Da sitzt sie nun, in einem Saal des Konstanzer Amtsgerichts, gut vier Meter von dem Mann entfernt, der sie im Juni in einer Konstanzer Bar vergewaltigte – und sie nach der Tat auch noch erniedrigte. Sie habe Bauchschmerzen, sagt die 23-Jährige. An damals will sie eigentlich gar nicht mehr denken. Sie will vergessen. Verdrängen. Mehr nicht.

Ob der Angeklagte sie ansprechen, sich bei ihr entschuldigen dürfe, fragt Richterin Heike Willenberg. „Ich weiß nicht“, sagt die 23-Jährige. „Wenn er will, ist das okay.“

„Wir waren beide gut betrunken“

Draußen vor dem Amtsgericht ist es nasskalt und nebelig. Und drinnen fast ebenso frostig. Noch vor ein paar Minuten – noch bevor die 23-Jährige in den Saal gerufen wird – liefen im Gericht Ausschnitte eines Überwachungsvideos. Aus jener Nacht und jener nicht direkt im Stadtzentrum gelegenen Konstanzer Bar, in der Täter als Kellner arbeitet. Darauf zu sehen: Wie beide nach Ladenschluss miteinander schlafen. Zunächst noch einvernehmlich, wie beide betonen. „Und gut betrunken“, sagt der 26-jährige, der die Vergewaltigung schon bei der Festnahme im Juli gestand.

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Auf dem Überwachungsvideo sieht man aber auch, wie es nicht mehr einvernehmlich wird – wie er die 23-Jährige am Hals packt und würgt, dann anal in sie eindringt und dass sie sich wehrt. „Ich habe um mich geschlagen“, sagt sie. Kratzspuren am Rücken, an den Armen und Oberschenkeln und am linken Schienbein zeugen später von der Gewalt in dieser Nacht.

„Er wusste, dass ich das nicht mag“, sagt die 23-Jährige, die den Täter gut kannte. Öfter auch mit ihm schlief. Doch sie habe ihm klar gesagt, dass sie jene Art Sex ablehnt, die der 26-Jährige wollte.

Vier Minuten lang vergewaltigt er sie. Das zeigt der Zeitstempel der Überwachungskamera. Doch auch nach der Tat, als sie längst am Boden zusammengebrochen ist, lässt er nicht von ihr und ohrfeigt sie mehrmals.

Warum er die 23-Jährige durch Ohrfeigen nochmals erniedrigt hat, fragt die Richterin.

„Ich weiß nicht.“ Nur noch bruchstückhaft will er sich an die Nacht erinnern. „Da ist ein großer Filmriss bei meinem Mandanten. Vieles ist in Rage und triebbedingt geschehen“, sagt sein Verteidiger Tomislav Duzel. „Und vieles auch unter massivem Alkoholeinfluss. Ich will die Tat nicht bagatellisieren. Aber ich glaube nicht, dass so was unter normalen Umständen passiert wäre. Hier hat etwas Klick gemacht. Mein Mandant hatte sich nicht mehr unter Kontrolle.“ Verminderte Steuerungsfähigkeit nennt Duzel das.

Saal 107 des Amtsgericht Konstanz an der Untern Laube. Hier musste sich ein 26-Jähriger wegen einer Vergewaltigung mit Körperverletzung ...
Saal 107 des Amtsgericht Konstanz an der Untern Laube. Hier musste sich ein 26-Jähriger wegen einer Vergewaltigung mit Körperverletzung verantworten. | Bild: Esteban Waid

Doch wie hoch war der Alkoholeinfluss beim Kellner? Richterin Heike Willenberg schätzt den zum Tatzeitpunkt, etwa um 3 Uhr nachts, auf rund 1,35 Promille. Da die Polizei beim Täter sechs Stunden später noch 0,15 Promille nachweisen konnte. „Das ist viel, aber nicht massiv“, sagt sie. „Und ein Filmriss? Erinnert er sich wirklich nicht?“

Vollumfängliches Geständnis

Der 26-Jährige schüttelt mit dem Kopf. Über die Tat will er nicht sprechen. „Der Vorfall ist ihm unheimlich peinlich“, sagt sein Anwalt. „Er gesteht sie aber vollumfänglich ein.“ Eins will junge Mann dann aber doch: sich bei der 23-Jährigen entschuldigen.

„Wir haben zu viel gefeiert. Und was dann passiert ist, tut mir wirklich leid“, sagt er. Da hat sie gerade im Saal Platz genommen. Da sind kurz vorher die Ausschnitte der Überwachungskamera gelaufen – man mag es ihm glauben, die Reue wirkt ehrlich. Und doch wirkt der Moment seltsam beklemmend. Auf die Fragen der Richterin zur Tat oder dem, was ihn getrieben hat, antwortet er nicht.

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Es bleibt still im Saal. Der Blick der 23-Jährigen wandert unsicher zwischen dem Angeklagten und der Staatsanwaltschaft hin und her. Soll sie etwas sagen? Muss sie von der Nacht erzählen? Wieder einmal.

„Sie werden heute nicht nochmal zum Opfer gemacht werden“, sagt Heike Willenberg. „Wenn Ihnen unwohl ist, sagen sie das.“ Die Richterin will wissen, wie es der 23-Jährigen geht, ob sie noch an die Tat denke.

„Ich habe viel bei der Arbeit zu tun“, sagt sie. „ich verdränge das alles.“ Und: „Männliche Beziehung gehe ich nicht mehr ein.“ Sie wolle kein Geschlechtsverkehr. Sich nicht einmal mit Männern treffen. Früher sei das anders gewesen, da sei sie nach der Arbeit öfter mal ausgegangen.

Eine Anzeige hätte es fast nicht gegeben

In jener Nacht habe sie nach der Tat fluchtartig die Bar verlassen und auf der Straße eine Passantin getroffen, die ihre Tränen sah, die Rettungsdienst und Polizei rief. „Hätten Sie die Anzeige sonst gemacht“, fragt die Richterin.

„Nein.“

„Warum nicht?“

„Weil ich Angst hatte“, sagt sie. „Vor so einem Tag wie heute, wo alles wieder hochkommt. Ich wäre wohl nach Hause gegangen, hätte geheult und es gut sein lassen.“

Scham und Angst

Auch eine vor Gericht aussagende Polizistin erinnert sich fast genau an diese Worte. Ihr habe die 23-Jährige noch in der Tatnacht erzählt, sie würde sich lieber zu Hause ausweinen. „Die junge Frau habe ich total verängstigt erlebt. Sie hat sich ständig entschuldigt, dass sie uns jetzt so viel Arbeit macht“, sagt die Polizistin.

Vom Täter habe die 23-Jährige damals das Bild eines rücksichtslosen Mannes gezeichnet. „Sie hat immer wieder klar gemacht, dass er bewusst Grenzen überschreitet. Und sehr darauf bedacht ist, seinen Spaß zu haben“, sagt die Polizistin.

Angeklagt war der 26-Jährige für eine Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung. Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine ...
Angeklagt war der 26-Jährige für eine Vergewaltigung in Tateinheit mit Körperverletzung. Das Strafgesetzbuch sieht dafür eine Mindeststrafe von zwei Jahren Freiheitsstrafe vor. | Bild: Göbel, Nathalie

Für das Gericht geht es an diesem Tag vor allem um das erniedrigende Nachtat-Verhalten, um die Ohrfeigen nach der Vergewaltigung. Und um den Vertrauensbruch, die die Tat mit sich brachte. Denn: Schließlich kam die Vergewaltigung nicht aus dem Nichts. Eigentlich hatten beide miteinander schlafen wollen. Einvernehmlich. Eigentlich hatte sie abgemacht, auf bestimmte Sexpraktiken zu verzichten. Eigentlich hatte die 23-Jährige ihm vertraut.

„Sie haben wissentlich Grenzen überschritten und wollten ihre sexuelle Befriedigung“, sagt Richterin Heike Willenberg am Ende eines beklemmenden Prozesstages. Den 26-Jährigen hat sie zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren und drei Monaten verurteilt. Die Staatsanwaltschaft hatte zweieinhalb Jahre gefordert, der Verteidiger zwei Jahre auf Bewährung. Doch eine solche Grenzüberschreitung sei nicht auf Bewährung zu haben, das macht Willenberg unmissverständlich klar. Denn: „Es war ihnen in dem Moment egal, ob die Frau jetzt leidet“, sagt sie.

Tomislav Duzel, der Verteidiger des 26-Jährigen, hat angekündigt, in Berufung zu gehen.

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