Es hätte auch ganz anders laufen können für die Genossen bei ihrem Landesparteitag in der Messe Friedrichshafen. Bei der Landtagswahl 2021 in Baden-Württemberg gerade mal die Zweistelligkeit gehalten, statt auf der schon gebuchten Regierungs- wieder auf der Oppositionsbank und in der öffentlichen Wahrnehmungswüste gelandet – so etwas hat schon manches verantwortliche Spitzenpersonal die Karriere gekostet und Nachbeben in der Partei ausgelöst.
Das schlechte Wahlergebnis scheint vergessen
Nicht so in der baden-württembergischen SPD. Die steht an diesem Samstag bei ihrem Landesparteitag konfliktfrei da und gefühlt mindestens kurz vor der Regierungsübernahme in Baden-Württemberg, strahlt großes Selbstbewusstsein und Geschlossenheit aus, die Stimmung ist bestens. Das hat seinen Grund: Es ist Kanzlerparteitag, und an so einen können sich auch mittelalte Genossen kaum noch erinnern.

Denn nach der Schlappe im Land gewann die SPD die Bundestagswahl und stellt seitdem einen Bundeskanzler, und damit ist auch die SPD in Baden-Württemberg nicht mehr auf der Verliererstraße, sondern wieder ganz vorne dabei. „Auf unserem SPD-Parteitag spricht der Bundeskanzler. Und der Bundeskanzler ist einer von uns und heißt Olaf Scholz!“ jubelt der SPD-Landesvorsitzende und Vorjahres-Wahlverlierer Andreas Stoch am Samstag.
Respektable 95 Prozent für Andreas Stoch
Er wird später ohne Gegenkandidaten mit 95,6 Prozent der Stimmen für zwei weitere Jahre von den Delegierten im Amt bestätigt und mehrfach in Redebeiträgen zum kommenden Ministerpräsidenten ausgerufen. So schnell kann es gehen. Der gefeierte Besuch des Bundeskanzlers bei den Südwest-Genossen, seine Rede und die der Parteivorsitzenden Saskia Esken geben jedenfalls an diesem Tag die Tonlage vor, der sich die Partei nur allzu gerne hingibt.
Und die klingt so: Die SPD ist zurück, sie ist wichtig, stark, solidarisch, verantwortungsbewusst und vermittelt Zuversicht, gesellschaftliches Zusammengehörigkeitsgefühl und ist überhaupt die einzig richtige Partei in diesen unsicheren Zeiten, wenn es nicht nur die Kriegsfolgen auf vielen Ebenen zu meistern gilt, sondern die Inflation zunehmend vor allem in den Geldbeuteln der Geringverdiener, der Familien, Rentner und finanziell Schwachen ankommt.
Der Gegner hat einen Namen: Friedrich Merz
„Wir haben mit vielen Entscheidungen dazu beigetragen, dass die, die wenig haben, in diesen Tagen besser zurechtkommen. Teurer wird‘s. Aber wir werden dafür sorgen, dass alle die steigenden Energiepreise bezahlen können“, sagt Scholz und macht klar, wofür die SPD steht – „Zusammenhalt und Solidarität“ – und wofür der politische Gegner, der einen Namen hat: Friedrich Merz mit der Weigerung der Unionsparteien, das Bürgergeld mitzutragen.
„Schäbig“ nennt auch die SPD-Vorsitzende Esken in ihrer Rede das Argumentieren der CDU, die beim Bürgergeld-Streit die Schwachen gegen die Schwächsten ausspiele, und auch sie lobt die neue Geschlossenheit der Partei: „Die SPD ringt nicht gegeneinander, sonder sehr ernsthaft miteinander. Und wenn wir klare Ansagen machen und klar machen, dass der Gegner nicht in den eigenen Reihen stehen, dann werden auch in Baden-Württemberg wieder Wahlen gewonnen“, so Esken. Da ist er dann doch noch, der kleine Hinweis auf die Wahlschlappe.
Alle wollen ein Selfie mit Scholz
Scholz aber wärmt die Seele der Genossen mit der Aufzählung der SPD-Verdienste in der Regierung – Kindergeld, Renten, Mindestlohn, Entlastungspakete, Bürgergeld und höherer Zuverdienst. Ein Spielverderber, der nach Finanzierbarkeit und Generationengerechtigkeit der Milliardenhilfen fragt, meldet sich nicht zu Wort. Der Jubel für Scholz ebenso groß wie die Traube der Genossen, die sich für ein Selfie um ihn drängeln, und das Gefühl trägt die Delegierten auch noch durch den Parteitag, als Scholz schon wieder weitergeeilt ist. „Er hat einfach gerockt“, sagt die Freiburger Landtagsabgeordnete Gabi Rolland zum Kanzler, und Lina Seitzl, Konstanzer Bundestagsabgeordnete, freut sich über die „Gelassenheit, Entspannung und Souveränität“, die der Kanzler auf den Landesparteitag ausgestrahlt habe.
„Die Mitglieder merken jetzt: Geschlossenheit kann auch Spaß machen. Das war nicht immer so“, zieht SPD-Generalsekretär Sascha Binder Bilanz, der ebenfalls klar im Amt bestätigt wird. Und ein Delegierter sagt bei seiner Bewerbungsrede als Beisitzer: „Es tut so gut, zu sehen, dass wir Beschlüsse und Konzepte endlich auch einmal in Politik umsetzen können.“