Besonders ein Headliner war heiß ersehnt: Peter Fox steht am Freitagabend zur besten Festival-Zeit auf der Bühne und ist nach über einem Jahrzehnt mal wieder als Solokünstler unterwegs. Erst hat er mit seiner Band Seeed den deutschsprachigen Dancehall salonfähig gemacht, dann setzte er mit seinem Solo-Album „Stadtaffe“ neue Standards – und tauchte nach dem erfolgreichsten Album 2009 erstmal ab. 13 Jahre später (und nach seinem 50. Geburtstag) wagt er sich mit dem Song „Zukunft Pink“ nochmal ohne seine Bandkollegen aus der Deckung, seit Mai gibt es auch das langersehnte Album „Love Songs“ zu hören.

Wirklich allein ist er dabei aber nicht. Den Song „Zukunft Pink“ hat er mit Sängerin Inéz veröffentlicht. Und nach St. Gallen hat er jede Menge Menschen mitgebracht: Auf zwei Ebenen sind Musiker und Tänzer auf der Bühne versammelt, das Konzert wird schnell zur Tanzparty.
So tanzbar die Songs dank viel Bumms und einigen Instrumenten auch sind – die ernsten Inhalte treffen damals wie heute einen Nerv. Peter Fox spricht sich in „Zukunft Pink“ etwa für Vielfalt aus (Schwarz, weiß, straight, gay/Liebe für alle und für mich selbst), stärkt Frauen den Rücken mit Zeilen wie „Frauen rulen die Welt“ und erteilt Elon Musks Marsprojekt eine klare Absage (“Scheißkalt und arschweit weg“). Mit zuversichtlicher Kampfansage statt Verzweiflung selbst dann, wenn er die Sogwirkung von Hasskommentaren im Netz beschreibt. Sein Gegengift im gleichnamigen Song: Liebe.
Und doch lässt er Fans im Regen stehen
Dabei hätte Peter Fox noch einige Minuten mehr Zeit für seine Love Songs gehabt, bevor er sein aufgeheiztes Publikum ohne Zugabe im Regen stehen ließ. Denn natürlich regnet es beim Open Air St. Gallen so sehr, dass die Gummistiefel im Festival-Supermarkt rasch ausverkauft waren. Das hat Tradition.
Nicht da und trotzdem präsent: Lewis Capaldi
Ein junger weißer Mann, der sicher Liebeslieder performt hätte, fehlte am ersten Abend: Lewis Capaldi. Und doch sorgte er für einen Gänsehaut-Moment: Das ganze Open Air St. Gallen sang seinen Song ‚Someone you Loved‘ – ähnlich wie die Fans beim Glastonbury-Festival in England es eine Woche zuvor taten, als der Sänger wegen seiner Tourette-Erkrankung nicht weitersingen konnte. Kurz nach dem Auftritt verkündete er den Abbruch seiner Tour, beim Open Air St. Gallen sprang Fritz Kalkbrenner ein.

Die Mischung aus ernsten Inhalten, die mitreißend verpackt sind, hat Peter Fox nicht exklusiv, sondern mit anderen Headlinern des Wochenendes gemeinsam: Der US-amerikanische Rapper Macklemore kehrt nach zehn Jahren Pause nach St. Gallen zurück – und erinnert sich, wie er mit dem Festival gewachsen ist. Vom ersten Auftritt vor gerade mal 45 Leuten, die ziemlich sicher nur im Gras vor der Bühne geschlafen haben, bis zum Headliner am Samstagabend. „Wir tanzen im Regen“, verspricht er, und punktet mit Songs wie „Same Love“ genauso wie damals.
Gleichberechtigung ist immer noch ein Thema
Die Botschaft „No freedom ‚til we‘re equal/Damn right I support it“ (Keine Freiheit, bis wir alle gleich sind/Verdammt richtig, ich unterstütze das) bleibt aktuell. Der Takt der Veränderung schlägt wesentlich langsamer als der von Macklemores Songs.

An Aktualität sogar gewonnen hat der Antifaschismus, der Kraftklub bewegt, deshalb bekommen die Schweizer nach den ersten Hits auch einen kurzen Sachstand der deutschen Politik: „Bei uns gibt es so eine Partei, die heißt AfD, die ist gerade ziemlich weit am Start ... Das sind einfach Neonazis, die da gewählt werden, und man steht ohnmächtig daneben.“ Dabei wirkt die Band aus Chemnitz so stark, wenn sie gegen Berlin wettert, und so nahbar, wenn sie „Kein Liebeslied“ singt inmitten der Menge.
Doch wo sind nun die Frauen bei diesem Festival?
Nicht zur besten Zeit auf der Hauptbühne. Sie tummeln sich in der zweiten Reihe mit Tash Sultana, die schon beim Southside einen überraschend guten Sendeplatz bekam, und in der dritten Reihe mit einer sehr familientauglichen Lea, einer mystischen und stimmgewaltigen norwegischen Elfe namens Aurora oder Badmómzjay.

Die deutsche Rapperin bezieht mit Zeilen wie „LGBTQ ist keine Promo, das ‘ne Haltung“ klar Stellung gegen Sexismus, Rassismus und Homophobie. LGBTQ steht für Lesbian, Gay, Bisexual, Transgender und Queer, also Menschen mit lesbischer, schwuler, bisexueller Orientierung sowie transsexueller und queerer Identität.

Auf der Hauptbühne war es an Männern, Frauen ins Scheinwerferlicht zu rücken: Kraftklub holt für „So schön“ die Band Blond auf die Bühne – und damit auch die Schwestern der Kraftklub-Gründer Felix und Till Kummer. Casper tut sich mit Lea zusammen, um erstmals den gemeinsamen Song „Schwarz“ gemeinsam live zu singen.
Fans meinen: Noch ist nicht alles verloren
Mit Zeichen wie diesen und ernsten Zeilen, die gar nicht so ernst klingen, sorgen die Künstler beim Open Air St. Gallen nicht nur für eine gute Zeit. Sie geben auch Hoffnung, dass nicht alles düster ist angesichts einer Welt, die einen manchmal ohnmächtig fühlen lässt. Oder wie ein Fan von Peter Fox es auf seinem Instagram-Kanal ausdrückt: „Solange so viele Menschen die guten Botschaften in diesen wundervollen Liedern verstehen und mitsingen, ist noch nicht alles verloren.“