Gregor Schmitz
Forschungstaucher dokumentieren die Bestandsänderungen von Dreikantmuscheln (hier im Bild) und Körbchenmuscheln im Bodensee. Bilder: ...
Forschungstaucher dokumentieren die Bestandsänderungen von Dreikantmuscheln (hier im Bild) und Körbchenmuscheln im Bodensee. Bilder: Martin Mörtl

Wer am Bodensee-Ufer eine Hand voll angespülter Schnecken- und Muschelschalen aufhebt, wird feststellen, dass kleine dreieckige Muschelschalen am häufigsten zu finden sind. Es sind die der Dreikant-, Zebra- oder Wandermuschel. Alle Namen passen, denn sie ist dreieckig, gestreift und eingewandert. Der bis drei Zentimeter großen Art, die sich mit Sekretfäden an Steinen und anderem Hartgrund festhält, gelang eine halbe Weltreise. Heimisch im Kaspischen Meer, besiedelte sie Mitteleuropa im 19. und 20 Jahrhundert, gelangte 1965 auch in den Bodensee und schaffte 1985 den Sprung nach Nordamerika. Solch große Distanzen überbrückte sie als blinder Passagier in Frachtschiffen. In den Bodensee kam sie wahrscheinlich durch Sportboote. Während sie in Nordamerika mehrere Dezimeter dicke Muschelbänke bildet, da es dort kaum Arten gibt, die ihr nachstellen, sind die Muschelbestände im Bodensee zumindest im flacheren Wasser mehr oder weniger einschichtig.

Biologen vom Limnologischen Institut der Uni haben die ökologischen Auswirkungen dieser Invasion genau unter die Lupe genommen. Bestandsaufnahme: Die Dreikantmuschel stellt heute 90 Prozent der Biomasse von auf dem Grund lebenden Wirbellosen dar und macht etwa die Hälfte bis ein Drittel aller Individuen aus. Die Bestandsdichten wechseln jahreszeitlich.

Siedelt sich seit 2003 im Bodensee an: die Körbchenmuschel.
Siedelt sich seit 2003 im Bodensee an: die Körbchenmuschel.

Den negativen Folgen auf die ursprüngliche Fauna des Bodensees ist ebenfalls nachgegangen worden: Festgestellt wurde ein starker Rückgang der heimischen Großmuscheln, insbesondere der Gemeinen Teichmuschel, denn die Dreikantmuschel unterscheidet nicht zwischen einem Stein und einer aus dem Sand schauenden Großmuschel. Diese werden also überwuchert und Schwebstoffe, von denen sich alle Muschelarten ernähren, kommen dann den Großmuscheln nicht mehr zu Gute. Des Weiteren verändern die Dreikantmuscheln durch ihre Schalen selbst die Struktur auf dem Seegrund. Wo vorher Sandboden war, finden sich jetzt die miteinander verklebten Schalen der Muschel, neuer Versteck- und Lebensraum für einige heimische Organismen und ihren Larven. Schwebstoffe werden aus dem Wasserkörper herangestrudelt und abgelagert.

Drittes wichtiges Ergebnis ist, dass die neue Muschel eine überaus wichtige Nahrungsquelle für die am Bodensee überwinternden Wasservögel darstellt. Bereits fünf Jahre nach ihrer ersten Sichtung nahmen die winterlichen Wasservogelbestände um das Zwei- bis Dreifache zu. Vor allem Reiherente, Tafelente und Blässhuhn haben sich auf die neue Art eingestellt und nutzen sie in großem Umfang. Sie tauchen vor allem nachts auf bis zu elf Meter Tiefe, um hier die Muscheln abzuweiden und (unter Wasser!) als ganzes zu verschlucken. Im Magen finden sich dann Magensteine, die bei der Auflösung der Schalen im sauren Magensaft helfen. Die Wasservögel ernten einen Großteil der Muschelpopulation im Laufe des Winters. Im Frühjahr beginnt aus den verbliebenen Restbeständen schnell eine Wiederbesiedlung der abgeweideten Zonen, so dass zum Herbst hin der Tisch wieder gedeckt ist.

Aber das neue ökologische Beziehungsnetz ist schon wieder im Umbruch, denn eine weitere Muschelart ist hinzugekommen. Die aus Asien eingeschleppte Körbchenmuschel siedelt seit 2003 auf sandigen Uferbereichen im östlichen Bodensee. Sie ist etwa gleich groß, abgerundet und vor allem deutlich hartschaliger und damit für die Vögel eine weniger attraktive Nahrung. Und schließlich ist eine nahe Verwandte der Dreikantmuschel, die Quagga-Muschel, im Anmarsch. Eine zukünftige Verschleppung vom Oberrhein, wo sie jetzt schon siedelt, in den Bodensee wird für wahrscheinlich gehalten.

Die Zuwanderer

In einer zehnteiligen Serie stellt Gregor Schmitz, Leiter des Botanischen Gartens an der Universität Konstanz, Beispiele eingebürgerter fremder Tier- und Pflanzenarten vor. Etliche haben sich auch in Privatgärten breit gemacht. Die Zuwanderer haben oft negative Auswirkungen auf die Natur, teilweise aber auch positive.

Alle Folgen der Serie:

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