Homeoffice schützt vor Ansteckungen. So viel scheint in Zeiten einer Pandemie klar. Doch eine Langzeitstudie der Universität Konstanz zeigt, dass die Bereitschaft dazu sinkt. Und zwar nicht nur bei den Arbeitgebern. Auch Beschäftigte wünschen sich demnach zunehmend häufiger Präsenzarbeit – und setzen das auch um.
Florian Kunze ist Wirtschaftswissenschaftler und forscht zu Digitalisierung und neuen Formen der Arbeit. Dem SÜDKURIER sagt der Professor für Organisationsstudien, dass der Infektionsfaktor Arbeit derzeit wieder zunehmend in den Hintergrund rücke – und fordert Nachschärfungen.
Verschärfter Lockdown, mehr Präsenzarbeit
Der 39-Jährige und sein Team haben in einer jüngsten Befragung der Studienteilnehmer Ende Januar festgestellt, dass die Präsenzarbeit trotz verschärften Lockdowns wieder zugenommen hat. Dabei sind die Infektionszahlen jetzt höher als zu Beginn der Pandemie, als niemand Vollzeit am Arbeitsplatz tätig war.
Schon im Mai waren wieder 15 Prozent der Befragten wieder vollständig in ihre Betriebe zurückgekehrt, im Oktober gut jeder Dritte. In der jüngsten Befragung waren trotz der Pflicht, Homeoffice zu ermöglichen, wenn die Präsenz der Mitarbeiter nicht zwingend erforderlich ist, noch 20 Prozent ausschließlich im Büro.
Im April war jeder Dritte daheim
Das bestätigen auch Zahlen des Bundesministeriums für Arbeit. So bestätigt eine Sprecherin „mit Beginn der Corona-Pandemie gab es einen sprunghaften Anstieg des Homeoffice“. Im April 2020 habe demnach gut ein Drittel der Angestellten überwiegend oder teilweise im Homeoffice gearbeitet.
Vor Corona wurde der Anteil an gelegentlichem bis regelmäßigem Homeoffice dagegen auf 12 bis 22 Prozent geschätzt. Wie viele Beschäftigte derzeit im Homeoffice arbeiteten, ließe sich bundesweit noch nicht sagen. Dazu sei die Pflicht, Homeoffice zu ermöglichen, noch zu frisch, hieß es auf Nachfrage.

Wie kann das sein? Kunze und sein Team haben nach Gründen gefragt. Und stießen auf erstaunliche Antworten. 37 Prozent der Befragten gaben an, auf Wunsch ihres Arbeitgebers wieder im Unternehmen zu arbeiten. 15 Prozent verwiesen auf Führungskräfte, die die Präsenz ihrer Mitarbeiter gefordert hätten. Doch 36 Prozent der Befragten gaben auch an, aus eigenem Antrieb wieder im Büro zu arbeiten.
Hier stehe der soziale Austausch im Mittelpunkt, glaubt Kunzes Forschungsteam. Der Professor sieht hier die Arbeitgeber in der Verantwortung. Sie könnten schließlich steuern, ob Arbeit im Büro während eines verschärften Lockdowns zugelassen werde oder nicht.
Überholte Präsenzkultur der Arbeitgeber
Der Hintergrund zu dieser Haltung sieht der Wissenschaftler fernab der Pandemie: „Diese Präsenzkultur, die es früher gab, ermöglicht mehr Kontrolle darüber, was Mitarbeiter machen.“ Dorthin wollten Arbeitgeber wieder zurückkehren. Das sei aber auch nach der Pandemie kaum mehr durchzusetzen.
Kunze geht davon aus, dass Unternehmen umdenken müssen. Alles andere sei „zu kurz gedacht“. Mobiles Arbeiten werde sich seiner Einschätzung nach vielmehr stark durchsetzen: „Es wird die Erwartungshaltung der Arbeitnehmer sein, ein Standard, den Unternehmen anbieten müssen, um an Fachkräfte zu kommen“, glaubt er.

Daheim produktiver und glücklicher
Dabei haben er und sein Forschungsteam Indizien dafür, dass Arbeitnehmer im Homeoffice produktiver und ausgeglichener sind. So gaben 85 Prozent der Befragten an, dass sie im Homeoffice sehr produktiv seien, während diese Einschätzung nur 73 Prozent der Befragten in Präsenzarbeit teilten.
Hinzu komme eine höhere emotionale Erschöpfung bei jenen, die im Büro arbeiteten. 26 Prozent gaben an, sich ausgebrannt und erschöpft zu fühlen – jeder vierte, der im Unternehmen arbeitet also. Im Homeoffice gaben dies 21 Prozent an, also jeder fünfte.
Deutlicher Zusammenhang von Präsenz und Infektionen
Das Forschungsteam stellt darüber hinaus einen „deutlichen Zusammenhang“ zwischen Aktivitäten wie Besprechungen, persönlichen Treffen im Arbeitsumfeld und Essen in der Kantine im Betrieb und Covid-19-Erkrankungen fest.
4,2 Prozent der Befragten in Präsenzarbeit gaben an, seit Oktober positiv getestet worden zu sein. Bei den Beschäftigen im Homeoffice waren deutlich seltener Infektionen aufgetreten. Infektionen bei Mitarbeitern, die im Büro arbeiten, sind dabei 4 bis 8 Mal so häufig aufgetreten wie bei Mitarbeitern im Homeoffice.

Noch deutlicher wird der Trend, wenn man einzelne Arbeitsabläufe betrachtet. Bei Beschäftigen mit Besprechungen im Betrieb wurden 9,9 Prozent positiv getestet, bei jenen ohne solche Besprechungen nur 1,2 Prozent.
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Kantinen: Dort, wo sie seit Oktober geöffnet blieben, infizierten sich 9,8 Prozent der Befragten mit Corona, wo sie geschlossen blieben nur 2,5 Prozent. 9,1 Prozent derjenigen, die im Betrieb Kollegen trafen, infizierten sich mit dem Virus, aber nur 2,5 Prozent der Befragten, die keine solchen Treffen genannt hatten.
Trotzdem ist Kruse vorsichtig mit Schlussfolgerungen. Schließlich könnten sich die positiv Getesteten auch außerhalb vom Betrieb infiziert haben. „Aber ich würde sagen, dass die Präsenzmeetings eine starke Rolle spielen für das Infektionsgeschehen.“
Land will stärker kontrollieren
Auf Nachfrage beim Landeswirtschaftsministerium sagt Sprecherin Stefanie Neuffer dem SÜDKURIER: „Die Studie scheint zu belegen, was bislang auch Grundlage für die politischen Entscheidungen war, nämlich, dass körperliche Kontakte maßgeblich für das Infektionsgeschehen sind.“ Deren „drastische Reduzierung“ bilde die Grundlage für die Eindämmung des Infektionsgeschehens. Dabei komme es allerdings nicht darauf an, in welchem Lebensumfeld die Kontakte stattfinden, ergänzt die Sprecherin.
Dennoch wurde der Bereich Arbeit bei den Infektionsschutzmaßnahmen lange ausgeklammert, während Einzelhandel und Schulen geschlossen wurden. Erst mit der jüngsten Corona-Verordnung wurde die Pflicht, Homeoffice zu ermöglichen, wo das die Arbeitsaufgaben zulassen, eingeführt.
Kontrollen? „Aktiv begleiten“ sagt das Land
Aber wird das überhaupt kontrolliert? Man wolle „die Einhaltung der Corona-Arbeitsschutzverordnung aktiv begleiten“, sagt die Sprecherin dazu. Die Arbeitsschutzbehörden, in diesem Fall die Gewerbeaufsicht, werden demnach „in den kommenden Wochen gezielt auf Unternehmen zugehen“.